Highlights der Kurzfilmtage Oberhausen

Ulu Braun: Gerhard, 2025, Filmstill
© Ulu Braun

Die Kurzfilmtage Oberhausen glänzen dieses Jahr durch stilistische wie auch inhaltliche Vielfalt: Von Kurzfilmen aus der DDR über Archivfunden der ungarischen Künstlerin Dóra Maurer bis hin zu zeitgenössischen Kunstproduktionen. Hier sind unsere Highlights!

Lorem Ipsum

„Je länger diese Vorführungen dauern – und sie dauern mitunter bis zwei oder drei Uhr morgens –, desto schwerer fällt es eigentlich, diese Leinwandexzesse einfach als Blödsinn abzutun“, kommentiert ätzend vor einer Kamera stehend Gerhard Scheumann, der einst die Kurzfilmtage Oberhausen für das DDR-Fernsehen besuchte. In ihrem polemischen Dokumentarfilm „Wink vom Nachbarn“ (1966) rechneten Scheumann und sein Kollegen Walter Heynowski mit dem ältesten Kurzfilmfestival der Welt ab. Statt politischer Selbstkritik entdeckten sie im Kino nur „eine Woge der Perversität“, statt Volkes Stimme, sei im Kino weit und breit nur die vergnügungssüchtige Kulturindustrie am Werk, die den Bezug zur Straße vollkommen verloren habe. Dem avantgardistischen Kunstfilm konnten sie derweil überhaupt nichts abgewinnen.

Gerhard Scheumann und Walter Heynowski: Wink vom Nachbarn, 1966, Filmstill
© Harry Hornig

Lorem Ipsum

Knapp sechzig Jahre später lief Scheumanns und Heynowskis Schmähwerk nun bei der 71. Ausgabe der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen über die große Leinwand, und sorgte dort für interessierte Lacher. Im Rahmen der Reihe „Umwege zum Nachbarn“ widmete sich das Festival dem DDR-Film, derweil Kurator Felix Mende in Gesprächsrunden rund um die Filmvorführung die ambivalente Beziehung zwischen den Kurzfilmtagen und der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik thematisierte. So liefen in Oberhausen zwischen 1955 und 1990 über 150 Filme aus dem selbsternannten Arbeiter- und Bauernstaat, nicht selten Werke, die dort der Zensur zum Opfer gefallen waren. Dabei stehen hier im Zentrum nicht zwingend die von Scheumann und Heynowski so lautstark geforderten politischen Filme.

Neben Kurzfilmdokumentationen über eine Trümmerfrau oder junge Ehepaare in Potsdam begleitet Bernd Sahling in „Aber wenn man so leben will wie ich“ (1988) den Ost-Punker Stummel, der in seinem Leben keinerlei Verantwortung übernehmen möchte, während er sich vor der Kamera liebevoll um seine Tochter kümmert. In Gesprächen mit dem gesellschaftlichen Aussteiger und dessen Mutter, die wohl Verständnis für ihren Sohn aufbringt, gleichzeitig aber zu wissen scheint, dass er so im Realsozialismus kein einfaches Leben haben wird, wirft Sahling den Blick auf eine kaum beachtete Subkultur innerhalb der DDR, die von der Elite des Landes argwöhnisch betrachtet wurde.
Jürgen Böttcher wiederum übermalt in seinem Film „Frau am Klavichord“ (1981) 27 Kunstpostkarten eines gleichnamigen Gemäldes des niederländischen Malers Emmanuel de Witte. Mit schwarzen Schatten verfremdet Böttcher das Motiv immer weiter – ungute Kräfte scheinen hier am Werk zu sein, die das in sich ruhende Bild immer weiter dekonstruieren.
Und auch Scheumann und Heynowskis Film „Kommando 52“ (1965), der das bestialische Treiben der gleichnamigen Söldnergruppe des ehemaligen NS-Oberfähnrichs Siegfried Müller im Kongo schildert, lief nun in Oberhausen. 1965 wurde der Film aus reglementarischen Gründen abgelehnt – wohl ein Grund für den boshaften Verriss durch das Regie-Duo ein Jahr später.

Junger Mann mit Irokesenfrisur hält ein Baby, beide wirken aufmerksam in einem schlichten Raum.
Bernd Sahling: Aber wenn man so leben will, 1988, Filmstill
© Bernd Sahling
Jürgen Böttcher: Frau am Klavierchord, 1981, Stilmstill

Historische Filme aus den Archiven

Überhaupt konnte man auf der diesjährigen Ausgabe des 1954 gegründeten Kurzfilmfestivals etliche historische Werke sehen, die sonst in Filmarchiven dahin darben. Eine Retrospektive über die ungarische Künstlerin Dóra Maurer präsentierte Arbeiten aus drei Jahrzehnten. Maurer, eingebettet in das rege Schaffen der ungarischen Neo-Avantgarde, ist seit jeher fasziniert von Varianzen einer nahezu obsessiv betriebenen Wiederholung, die in dieser immer wieder neue Möglichkeitsräume eröffnet. Was die Künstlerin sonst in Malerei, Fotografie oder Performance erprobt, wird hier mittels genuin filmischer Mittel umgesetzt. „Learned Spontaneous Movements“ (1973) wiederholt in einer Art Filmexperiment Sequenzen einer lesenden jungen Frau. Die scheinbar dokumentarische Darstellung gerät zunehmend ins Stolpern, als sich zunächst die Ton-, dann die Bildspur ineinander verschieben und Maurer so einem zunächst eindeutigen Szenario neue Bedeutungsebenen abtrotzt.

09:20

Lorem Ipsum


„Looking for Dózsa“ (1973) thematisiert nahezu kindlich-spielerisch die austauschbaren Deutungsebenen nationaler Ikonografie – hier am Beispiel des Nationalhelden György Dózsa, derweil Maurer in „Space Painting“ (1983) dokumentiert, wie sich eine zweidimensionale Grafik in die reale Welt übersetzen lässt. Ausgehend von Lichtbrechungen in Wolken oder Farbspiegelungen in einem Bach entsteht zunächst ein grafischer Entwurf, den Maurer dann im österreichischen Schloss Buchberg auf die verwinkelten Wände überträgt. Der gut 30-minütige Film ist dabei nicht nur Dokumentation ihrer Arbeit, sondern exerziert zugleich die Wahrnehmungsweise des filmischen Auges durch: wie verhalten sich Blendenöffnung der Linse oder die Lichtempfindlichkeit des Filmmaterials zu der aufgenommenen Realität? Was fügen sie ihr hinzu, was verschweigen sie?
Dóra Maurers Filme, die inzwischen auf DVD erhältlich sind, begeistern heute noch: sie lassen nachvollziehen, wie eine abstrakte Malerin das Medium Film mit seinen spezifisch eigenen Mitteln und Möglichkeiten erobert – eben nicht als bloße Dokumentation oder Ersatz für andere künstlerische Ausdrucksformen.

Person malt bunte geometrische Muster auf den Boden, neben einem Eimer mit Farbe und Pinsel.
Dóra Maurer: Space Painting, 1983, Filmstill
© the artist

Lorem Ipsum

In der Reihe „Distributor’s Collection“ lud unter anderem das Berliner Institut für Film und Videokunst Arsenal dazu ein, Filme aus deren Verleih zu entdecken. Sarah Maldorors Film „Monangambeee“ (1969) thematisiert in expressivem Schwarzweiß die Demütigung der angolanischen Bevölkerung durch die portugiesische Kolonialmacht. Den fesselnden, avantgardistischen Soundtrack steuerte das Art Ensemble of Chicago kostenlos bei, so begeistert waren die afroamerikanischen Ausnahemusiker von Maldorors antikolonialistischem Werk.

In Zusammenarbeit mit Saodat Ismailova durchforstete die kasachische Regisseurin Dana Iskakova das Archiv des Arsenals. Für „Whose Voice is This?“ (2024) montiert sie aus zentralasiatischen Filmen eine beeindruckende Collage, die den wechselhaften Einfluss der Sowjetideologie auf die regionale Filmlandschaft von den 1960ern bis in die 1990er-Jahre nachzeichnet.

Ein Schwarz-Weiß-Bild von zwei sich umarmenden Personen, während eine dritte Person im Hintergrund zuschaut.
Sarah Maldoror: Monangambee, 1969, Filmstill
© Sarah Maldoror
Zwei Pferde galoppieren entlang von Schienen in einer kargen, felsigen Landschaft in Schwarz-Weiß.
Dana Iskakova: Whose Voice is This?, 2024, Filmstill
© Dana Iskakova

Stilistische wie inhaltliche Vielfalt

In den Wettbewerbsreihen widmen sich die Kurzfilmtage Oberhausen naturgemäß ganz dem zeitgenössischen Film. In diesem Jahr wird einmal mehr deutlich, welche ungemeinen Freiheiten dem Kurzfilmformat innewohnt. Von formstrengen dokumentarischen Arbeiten über künstlerisch freie Ansätze bis hin zu eher klassischen narrativen Formaten präsentieren die Wettbewerbsreihen eine große Bandbreite an Arbeiten.

Der Siegerfilm des internationalen Wettbewerbs, „Jailoogo Karay Uzak“ [„Long Way to the Pasture“] (2025) des kirgisischen Regisseurs Jol Ilgiz-Sherniiaz Tursunbek uulu, porträtiert in einer kurzen, unaufgeregten Erzählung den jährlichen Umzug einer kirgisischen Hirtenfamilie. Quer durch üppige Wiesen inmitten einer Bergkette treiben sie ihre Schafe, gänzlich dem wechselhaften Wetter und der sie umgebenden Natur ausgesetzt. Die eindrucksvollen Bilder ziehen in den Bann und entführen in nicht mal 25 Minuten in eine Realität, die wohl kaum weiter entfernt vom regen Festivaltreiben sein kann. Der aus China stammende Zhou Hao erzählt in „Ru Ni Suo Yuan“ [„Correct Me If I´m Wrong“](2025) von einer Art traditionellen Konversionstherapie, die der schwule Protagonist über sich ergehen lassen muss – seine Familie befürchtet, dass er von einem Dämon besessen sei, den es gilt, auszumerzen.

Eine Gruppe von Pferden zieht durch eine trockene, karge Landschaft unter einem grauen Himmel.
Jol Ilgiz-Sherniiaz Tursunbek uulu: Jailoogo Karay Uzak, 2025, Filmstill
© Ilgiz-Sherniiaz Tursunbek uulu

Lorem Ipsum

Die Österreicher*innen Ursula Pürrer und Ashley Hans Scheirl hingegen präsentieren mit „Gleichzeitig Nackt“ (2024) eine Art Remake eines eigenen Super-8-Films aus den 80ern, der nach ein paar Vorführungen als verschollen galt. Beide treten nackt vor die Kamera, und sobald der Wiener Walzer auf der Tonspur erklingt, beginnen sie sich repetitiv und sichtbar unambitioniert zu dem Musikstück zu bewegen. Schritt vor, Schritt zurück, leichter Hüftschwung, Arm an die Taille. Nach drei Minuten verlassen Pürrer und Scheirl die Bildfläche. Zurück bleibt die Kulisse mit einer simplizistischen Wandmalerei, aus der ein rot-weißes Absperrband – die Nationalfarben Österreichs – hängt. Die hawaiianische Künstlerin Nina Yuen hingegen generierte ihren Film „Samantha“ (2024) mit digitalen Hilfsmitteln: mittels KI-Text-zu-Bild-Prompts collagiert sie einen fabelhaft überdrehten Bildersturm, in dem sich Roboter-Pin-Ups Reflexionen über ihr Selbst hingeben und dabei weibliche Stereotype dekonstruieren.

Zwei Frauen posieren nackt vor einem dunklen Hintergrund mit blauem Wolkenmotiv und einem zentralen, kunstvollen Element.
Ursula Pürrer und Ashley Hans Scheirl: Gleichzeitig Nackt, 2024, Filmstill
© Purrer Scheirl, courtesy_sixpackfilm
Stilisierte Vase mit blauen Wolken und rotem Band auf schwarzem Hintergrund.
Ursula Pürrer und Ashley Hans Scheirl: Gleichzeitig Nackt, 2024, Filmstill
© Purrer Scheirl, courtesy_sixpackfilm

Zwischen Militär und Maskulinität, KI und Kunst

Im Deutschen sowie im NRW-Wettbewerb lassen sich weitere Schätze entdecken. In „Prayer for Taiwan“ (2024) thematisiert Regisseur Tobias Klich in einer gelungenen Komposition aus Bild und Ton eine historische Aufarbeitung der Militärdiktatur unter dem Machthaber Chiang Kai-shek, derweil Karimah Ashadu in ihrem „Machine Boys“ (2024) die im nigerianischen Lagos arbeitenden Motorradtaxi-Fahrer porträtiert. Dabei klafft der Widerspruch zwischen der von den Fahrern performativ zu Schau gestellten Maskulinität mitsamt deren Statussymbolen und ihren Schilderungen vom prekären Arbeit- und Lebensalltag immer weiter auseinander.
Im eindringlichen „Vom Ende her gedacht“ (2024) collagiert Tom Briele selbstgedrehte, mitunter jahrzehntealte Aufnahmen von schwer erkrankten Künstlerfreunden. Im Angesicht ihres baldigen Todes reflektieren diese unsentimental darüber, was von ihrem Leben und Schaffen bleiben wird, und wie genau sie noch die ihnen bleibende Zeit nutzen sollen.

Filmemacher Ulu Braun gelingt in seinem KI-Hybrid-Film „Gerhard“ (2025) ein keckes Anti-Biopic über den wohl erfolgreichsten lebenden Maler. Die knapp 10-minütige Persiflage begleitet den KI-generierten Maler von seiner Künstlervilla aus zu Vorstandstreffen eines Großkonzerns, wo neue Werkreihen besprochen werden, oder in seine Meisterklasse, die schon vollständig auf den Kunstmarkt getrimmt erscheint: „Art will always be the voice of the unheard“ ruft freudig ein Meisterschüler, während Sammler*innen bereits nach neuen, atelierfrischen Kunstprodukten gieren.

Ein junger Künstler mit bemaltem Gesicht hält eine Farbtube und ist tief in seine kreative Arbeit vertieft.
Ulu Braun: Gerhard, 2025, Filmstill
© Ulu Braun

Karimah Ashadu, Machine Boys (Trailer)

00:41