Zwischen Intellektuellen und Kreativen: Das Netzwerk Carol Ramas
23.01.2025
5 min Lesezeit
Ab Ende der 1940er-Jahre lädt Carol Rama regelmäßig zu Salons in ihr Turiner Wohnatelier ein. Im Laufe ihrer langen künstlerischen Karriere begegnet sie auf Ausstellungen, Veranstaltungen und Reisen häufig bekannten Persönlichkeiten. Wie sahen die sozialen Kreise aus, in denen sich die Künstlerin bewegte?
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Noch heute hängt in Carol Ramas Turiner Studio eine Leinwand mit Fußabdrücken aus blauer Farbe. Sie zeugt von den Besucher*innen, die die Künstlerin zwischen 1947 und 1953 empfangen hat. Neben ihren Fußspuren hinterließen sie ihre Unterschriften: Felice Casorati, neoklassizistischer Maler und früher Förderer Ramas, gilt als einer der bekanntesten Künstler Turins; Daphne Maugham-Casorati, seine Ehefrau, war ebenfalls Malerin sowie eine Nichte des britischen Schriftstellers William Somerset Maugham; die befreundeten Künstler*innen Albino Galvano und Paola Levi-Montalcini waren wie Rama Mitglieder der künstlerischen Bewegung „Movimento per l‘ Arte Concreta“. Auch internationale Gäste haben ihre Spuren hinterlassen, etwa der Wiener Künstler und Mitbegründer des fantastischen Realismus, Ernst Fuchs.
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Begegnungen und Freundschaften in Turin
Ab Ende der 1940er-Jahre lädt Rama regelmäßig zu Salons in ihr Turiner Wohnatelier ein. In ihrer Heimatstadt ist sie bestens vernetzt. Neben der Ausrichtung eigener Feste besucht sie oft Ausstellungen und Veranstaltungen, wo sie sowohl prominente Persönlichkeiten der Stadt als auch Turiner Intellektuelle und Kreative trifft, die teils zu engen, lebenslangen Freund*innen werden. Darunter ist etwa Massimo Mila, ein Musikwissenschaftler und Widerstandskämpfer, der für seinen antifaschistischen Aktivismus gegen Mussolinis Regime Ende der 1930er-Jahre zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wird. Die Zeit im Gefängnis verbringt er u.a. damit, Johann Wolfgang von Goethes „Wahlverwandtschaften“ zu übersetzen. Nach Ende der Haft nutzt er die Freiheit, um sich Hermann Hesses „Siddhartha“ zu widmen und ein Dasein als Partisan zu führen.

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In der Nachkriegszeit lernt Rama außerdem den Autor Edoardo Sanguineti kennen, der zu einem ihrer engsten Freunde und kreativen Weggefährten wird. In den 1960er-Jahren prägt Sanguineti den Begriff der Bricolage für die Werke Ramas, in denen sie Malerei mit Alltagsobjekten wie Puppenaugen, Spritzen und Zigarettenhalter kombiniert. Die Bezeichnung entlehnt Sanguineti Claude Lévi-Strauss‘ „La pensée sauvage“ („Das Wilde Denken“), der damit das improvisierende Vorgehen naturnah lebender Kulturen beschreibt. Die Möglichkeiten für assoziatives Arbeiten und freie Kombinatorik überträgt Sanguineti auf das Werk seiner Freundin Carol Rama. In manchen der Bricolagen finden sich handgeschriebene Zeilen aus seinen Gedichten, etwa in der linken oberen Ecke von „XCV – C’è un altro metodo, per finire“ (1967).
Auch in der Bricolage „Omaggio a Carlo Mollino“ (1969), die sie ihrem Freund Carlo Mollino widmet, blickt uns ein Wesen mit taxidermischem Auge entgegen. Gegenüber von Ramas Studio kann heute eine Stadtwohnung besichtigt werden, die der italienische Architekt und Designer auf exzentrische Weise eingerichtet hat. Als Architekt war Mollino unter anderem an dem Bau des Teatro Regio und der Camera di Commercio in Turin involviert. Inspiration für seine Entwürfe fand Mollino, ein begeisterter Hobbypilot, Skifahrer und Wanderer, oft in der Natur.


Verbindungen in die internationale Kunstszene
Anfang der 1970er-Jahre lernt Rama über ihren Galeristen Luciano Anselmino auch internationale Kunststars wie Man Ray und Andy Warhol kennen. Insbesondere zwischen Rama und Man Ray entwickelt sich ein reger künstlerischer Austausch, wovon Man Rays Gedicht „La femme de sept visages“ ebenso zeugt wie Ramas Porträt des Künstlers von 1984. Beide verbindet das Interesse für Alltagsobjekte, die ihrem üblichen Verwendungszusammenhang entnommen werden, die Faszination für alles Deviante, Merkwürdige und Unorthodoxe sowie ein spezifisches Verständnis von Kunst: die Verwandlung von vermeintlich Banalem in etwas Magisches. In Begleitung von Anselmino und Man Ray unternimmt Rama in dieser Zeit viele Reisen – nach New York, Paris, Saint-Tropez oder nach Fregene bei Rom, wo sie Pier Paolo Pasolini treffen, der gerade den Dreh von „Die 120 Tage von Sodom“ abgeschlossen hat.
Die vielen Fußspuren auf der Leinwand in Ramas Atelier offenbaren folglich nur einen kleinen Ausschnitt der vielfältigen Kunst- und Intellektuellenkreise, in denen sich die Künstlerin über kurz oder lang bewegte. Ob langlebige Freundschaften oder einmalige Begegnungen: Carol Rama behauptete stets ihre Selbstständigkeit, doch sie war gewiss keine Einzelgängerin.


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