„Die Fixierung der Literatur auf die Schriftform ist mir zu einseitig“
14.10.2025
7 min Lesezeit
Der Frankfurter Lyriker Dirk Hülstrunk hat gerade einen neuen Sammelband mit Gedichten veröffentlicht, die er live mit einer Loop-Maschine vorträgt. Im Sommer haben wir ihn im Zentrum seiner Kreativität getroffen – in einem ausgedienten Friseursalon.
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Dirk Hülstrunk ist ein ungewöhnlicher Dichter. Das fängt schon damit an, dass man ihn an Orten trifft, die man nicht unbedingt mit Literatur in Verbindung bringt. In unserem Fall ist das der Rödelheimer Friseursalon Schlitz, in dem seit dem Tod der Inhaberin vor einigen Jahren die Zeit still steht. Wegen der Hitze draußen sind die Rollläden heruntergelassen, was das Zeitkapselgefühl noch verstärkt. Die Einrichtung sieht so aus, als sei sie seit den Siebzigerjahren nicht erneuert worden. Es gibt eine alte Standuhr und ein Wählscheibentelefon. An holzvertäfelten Wänden hängt neben Spiegeln und Frisurenpostern eine Preisliste aus der vergangenen Dekade. Wir sitzen auf drehbaren Ledersesseln. Haare fallen bei unserem Besuch keine, bloß Worte.
Früher teilte Hülstrunk sein Büro unter dem Dach der Rödelheimer Westerbachfabrik mit einem Steinmetz. „Ich fand es immer schön, als Dichter in einer Fabrik zu arbeiten.“ Nun ist der „Salon Schlitz“ eine seiner Wirkungsstätten. Hier hat er an der Seite der Kulturmanagerin Silke Hartmann rund 20 Folgen des Podcasts „Wortsalon Schlitz“ aufgenommen. Auch Lesungen hat er zwischen Waschbecken und Trockenhauben schon organisiert. Der Salon ist die offizielle Adresse des Vereins Kulturnetz Frankfurt, den Hülstrunk einst mitgründete. Der Verein veranstaltet etwa die Lesereihe „Schnittstellen“. Außerdem einen Poetry-Slam in der Stadtbibliothek und einen Song-Slam – zuletzt hat er im Rahmen des Festivals „Sommerwerft“ am Mainufer stattgefunden.
Hülstrunks kulturelles Schaffen ist enorm vielseitig. Er arbeitet nicht nur als Podcaster und Moderator – etwa bei Veranstaltungen auf der Buchmesse – sondern gibt auch Lyrik-Workshops an Schulen. „Das ist mir ein besonders wichtiges Anliegen.“ Als Dozent für Kreatives Schreiben unterrichtet er Studierende im ersten Semester des Fachbereichs Soziale Arbeit an der Frankfurter Fachhochschule. Warum ist er so umtriebig? „Teilweise ist das der Not geschuldet, als freier Autor überleben zu müssen“, gibt Hülstrunk unumwunden zu. „Von experimentellen Gedichten alleine geht das leider nicht.“
„Ich verfolge einen interdisziplinären Ansatz und trete an den unterschiedlichsten Orten auf. In Kneipen, auf Techno-Festivals oder in Museen zum Beispiel.“
Dirk Hülstrunk
Poetisches Brücken-Bauen mit interdisziplinärem Ansatz
Hülstrunk, gebürtiger Frankfurter, studierte Anfang der Neunziger an der Goethe-Uni Germanistik und beschäftigte sich in seiner Magisterarbeit mit den Auswirkungen der Dada-Bewegung, etwa deren Einfluss auf Punk. „Es gab damals eine Dada-Renaissance in der Underground-Szene“, erinnert er sich. Hülstrunk baute viele Kontakte zu Gleichgesinnten auf – zum Beispiel zum Wiener Verlag „Das Fröhliche Wohnzimmer“, bei dem später sein erstes Buch erschien. Auch den Lyriker Eugen Gomringer, der als Begründer der Konkreten Poesie gilt, lernte er zu dieser Zeit kennen.
Schon früh veröffentlichte Hülstrunk eigene Texte in literarischen Magazinen und trat bei kleineren Festivals auf. „Mein erster größerer Auftritt hat in der Frankfurter Romanfabrik stattgefunden“, erzählt er. Hülstrunk wurde Teil einer Undergroundszene, die sich – in Anlehnung an die amerikanischen Beat-Literat*innen, „Sozial Beat“ nannte. „Der Autor Hadayatullah Hübsch war damals so etwas wie unser Oberguru“, sagt Hülstrunk über den Mann, den er als seinen Entdecker und Förderer bezeichnet.
Nach dem Studium machte Hülstrunk zunächst eine Ausbildung zum Altenpfleger. Nach dem Elfenbeinturm Uni habe ihn das geerdet, erzählt er. Erst später hat er sich „Knall auf Fall“ als Autor selbständig gemacht und arbeitet nun in den unterschiedlichsten Kulturbereichen. Hülstrunk versteht sich als Brückenbauer. Jemand, der nicht gerne in der eigenen Blase bleibt. „Ich verfolge einen interdisziplinären Ansatz und trete an den unterschiedlichsten Orten auf. In Kneipen, auf Techno-Festivals oder in Museen zum Beispiel.“ Am 28. November kommt er mit einem Dada-Programm in die SCHIRN. Im Mittelpunkt stehen dann nicht seine eigenen Gedichte, sondern Werke von Größen des Dadaismus.
Das Pendel der großen Standuhr im Raum steht schon lange still. Die Zeiger zeigen seit zwei Stunden unverändert zehn Minuten vor eins an. Die Zeit hier ist tatsächlich eingefroren – und bewegt sich doch weiter: Das Rödelheimer Haus, in dem sich der Salon Schlitz befindet, gehört dem mit Hülstrunk befreundeten Architekten Bernd Mai. Es wird bald renoviert, doch der Salon im Erdgeschoss soll als Kulturort erhalten bleiben. Hülstrunk zeigt uns die kleine Bibliothek, die er im Regal gleich neben dem Tresen eingerichtet hat – mit von Gästen seines Podcasts mitgebrachten Büchern. Auch das Schaufenster wird regelmäßig mit Buchtipps oder Video-Installationen bespielt. Wenig Frisur, viel Kultur also. Diese Adresse sollte man sich merken.
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