Fußball, Wahlkampf oder True-Crime: Der Frankfurter Illustrator Julius Klemm widmet sich vielen spannenden Themen. Seine detail- und actionreichen Bilder füllen renommierte Zeitungen und Magazine.

Ein Altbauwohnhaus mit lila Fassade, das sich an einer belebten Ecke an der Hanauer Landstraße im Frankfurter Ostend befindet. „Ich mag es, wenn draußen vor dem Fenster etwas los ist“, sagt Julius Klemm, der hier zusammen mit seiner Freundin und der sieben Monate alten Tochter im zweiten Stock wohnt. „Der Stil meiner Freundin ist eher spartanisch, ich bin mehr so der Sammlertyp. Bei der Einrichtung haben wir einen Mittelweg gefunden.“

Die beiden hohen Regale in seinem Arbeitszimmer zeugen von einer Leidenschaft für Deutschrap, Gangsterfilme, Kunst und frankobelgische Comics der Reihe Spirou und Fantasio. An einer Wand hängen handsignierte Fotos von Al Pacino und Frank Sinatra. Den Schreibtisch vor dem Fenster, ein Modell für Kinder, bekam Klemm einst zur Einschulung geschenkt. Auf der extrem schrägen Arbeitsplatte („Mein Rücken und mein Nacken danken es mir“) liegt ein I-Pad. Die App Procreate ist sein wichtigstes Werkzeug.

„Da habe ich gemerkt: Auch Profis finden gut, was ich mache“

„Als Kleinkind habe ich so gut wie gar nicht gezeichnet, das fing erst in der Schule an“, erinnert sich Klemm. Seine bevorzugten Motive damals waren „so Jungszeug: Flugzeuge, Astronauten, Monster, die wild um sich ballern.“ Sein Fachabitur machte er an einer Fachoberschule fürs Gestaltung. Ein Lehrer hatte ihm dazu geraten. Später studierte er an der HfG Offenbach. Als ihn eine Redakteurin des Zeitverlags via Instagram für einen Auftrag anfragte, war das ein Schlüsselmoment. „Da habe ich gemerkt: Auch Profis finden gut, was ich mache. Also kann ich damit Geld verdienen. Vorher habe ich vor allem für mich selbst gezeichnet und es waren fast immer nur meine Freunde, die mir dafür auf die Schulter geklopft haben.“

Foto: Neven Allgeier

Anders als andere Illustrator*innen, lässt Klemm sich nicht von einer Agentur vertreten. Zu seinen Aufgaben gehört es deshalb auch, Portfolios zu verschicken, um Werbung in eigener Sache zu machen und den Erstkontakt zu Kund*innen herzustellen. „Genau das finde ich aber auch cool“, sagt er. Er arbeitet für viele renommierte Zeitungen und Magazine. In den Periodika ZEITmagazin MANN und ZEITmagazin VERBRECHEN ist Klemm vor allem für True-Crime-Formate zuständig: Regelmäßig illustriert er Geschichten, in denen gesellschaftlich relevante Kriminalfälle nacherzählt und analysiert werden. Für die TAZ hat er schon die Berichterstattung zu einigen Landtagswahlen mit Zeichnungen begleitet. Das Fußballmagazin 11FREUNDE zählt ebenfalls zu seinen Auftraggeber*innen. „Oft wird dort über historische Spiele berichtet, zu denen es kein gutes Fotomaterial gibt. In solchen Fällen werde ich angefragt.“

„Ursprüng­lich komme ich aus der Wimmel­bil­de­cke“

Seine Zeichnungen sind atmosphärisch, detailreich und oft voller Actionszenen. „Ursprünglich komme ich aus der Wimmelbildecke. Geprägt wurde ich zum Beispiel von Ali Mitgutsch, der vor kurzem gestorben ist. Aber auch von Gemälden der Alten Meister. In Berlin bin ich mit meinen Großeltern oft ins Museum gegangen.“ Im Alter von zwölf Jahren zog Klemm von der Hauptstadt ins Rhein-Main-Gebiet. Sein Vater trat dort einen Job bei der Flugsicherung an. Auch die Tim-und-Struppi-Comics mit ihrer klaren Linie waren lange Zeit ein Vorbild für Klemm.

Foto: Neven Allgeier

Irgendwann wurden seine Zeichnungen dann aber immer komplexer. Der Kleidung von Figuren begann er, realistische Faltenwürfe zu zeichnen. Gegenstände bekamen Schatten verpasst. Zum Thema Zweiklassenmedizin bei Beinprothesen hat Klemm vor kurzem eine hollywoodreife Szene gezeichnet, in den Kassenpatient*innen auf einer Autobahn im Stau stehen, während Privatpatient*innen auf einer zweiten Spur vorbeirasen.

„Mein Stil kommt wohl ziem­lich masku­lin rüber“

Eine andere Arbeit wurde tatsächlich von einem Filmklassiker inspiriert: Für ein Action-Quartett im Buddy-Mag steuerte Klemm eine Spielkarte bei. Das Motiv: Bruce-Willis als John McClane aus „Stirb Langsam“, der an einem Feuerwehrschlauch hängend durch die Scheibe eines Hochhauses kracht. „Mein Stil kommt wohl ziemlich maskulin rüber“, vermutet Klemm. „Ich denke, man sieht sofort, dass die Zeichnungen nicht von einer Frau stammen. Deshalb bekomme ich auch oft Themen vorgeschlagen, die als typisch männlich gelten. Darauf möchte ich mich aber nicht festlegen lassen.“

Foto: Neven Allgeier

Klemms Aufträge beginnen in der Regel mit einem Entwurf, der seinen Kund*innen einen ersten Eindruck vermitteln soll und als Grundlage für die eigentliche Arbeit dient. „Meist fange ich mit einer Skizze an oder baue eine Kollage mit Photoshop“, erzählt er. Statt Zeichnungen, die erst in einem späteren Arbeitsschritt am Computer entstehen, kommen dabei Fotos zum Einsatz. „Ich verfüge über einen großen Bilderschatz, rund 5000 Fotos, auf die ich zurückgreifen kann. Wenn jemand zum Beispiel einen Wald braucht, dann muss ich nicht erst losfahren, um einen zu fotografieren.“ Diese ersten Entwürfe sind Schnellschüsse, bei denen manchmal auch ein bisschen getrickst wird, verrät Klemm. „Für einen Kriminalfall, der in einer schwäbischen Kleinstadt passiert ist, habe ich mit Fotos von Alt-Sachsenhausen gearbeitet. Für eine Fußballgeschichte, die im Ostseestadion in Rostock spielt, bin ich zum FSV gegangen, um dort Tribünen zu fotografieren.“

Hin und wieder ist Klemm aber auch ganz nah dran am Geschehen: Vergangenes Jahr saß er für das ZEITmagazin als Gerichtszeichner in einem Prozess am Frankfurter Oberlandesgericht. Verhandelt wurde der Fall des IS-Anhängers Taha Al-J., der wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde. So spektakulär der Fall auch war, so nüchtern und langweilig sei streckenweise die Verhandlung im Hochsicherheitsgerichtssaal gewesen, erzählt Klemm. „Genau das wollte ich in meinen Zeichnungen auch zeigen.“

Foto: Neven Allgeier

Klemm arbeitet vielseitig – und viel. „In den vergangen Wochen habe ich an sieben Aufträgen gleichzeitig gesessen.“ Seit der Geburt seiner Tochter, deren Wickelkommode in einer Ecke des Arbeitszimmers steht, beginnt sein Tag oft schon um 4 Uhr morgens – nicht immer ganz freiwillig. „Wenn sie nicht schläft, kann ich auch nicht schlafen. Und wenn ich schon wach bin, dann kann ich auch gleich arbeiten“, erklärt er. Neben seinen Auftragsarbeiten gibt Klemm an der Freien Kunstakademie Frankfurt Zeichenkurse für Kinder und Erwachsene – zu Pandemiezeiten auch online. Außerdem ist da noch ein Langzeitprojekt – eine Serie von 100 Plakaten, die von Gangsterfilmen inspiriert sind. Klemm sucht noch nach einem Verlag, der seine Zeichnungen als Buch herausbringen will. „Leider haben Comicverlage oft ein bisschen Angst vor frischen Projekten. Sie drucken lieber noch mal einen Asterix-Band, weil sie wissen: Das hat eine Fan-Base. Das wird sich verkaufen. Ambitionierte Projekte bleiben da manchmal leider auf der Strecke.“

Foto: Neven Allgeier
Edition mit Zeichnungen von Julius Klemm

NEU! SCHIRN BOOKCLUB

Im neuen BOOK­CLUB der SCHIRN lesen wir gemein­sam Texte im Kontext der Ausstel­lung KUNST FÜR KEINEN, um neue Perspek­ti­ven zu eröff­nen und Brücken zur Kunst zu schla­gen. Die Publikation dazu hat Julius Klemm illustriert!

Alle Infos & Anmeldung