Polizist*innen auf Toilettenstreife

Trans Proteste im Vereinigten Königreich, London, Downing Street

20.06.2025

8 min Lesezeit

Welche Emotionen und Erfahrungen prägen die Proteste gegen die zunehmenden Einschränkungen von Transrechten im Vereinigten Königreich? Juliet Jacques begibt sich für eine fiktive Kurzgeschichte in die Rolle eines*r queeren Filmschaffenden, welche*r die Begegnungen und Gespräche während der Proteste in einem Tagebucheintrag Revue passieren lässt.

London, 19 April 2025

London, 19. April 2025

Kurz nach 13 Uhr kam ich in Westminster an und konnte kaum glauben, wie viele Menschen gekommen waren. Bei einer Vorlaufzeit von zwei Tagen hatten wir es geschafft, Tausende auf die Straße zu bringen – ich kam nicht einmal in die Nähe des Parliament Square, wo die Kundgebung selbst stattfand. Kein Vergleich also mit diesen armseligen kleinen Versammlungen von trans Personen ausschließenden Radikalfeminist*innen (TERFs), bei denen sechs Leute im Hyde Park Flyer verteilen. Auch wenn hier kein Wettbewerb aufgemacht werden soll, ist es doch so, dass die TERFs einander vor dem Supreme Court mit Champagner bespritzen, während wir schon wieder einen verdammten Samstag opfern müssen, um gegen diesen Mist zu protestieren. Wie in Großbritannien üblich, hat die Unterstützung der Bevölkerung keine Bedeutung, wenn die Medien entschieden haben, dass man vernichtet werden muss. Ich kann zwar meinen kleinen Dokumentarbericht für den YouTube-Kanal von Red Star News drehen, doch ändern wird er nichts …

Proteste in London, 19. April 2025
Image via itv.com

Ich habe keine Erlaubnis zum Filmen eingeholt – nahm einfach die Handkamera, es waren auch kaum Polizist*innen vor Ort. In Anbetracht all der von den Tories verabschiedeten Anti-Protest-Gesetze, gegen die Labour nichts unternommen hat (das Urteil des Supreme Court und die Richtlinie der britischen Gleichbehandlungsbehörde EHRC werden sie vermutlich auch nicht infrage stellen), hätte ich mehr Polizei erwartet, vielleicht aber war diese ebenso überrascht von dem Andrang wie ich. Ich trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „TRANSRECHTE SIND MENSCHENRECHTE“ sowie einen pink-blauen Button, und ich denke, man sieht mir ohnehin an, dass ich nicht-binär bin. Also bin ich einfach auf Menschen zugegangen und habe sie gefragt, inwieweit sie von dem Urteil betroffen sind. Die erste Person, die mir auffiel, war älter als der Großteil der Demonstrierenden – mit weißen Haaren und Gehstock. Sie erzählte mir, dass sie in den 1970er-Jahren ihre Transition durchlaufen hatte und 1988 in Manchester bei dem großen Protestmarsch gegen Section 28 dabei war, die den lokalen Behörden und somit auch Schulen die „Förderung von Homosexualität“ untersagte. Aufgrund des Gerichtsurteils sei sie nun motivierter denn je, sich für trans Menschen einzusetzen. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit gehabt – da aber die Menge weiterdrängte, konnte ich nur kurze Statements einholen. Ich fragte sie, ob sie bereit wäre, sich ein anderes Mal mit mir zu unterhalten, gab ihr meine Visitenkarte und versuchte, auf den Platz zu gelangen, wo die Demonstrierenden inzwischen die Polizeibarrikaden durchbrochen hatten.

Kontext

Am 16. April 2025 entschied der britische Supreme Court in einem einstimmigen Gerichtsurteil, dass sich die Begriffe „Mann“ und „Frau“ im Gleichstellungsgesetz von 2010 auf das „biologische Geschlecht“ beziehen, wobei es keine Rolle spielt, ob eine Geschlechtsanerkennungsbescheinigung (GRC) vorliegt. Den Prozess hatte die „genderkritische“ Gruppe For Women Scotland gegen die schottische Regierung initiiert. Nur wenige Stunden später gab die britische Kommission für Gleichberechtigung und Menschenrechte (EHRC) eine Richtlinie heraus, die den Ausschluss von trans und nicht-binären Menschen aus „geschlechtergetrennten“ Räumen wie etwa Krankenhausstationen und Sportvereinen empfahl, wie es von den britischen Medien bereits seit Jahren gefordert worden war.

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Ich filmte einige der Reden sowie eine Frau mit Schärpe, die sie als „Miss Trans Global Asia“ auswies, sie sprach alle anhielt immer wieder an, um mit allen Selfies mit ihnen zu machen. Während die Leute skandierten, pfiffen und trommelten, versuchte ich, nach vorne zu kommen. Dabei gelangen mir Aufnahmen von selbstgebastelten Schildern mit Parolen, die Premierminister Starmer und sein Kabinett, den Supreme Court und die EHRC, die H*rry-P*tter-Frau sowie einige der entsetzlichen britischen Kolumnist*innen angriffen. Weitaus mehr Menschen aber feierten Transfreude, -liebe und -power, was gut ankam bei den Redner*innen, die über Selbstmordraten und von den Medien orchestrierte „stochastische” Angriffe sprachen. Dabei bemühten sie sich um Optimismus und betonten, dass dies erst der Anfang unserer Gegenwehr sei.

Ich ging zurück auf die Straße, um weitere Interviews zu führen, und begegnete immer wieder Freund*innen – nicht nur trans Freund*innen. Die Stimmung war gut: Die Leute hatten Angst, waren aber auch wütend und trotzig, und die Bekundung von Solidarität tat ihnen gut. Ich sprach mit einem cis-heterosexuellen Paar, das erzählte, dass es wegen seines transsexuellen Sohnes gekommen sei, der verreist war. „Warum machen sich die Leute so viele Gedanken um Toiletten?“, fragte der Mann. „Das ist seltsam.“
„Sie definieren Frauen anhand ihrer Körperteile“, fügte seine Frau hinzu. „Haben wir etwa dafür gekämpft?“
Der Mann lachte. „Wie wollen sie das überhaupt kontrollieren? Mit Polizist*innen auf Toilettenstreife?“

Protest in London, 19. April 2025
Awsten Atkinson (links) und Daisy Watt äußerten sich entsetzt und ungläubig über das Urteil
Photo: Sonja Horsman/The Observer; Image via theguardian.com

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Ich fand, das wäre ein guter Titel für meinen Film, und schloss mich der in den St. James’s Park strömenden Menschenmenge an. Inzwischen war auch mehr Polizei aufgetaucht, doch kam es nicht zu Gewalt, die Stimmung war friedlich. Wobei Brendan Behan es allerdings so ausgedrückt hat: „Ich habe noch nie eine Situation erlebt, die ein*e Polizist*in nicht hätte schlimmer machen können.“

Glücklicherweise war niemand dazugekommen, um einen sinnlosen Streit anzufangen, und sie wären ohnehin deutlich in der Unterzahl gewesen.
Es folgten noch weitere Reden – ich schob mich (höflich) nach vorne und bat die Redner*innen um Erlaubnis, sie zu filmen. Durch das Gerichtsurteil hatte sich der Ton tatsächlich verändert: Wird der Trans Pride normalerweise von Poesie und Performances geprägt, so drehte sich nun alles um die Gesetzgebung. Auf die Medien ging niemand konkret ein – wir sind uns ja alle im Klaren darüber, dass die andauernden Attacken ihren Zweck erfüllt haben, nämlich Zustimmung für einen Rollback herzustellen, für eine Rückgängigmachung unserer Rechte. So hat die britische Bahnpolizei bereits angekündigt, künftig Männer für die Leibesvisitation von trans Frauen einzusetzen, und es sind zweifellos schon Verbote für die Teilnahme an Sportwettbewerben in Vorbereitung. Jemand sprach auch über die Angriffe der US-Regierung auf die US-amerikanische Gemeinschaft, über die Vorenthaltung von Gesundheitsleistungen, die Unterbringung von trans Frauen in Männergefängnissen und so weiter, und darüber, dass wir doch alle wussten, dass es auch hier passieren könnte, ohne dass die Rechtsextremen dafür an der Macht sein müssten.

Ein*e Demonstrant*in hält ein Schild während einer Demonstration anlässlich des Internationalen Tags der Sichtbarkeit von Trans Menschen in Lissabon am 31. März 2022 hoch
Image via wnycstudios.org

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Die Veranstaltung war in so großer Eile organisiert worden war, dass sie kein klares Ende hatte – als die Reden vorüber waren, begannen die Teilnehmenden sich zu zerstreuen. Zufällig begegnete ich einigen Freund*innen, die ich Jahre zuvor auf Twitter kennengelernt hatte, und ging mit ihnen gemeinsam zur Bushaltestelle, wobei wir uns über die Bearbeitung des von mir gedrehten Filmmaterials unterhielten. Zu Hause schloss ich meinen Bericht ab und stellte ihn auf YouTube. Dort fügte er sich sofort in eine Infrastruktur, die zuvor in Reaktion auf das Urteil des Supreme Court erstellt worden war – mit Ratschlägen, wie man an Abgeordnete und die EHRC schreibt, mit Beiträgen darüber, was das Gerichtsurteil bedeutet (und was nicht), mit Informationen über weitere geplante Proteste und mit Fotos von jenen des Wochenendes, die zeigen, wie viele Menschen auf unserer Seite sind. (Auf den Orkney-Inseln waren es fünfzig – mir war gar nicht klar, dass dort fünfzig Menschen leben!) Es fühlte sich an wie der Beginn einer neuen Phase der Organisation: Ich weiß nicht, ob wir die Umwandlung dieser furchtbaren Richtlinie in einem Gesetz verhindern können, wie es auch den Schwulen- und Lesbenverbänden 1988 nicht gelungen war, den Erlass von Section 28 zu stoppen. Dafür glaube ich, dass wir bereits den Beginn einer Bewegung gesehen haben, die letztendlich zur Aufhebung eines solchen Gesetzes führen wird.