In the Mood for Softness
03.12.2025
10 min Lesezeit
Zwischen Zeitdruck und Zeitlosigkeit; Sendepause und Sendungsbedürfnis sinniert Paulina Czienskowski über das Liegen als Tugend und politische Praxis.
Alles ablegen & weich werden
Ich stelle mir vor, wie ich mich daran erinnere, kürzlich im Radio vom „Space-Out“-Wettbewerb in Südkorea gehört zu haben. 90 Minuten nichts tun. Rumliegen und Schauen als Sportart. Und ich frage mich, ob jeder Geist im Schwebezustand Kilometer läuft, sobald sich die Augen schließen. Ob jeder Geist den Tag entlang der Tasten geht, die sich hinter den Lidern abzeichnen. Ob jeder Geist ein Schiffskranker ist, der im Liegen ganze Bücher schreibt, kurz bevor der Kopf ausgeht.
Ich stelle mir vor, wie ich eine Handvoll Stunden spazieren gehe und der Faden in meinem Hirn einfach nicht abreißt. Er reißt nicht oder ich lasse ihn nicht. Er wurmt sich hinein in jene Welt, die sich hier vergessen lassen könnte. Und ich will ja den Abriss, will die Stille. Alles ablegen, weich werden, trotz Welt, trotz Kindhaben, trotz Erinnerungen … oder gerade wegen alldem. Weich, wie die Moosflächen zwischen den Fichten. Ich habe ein Video davon gemacht, wie meine Finger mit den silbrig-manikürten Nägeln sanft die Stelle abgehen, die aussieht wie ein Herz, Moment, hier, schau, und ich poste es in meiner Story. Ich warte auf Reactions, von vielen und von den richtigen.
Ich stelle mir vor, wie ich mich hier immer wieder im Liegen versuche, nur das. Und wenn ich wirklich nur liege, fühlt es sich an, als würde mir Großes gelingen. So wie: Film zu Ende schauen. Oder: Dieses Buch lesen, das Tag für Tag mit anderen wie Kuscheltiere mit ins Bett kommt, unberührt bleibt und meist am Bettende irgendwann in Vergessenheit gerät. Hier draußen also endlich das Große in der Horizontalen schaffen. Und dann wahrnehmen, dass die Luft auf einer Lichtung nach krossem Toast mit Butter und Marmelade zum Frühstück roch, so wie manchmal im anbrechenden Herbst. Und dann Menschen auf dem Zeltplatz hören, am See, ihre Worte nicht erkennen, ihren Kurven ohne Syntax trotzdem folgen, dabei beobachten, wie die Silben nach Satzanfängen greifen und sie gänzlich bedeutungslos in mich eindringen. Und dann Lachen hören, ein Bellen darunter / darüber, das Kind, den Takt vom Volleyball, den Flügelschlag vom Eichelhäher. Und dann: der Ruf eines Users. Natürlich kann ich nicht ablassen vom Nervenuhu, dem Telefon, von der Welt, von der ich kurz Abstand nehmen will. Aber immerhin liege ich noch. Und gleich schon erscheinen mir Umwege zu einem Ziel, das gar keins ist, aber mich rennen lässt, bis mich Nan Goldin zufällig in einem Video mit einem Satz, der klingt wie ein Slogan, daran erinnert: Don’t think that it’s okay to live in your phone.
Liegen als Tugend & politische Praxis
Ich stelle mir vor, wie mein Körper in der Dämmerung am Ufer schwer wird. Sämtliche Grenzen verlaufen, auch die meines Körpers, der einsinkt, hinein in den Boden, durch Nadeln und Sand und Ton und Wurzelgeäst hindurch, bis zum Grundwasser vielleicht. Ich denke an Verweigerung, ja, an Revolution. Und ich muss lachen, weil wenn schon ein Liegen zur kleinsten Anarchie wird, was kommt dann? Der Bruch mit dem System als Kind und Erwachsene – wenn es denn so einfach wäre – im Liegen unterm Tisch, den Kopf auf einem Schoß / auf dem Teppich im wärmenden Lichtkegel der Sonne / in der Hängematte wie in einem Kokon / auf dem Duschboden mit Gänsehaut vom warmen Wasser / am Fuß eines Windrads, dem Windschatten folgend, der das Feld schneidet, und so weiter.
Ich stelle mir vor, wie ich am Abend im Zelt liege und dabei Heike Geißlers Stimme zuhöre, die das Liegen in einem Text exerziert. Nutze deine Zeit, verliere keine Zeit, lässt sich kaum ablegen. Geißler konjugiert das Liegen sozusagen durch, meditiert darüber. Und ich merke mir: „Sie dürfen die Liegende nicht mit einer Faulen verwechseln, wenngleich sie der Faulheit bedarf, sich nach Faulheit sehnt […] Ich läge gern einigen zu Fleißigen im Weg.“ Das Liegen als Tugend, als politische Praxis. Ich drehe mich auf der Isomatte und denke, dass ein Liegen doch eher Bedürftigkeit markiert. Das erzwungene Liegen. Das Liegen einer Versagerin. Niemand liegt nur so, oder? Bedürftigkeit gleich Schwäche. Bedürftig zu sein oder Bedürftige zu versorgen, wird per se dem Weiblichen zugeschrieben, ist also nichts wert. Wenn Liegen überhaupt, dann für Selfcare, dann aus Luxusgründen. Hier auf der Matte vermerke ich nichts anderes. Und die Matte wird zur Insel, die Welt um mich auf ihr mauselochklein, isomattenklein, weil alles drum herum kurz egal ist.
Zeit schinden & gewinnen
Ich stelle mir vor, wie ich nachts im Zelt wachbleibe, um dem System Zeit zu stehlen, die es mir am Tag stiehlt. Revenge Bedtime Procrastination. Während einer meiner nächtlichen Prokrastinationen habe ich davon gelesen. Wie ich mich auch zwischen Nadelbäumen im Kapitalismus zu behaupten versuche und dabei meinen bettwarm-feuchten Körper in meinem Jugendzimmer erinnere, der stundenlang im Liegen glotzte oder telefonierte, bis er zu fossilieren schien, ihn dann irgendwann der Schlaf holte und mich aus jeder Verbindung riss. Schon da wollte mein Körper Zeit schinden, welche gewinnen. Nachts im Zelt höre ich tierische Schritte und ein Schnarchen von irgendwo, während ich ins Dunkel meiner Zeltspitze starre und endlich still werde, kurz, denn gleich darauf zieht ja doch die Welt ein, gewaltig, ja, bricht das Stille. Von wegen isomattenklein. Und ich stolpere, über Fetzen und Blitze und lose Puzzleteile, über die Toten und Fast-Toten, die mir wieder erscheinen. Denke an die Zeile von Nadja Küchenmeister: „Man kann die Toten nicht vergessen, aber die Toten vergessen uns“. Dabei will ich nur wachliegen, um die Nacht genau zu diesem Gegenraum zu wandeln, der mich endlich freilässt. In dem mich nichts unterbricht und niemand was von mir braucht. Will der Zeit ein Schnippchen schlagen und riskiere den Schlafmangel. So wandeln meine Zweifel entlang der Erschöpfung oder meine Erschöpfung entlang der Zweifel.
Ich stelle mir vor, wie ich morgens, mein Blick auf den See, lese, was Kay Matter in einem Interview über Crip Time erzählt. Die queerfeministische Disability-Theoretikerin Alison Kafer prägte das Konzept, das eine Unterbrechung normativer Zeitlichkeit in Bezug auf Menschen mit Behinderung beschreibt. Matter wendet es unter anderem an aufs trans* Sein. Wie ich dabei an den ebenso spätpubertären Zustand einer Gebärenden in den ersten zwei Jahren denke, an mich, daran, dass meine bloße Existenz das System immanent störte, mich aber nicht etwa widerständig fühlte, sondern mich aufrieb, wie man es von mir erwartete. Ich bekam mein Kind und peitschte mich schnell-schnell ständig wieder in Spur. Ich verweigerte mich nicht der Normierung von Zeit und akzeptierte auch nicht meine sich verändernden Hirnteile, die Regression. Meine Körperlichkeit, die Fürsorge und Abhängigkeit – alles davon war neu. Nur die Spuren des Mangels in mir knüpften weiter fleißig an ihrem Band.
Ich stelle mir vor, wie ich in den See hineingleiten, schwerelos zwischen den Ufern treibe. Blick in den Himmel. Wie ich tief einatme, halte, dann ausatme. Regeneration. Ich atme die Verklebungen zwischen den Rippenbögen weg – mehrmals gegoogelt, nie gemacht, jetzt ist der Moment. Und ich denke beim Treiben im noch vom Sommer aufgewärmten Seewasser darüber nach, wie es sich anfühlen könnte: das Atmen, das morgendliche Dehnen, das Dankbarkeits-Tagebuch, das Ausschütteln, die handyfreie Zone Bett.
Sperrholz, Farbe, 90 × 200 × 55 cm, Bildbeschreibung: Eine blaue Bank in einem Ausstellungsraum. Weiße Buchstaben auf der Bank bilden den Satz „ICH BRAUCHE EINE PAUSE. RUHEN SIE SICH AUS, WENN ES IHNEN ÄHNLICH GEHT.“
„When we can be alone, we can be with others without using them as a means of escape.“
bell hooks, „All About Love“ (2018), S. 140
(Un-)Glück in der Grenzenlosigkeit von Verbindungen
Ich stelle mir vor, wie ich Sprachnachrichten aufnehme, zwölf Minuten 38. Wie ich bemerke, dass die Erklärungen für wachsende Voicenote-Längen während der Lockdowns begannen, die überlangen Sprachnachrichten sich bei mir im Kindhaben manifestierten und nun als selbstverständliche Kulturpraxis geblieben sind. Ich teile in den Memos aus dem Wald, wie ich mich beim Campen fühle, bevor ich probiert habe, wirklich was zu fühlen. Wie ich Antworten abhöre, endlose auch, im Schnelldurchlauf. Wie die x2 Wörter verschluckt. Und weil es trotzdem geht, weil ein Schnelldurchlauf Symptome bekämpft und uns vorgaukelt, das hier alles noch im Griff zu haben, was uns dirigiert, obwohl alles zu viel ist für unsere zeitlichen Grenzen, pressen und pressen und pressen wir weiter, und mutieren zu Cartoon Charactern.
Ich stelle mir vor, wie ich denke: Die Einsamen verlieren sich. Wir alle sind einsam. Wir scrollen. Tatsächlich liegen mein Glück und mein Unglück in der Grenzenlosigkeit von Verbindungen. Und mir fällt ein weiteres Mal der Satz von bell hooks ein: „When we can be alone, we can be with others without using them as a means of escape.“ Ich google ihn, mache einen Screenshot, lade ihn in meine Story und auch die Zeilen von Vincenzo Latronico: „Es war, als würde man sich in einem von Menschen wimmelnden Stadion telepathisch mit ihren Gedanken verbinden. Tatsächlich war es mit nichts zu vergleichen, weil es etwas Neues war.“
Ich gehe endlich alleine campen und sitze auf den Stufen zum Wasch-Container, weil da das Netz einigermaßen gut funktioniert. Ich schaue mich um. Scrollende Teenager und ein paar andere, unser aller Daumen und Zeigefinger allzeitbereit zum Zoom, und wie ich denke: Im Grunde sind wir alle Junkies. Die Pose meines Körpers ist bekannt. Sie wirkt erstarrt. Ich bin wie der Teil einer Performance zu dieser Gegenwart. Ich denke an den Halbsatz von Marius Goldhorn, „wie gefrorener Kabeljau im blauen Licht der Displays“, schreibt er, als ich sehe, was das Licht vom Handy aus meinem Gesicht macht. Das verräterische Selfie schicke ich einer Freundin mit den Sätzen: Was ist schlimmer als ein Funkloch? Ein halbes Funkloch!

