Klirrende Eiswürfel im Roséglas. So klingt für Alicja Kwade der Sommer. Wir haben mit Künstlerinnen und Künstlern über ihre schönsten Sommermomente, Erinnerungen und Sehnsüchte gesprochen.

Der Winter in Berlin ist still, bis auf den Wind und den knirschenden Schnee unter den Schuhen. Der Sommer ist laut, als hätte sich der Lärm während der kalten Monate ausgeruht. Alicja Kwade, die seit ihrem Studium an der Universität der Künste in der Hauptstadt lebt, spricht über ihre Lieblingsgeräusche, über die Stadt und den Sommer: Den Juni nutzt sie, um in ein neues Studio zu ziehen. Ihr altes hat drei große Räume, im ersten steht man zwischen großen Kisten, die meisten davon verschlossen, nur eine halboffene fällt auf, denn eine riesige schwarze Uhr schaut heraus. Im nächsten ein paar Schreibtische, darauf iMacs. Überall laufen Assistenten herum. Im letzten und größten Raum fällt durch die Fenster des Sägezahndachs großzügig Licht. Hier ist schon fast alles leergeräumt.

© Jan Buchczik

Alicja Kwade spricht so schnell, dass sie in genau 13 Minuten alle meiner Fragen beantwortet hat. Wir sitzen auf einer Bank vor ihrem Studio, in dem Komplex, der einst die Filmstadt Weißensee beherbergte, im Nordosten der Stadt. Hier wurde „Der Blaue Engel“ gedreht, und „da drüben hat die Marlene ihre Lohntüte gekriegt“, sagt Alicja Kwade und deutet auf den ersten Raum ihres Studios. Ich prüfe diese Information nicht, aber glaube ihr sofort.

Ich merke an, dass es hier fast wie in einer Fabrik aussieht. „Fabrik würde ich nicht sagen, denn wir fabrizieren gar nicht so viel wie — zum Beispiel — Olafur.“ Damit meint sie Olafur Eliasson, den Künstler, der Editionen großer, sehr großer Werke in Serie produziert. Hier, in Kwades Atelier, wird aber auch recherchiert und nachgedacht. „Der normale Arbeitstag sieht so aus: Die Leute arbeiten zwischen 10 und 18 Uhr. Ich verreise ziemlich viel, aber wenn ich da bin…“ — in diesem Moment kommt ein junger Mann vorbei und ruft „Cheers!“ Alicja Kwade grüßt zurück und erklärt schnell, dass das Michael Sailstorfer war, ihr Studionachbar: „Den kannste gleich auch was fragen.“ Mich interessiert jetzt erstmal, was Alicja Kwade im Sommer macht. „Seit Jahren nehme ich mir vor, es so zu machen, wie die Franzosen, nämlich im August überhaupt nicht zu arbeiten.“ Das klappt natürlich nicht, denn Kwade ist viel beschäftigt. Man muss nur mit ihr sprechen, um zu merken, dass sie permanent unter Strom steht.

Für den September plant sie beispielsweise eine Ausstellung in der König Galerie in Berlin. Ich frage sie, was dort zu sehen ist. „Ich wollte das zeigen, was in Zürich im Haus Konstruktiv zu sehen war. Ein großes Metallgestell mit Planetenkugeln. Es ist aber noch unklar, ob das statisch möglich ist. Mein Plan B ist, drei Skulpturengruppen zu zeigen, die immer eine Transformation beinhalten. Eine Art kinematisches Moment in Skulptur: eine Abfolge, fast wie eine Narration.“ Allein durch Wiederholung und Variation? „Genau. Das hat im Grunde genommen was mit Taktung zu tun. Wenn man Zeit sagt, dann romantisiert man das so. Dann bezieht sich das gleich auf einen selbst und auf die eigene Vergänglichkeit. Aber so sehe ich das gar nicht, eher als eine systematische Abfolge.“

Seit Jahren nehme ich mir vor, es so zu machen, wie die Franzosen, nämlich im August überhaupt nicht zu arbeiten.

Alicja Kwade

Im Sommer nimmt sie sich nichts Bestimmtes zu lesen vor, denn sie sei eine undisziplinierte Leserin, behauptet sie. „Ich nehme mir raus, was mich interessiert.“ Wie in einem Netzwerk, mit Hyperlinks, schlage ich vor. „Genau. Ich schaue mir zum Beispiel an, was die Physik zum Material sagt, dann schaue ich, was bei Karl Marx dazu steht, dann komme ich zur Arbeit, und ich bin mitten in der Soziologie. Ich habe mir vorgenommen, mehr über den Zen-Buddhismus zu lernen. Weil ich jetzt viel in China ausgestellt habe, und mir wurde immer gesagt, dass meine Arbeitsweise an chinesische Philosophie erinnert.“ Ich empfehle ihr den alten Hippie-Klassiker „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“.

Aber wir sprechen ja schon wieder über die Arbeit. Was ist ihr liebster Ort und ihr liebstes Geräusch? Am allerliebsten sitze sie in dem Bistro Themroc auf der Torstraße, mit ihren Freunden. Dort trinkt sie Rosé mit Eiswürfeln. Das schönste Geräusch auf Erden komme schließlich von den Eiswürfeln im Roséglas, vielleicht nur noch übertroffen vom knirschenden Schnee im Winter.