Carlos Bunga hat im Kontext der Ausstellung WALK! eine Installation in der Schirn-Rotunde realisiert. Zwischen Architektur, Malerei und Performance greift er die Themen Heimat und Zuhause auf – und überlässt die Interpretation den Betrachtenden.

Die Schirn-Rotunde gehört fest zum Frankfurter Stadtbild. Ob auf dem Weg in eine Ausstellung oder beim Durchschreiten vom Römer zur Neuen Altstadt, vielen Frankfurter*innen ist sie so selbstverständlich, dass sie fast unsichtbar wird. Zugleich wird die Rotunde immer wieder zum beliebten Fotomotiv, da sie sich durch wechselnde Installationen zeitgenössischer Künstler*innen ständig wandelt. Carlos Bungas Installation „I always tried to imagine my home“ zieht die Betrachter*innen in ein surreales Spiel räumlicher Verdopplungen hinein. Mit ihrer Ästhetik des Vergänglichen rückt sie die Rotunde selbst neu in den Blick.

Was ist zu sehen?

Der Gesamtaufbau der Installation ist schnell zu erfassen und doch nicht leicht zu beschreiben. Ihre Grundform bildet einen Kreis im Kreis. Vor jeder der acht charakteristischen Beton-Doppelsäulen der Rotunde stehen ein oder zwei Vintage-Möbelstücke direkt auf den Pflastersteinen. Zu den Möbeln gehören ein niedriger runder Tisch mit einem Barhocker, ein mit weißem Satin bespannter Polstersessel, ein Buffet aus dunklem Holz mit Glastüren oder ein massiver Schreibtisch. Die Möbel stehen, wie in einer Art Wohnzimmer ohne Wände, zur Mitte des Raumes orientiert und tragen hoch aufragende Säulen aus Pappkarton. Diese ziehen den Blick nach oben, fast bis zum Ansatz der glasüberdachten Kuppel.

Ein architektonischer Doppelungseffekt

Horizontale Querstreben, ebenfalls aus Pappe, verbinden und stabilisieren die Säulen. Da sie die Geschosshöhen der Schirn aufnehmen, deren Position durch die gläserne Innenhaut der Rotunde sichtbar ist, verstärken sie den architektonischen Verdopplungseffekt, den bereits die Säulen hervorrufen, die ihrerseits Entsprechungen auf allen Geschossen des Schirn-Gebäudes finden. Die Säulen der Installation passen sich in ihrer Größe und Form den Möbeln an, aus denen sie hervorzuwachsen scheinen. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass sie dort mit braunem Packband festgeklebt sind – eine unkonventionelle Art, Architekturelemente miteinander zu verbinden. Einige der Säulen sind zur Mitte hin geöffnet und zeigen ihr hohles Inneres, andere sind rundum geschlossen. Auf ihrer nach außen weisenden ‚Rückseite‘ ist die gesamte Installation mit abwechselnd weißer, blauer, türkisener und gelber Farbe bestrichen.

Um was geht es?

Bereits ohne mehr über den Künstler oder seine Arbeit zu wissen, ist leicht zu erkennen, dass die Arbeit für diesen speziellen Ort entstanden ist. Das gilt nicht nur für die Konstruktion selbst, auch die Möbel, die aus einem Frankfurter Trödelladen stammen, haben einen lokalen Bezug. Obwohl die Geschichten dieser Möbel nicht im Einzelnen bekannt sind, sind sie dennoch latent präsent und spürbar. Die Möbel sind deshalb nicht nur Material und statische Träger, sondern auch inhaltlicher Nährboden der Installation. Sie wecken die Assoziation eines Innenraums und vermitteln eine merkwürdige Intimität, da sie – zumindest vermeintlich – Einblicke in das Privatleben unbekannter Menschen geben.

Bunga richtet in der Rotunde aber kein heimeliges Wohnzimmer ein, sondern arbeitet mit dem Motiv der Entfremdung. Er bricht mit tradierten Vorstellungen und Gewohnheiten. Mit dem unwahrscheinlichen Aufeinandertreffen von Pflastersteinen und Wohnzimmeratmosphäre kommentiert Bunga nicht zuletzt den Ort, der weder Außen- noch Innenraum oder eben beides zugleich ist. Wie der Titel der Arbeit „I always tried to imagine my home“ verrät, geht es dann auch um eine eher abstrakte Vorstellung von Heimat und Zuhause, die schwer zu greifen, fragil und flüchtig ist. Bunga, der sich selbst gerne als Nomade bezeichnet (im übertragenen Sinne, tatsächlich lebt er seit einigen Jahren mit seiner Familie in Barcelona), kontrastiert das Gefühl der Rastlosigkeit und der fortwährenden Suche mit der Imagination von Heimat und Geborgenheit und zeigt, dass sich beide gegenseitig bedingen.

Malerei wird Architektur

Carlos Bunga sprengt mit seinen Arbeiten die Medien- und Gattungsgrenzen. Fragt man ihn, in welchem Medium er arbeitet, nennt er zuerst die Malerei. Malerei war der Schwerpunkt seines Kunststudiums und sie bleibt bis heute sein Zugang zur Kunst. Auch für die Frankfurter Installation ist der Einsatz von Farbe zentral. Dabei finden sich die hier verwendeten Farbtöne in Bungas Werken häufiger und lassen Assoziation zu seinem Herkunftsland Portugal zu, ohne jedoch direkt darauf zu verweisen. Die Farbe wirkt matt und porös, an manchen Stellen ist sie abgeplatzt, was zur bereits erwähnten Ästhetik der Vergänglichkeit beiträgt und auf die Zeitlichkeit und Prozesshaftigkeit der Arbeit verweist.

In Interviews betont der Künstler, dass er als Student mit den Möglichkeiten der Malerei zunehmend unzufrieden war und nach Wegen suchte, das Medium in den Raum hinein zu erweitern. Damit schlug er einen Weg ein, den die Kunst bereits seit den Nachkriegsjahrzehnten beschreitet – zum Beispiel im Kontext der Post-Minimal-Art. Bunga nahm die Verräumlichung der Malerei zunächst wörtlich und schuf beispielsweise ein Gemälde in Form einer Leinwand mit einem vertikalen Reißverschluss in der Mitte.

Das Werk als begehbarer Raum 

In einer performativen Aktivierung des Werks öffnete er die Leinwand, um sie anschließend zu betreten und damit als begehbaren Raum zu markieren. Zugleich begann er, von einer Faszination für die Schönheit ruinöser Bauwerke getrieben, über den bildlich-malerischen Charakter der gebauten Umwelt zu reflektieren. Von hier aus war es kein Weiter Weg mehr, Architektur als Malerei und Malerei als Architektur zu betrachten. In seinen Installationen verschmelzen die beiden Medien zu einem großen gestalteten Ganzen.

Male­rei war der Schwer­punkt seines Kunst­stu­di­ums und sie bleibt bis heute sein Zugang zur Kunst

Architektur wird Performance

Bungas Rotunden-Installation folgt den klassischen Konstruktionsprinzipien von Tragen und Lasten und lässt einen temporären architektonischen Raum entstehen. Durch die Imitation der umliegenden Architektur wird dabei die Aufmerksamkeit bewusst auf die Architektur der Rotunde gelenkt. Man könnte sagen, die ephemere ‚Kopie‘ verhelfe dem ‚Original‘ zu größerer Sichtbarkeit und lädt dazu ein, auch über dessen Konstruiert-Sein und seine Vergänglichkeit zu reflektieren. Denn auch ‚solide‘ Architektur  ist nur vermeintlich von Dauer. So stand die Rotunde im Zuge der Planungen der Neuen Altstadt bereits zur Disposition und ein kleiner Teil der Schirn, der sogenannte Tisch, wurde in diesem Zusammenhang tatsächlich abgerissen.

Vergängliche und leicht formbare Materialien

Trotz der großen Nähe zur Architektur arbeitet Carlos Bunga nicht wie ein klassischer Architekt, der sich mit Maßen, Plänen und Statik auseinandersetzt Bunga arbeitet bewusst ohne Pläne, Modelle oder Skizzen. Wenn er zeichnet, dann erst nachdem eine Installation fertiggestellt ist, um sich weiter mit der Arbeit zu beschäftigen. Seine Materialien – Pappkarton, Klebeband und Farbe – sind zudem vergänglich und leicht zu formen. All das ist wichtig, da seine Arbeiten bewusst aus einer direkten, physischen Auseinandersetzung mit dem Ort entstehen. Sie wachsen gleichsam organisch aus ihm hervor, was zu einem besonderen Bezug zwischen Kunstwerk und Umraum führt.

Bungas Installation gibt keinen Betrachter*innenstandpunkt vor. Um sie in ihrer Gesamtheit zu erfahren, muss sie durch- und umschritten werden. Damit hält sie für die Betrachtenden eine körperliche Erfahrung bereit. Sie provoziert einzutreten, im Gehen (WALK!) zu erkunden und damit Teil des Werks zu werden. Auf diesen performativen Aspekt legt Bunga besonderen Wert. In der Vergangenheit lud er sogar professionelle Performer*innen zur Interpretation seiner Arbeiten ein. Für die meisten seiner Installationen – das wird auch in Frankfurt der Fall sein – inszeniert er zum Abschluss der Ausstellungsdauer ihre performative Zerstörung beziehungsweise De-Konstruktion. Diesem durchaus gewaltsamen Akt zum Trotz geht es dem Künstler nicht um Zerstörung, sondern erneut um den Prozess und die Flüchtigkeit, mit der immer auch das Versprechen von Erneuerung und Transformation einhergeht.

CARLOS BUNGA. I ALWAYS TRIED TO IMAGINE MY HOME

18. Februar – 22. Mai 2022

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