Die Bildhauerin Lena Henke verwandelt die Rotunde der SCHIRN in eine sich verändernde Raumskulptur, die Innen und Außen verbindet.

Die Schirn Kunsthalle Frankfurt präsentiert vom 28. April bis zum 30. Juli 2017 eine Raumskulptur der Bildhauerin Lena Henke. In der eigens für die Rotunde der Schirn geschaffenen Arbeit mit dem Titel Schrei mich nicht an, Krieger! reagiert sie auf die spezifischen Bedingungen des frei zugänglichen, öffentlichen Ortes. Henke versteht die Rotunde als einen Raum, der in besonderer Weise Innen und Außen miteinander verbindet – als Eingang zur Schirn, als Ausstellungsfläche und als städtebauliches Bindeglied zwischen Dom und Römer. In ihrer Installation konzentriert sich Henke auf diese uneindeutige Raumfunktion und sensibilisiert so für die Besonderheit des Ortes.

Die Künstlerin positioniert in den beiden einander gegenüberliegenden Zugängen der Rotunde zwei nach oben geöffnete und mit Sand gefüllte Aluminiumskulpturen. Es ist zunächst nicht klar, wie dieser Sand in und auf die Objekte gekommen ist. Henke leitet den Blick des Betrachters durch ein die Architektur betonendes Farbsystem nach oben zu offenen Fenstern der Umgänge, in denen ebenfalls Sand liegt. Von dort rieselt der Sand durch grobmaschige Metallrollgitter nach außen und in die Skulpturen.

Ein unangenehmes Gefühl

Die Besucherinnen und Besucher können die Umgänge der Rotunde begehen, durch den Sand laufen und damit auch Einfluss auf die Zirkulation nehmen. Gleichzeitig wird von dort oben die Form der Objekte im Außenraum sichtbar: Es handelt sich um zwei großformatige Augen. Die Assoziation von Sand im Auge – ein unangenehmes Gefühl, das mit Unbehagen und Schmerz einhergeht – liegt nahe.

Rotunde der SCHIRN, Foto Norbert Miguletz, 2016

Die Künstlerin verschränkt in ihren Arbeiten Themenbereiche wie Architektur, öffentlichen Raum und Stadtplanung mit subjektiven Erfahrungen. Dabei verwendet sie den vorgefundenen Ort als Ausgangsmaterial, erhöht ihn und setzt ihn wahrnehmbar in Szene. Henke verwandelt so die Rotunde der Schirn in eine begehbare und sich konstant verändernde Raumskulptur, die Innen und Außen verbindet. In ihrer Formensprache und ihrem Einsatz von Materialien setzt sie bewusst Referenzen, insbesondere zur modernen und jüngeren Kunstgeschichte, bringt Surrealismus mit Minimal Art zusammen.

Die Erkenntnis der Dinge

Indem Henke sich gezielt mit tradierten künstlerischen Strategien und ästhetischen Konzepten auseinandersetzt, kreiert sie neue Seherfahrungen und Bedeutungszusammenhänge. Der Wechsel der Perspektive ist ein wesentliches Moment in ihren Arbeiten und unabdingbar für die Erkenntnis der Dinge, über das Leben schlechthin. Ihre Werke lesen sich als ein selbstbewusstes Statement zeitgenössischer Kunst, dem der kraftvolle Titel ihrer Arbeit für die Schirn zusätzlich Ausdruck verleiht.

Lena Henke, Foto Topical Cream

In Henkes Skulpturen und Installationen spielen der Umgang mit Material und Farben eine große Rolle. In früheren Werken wie der Serie female fatigue (2015) oder der Arbeit Die (2014) hat Henke etwa die Eigenschaften von Sand bereits thematisiert. Als Bildhauerin weiß sie um die existenzielle Bedeutung von Sand als Grundsubstanz zum Gießen von Skulpturen. In Schrei mich nicht an, Krieger! sind es auch die Gegensätze des Materials, die sie betont: die Masse des Sands, die das Gehen in den Rotundenumgängen der Schirn erschwert, aber auch seine Leichtigkeit, da er durch die Luftzirkulation immer in Bewegung ist.

Das entscheidende Irritationselement

Die Partizipation der Besucherinnen und Besucher und die Witterungsverhältnisse verändern nicht nur das Material, sondern sukzessive auch die gesamte Raumskulptur. Der Sand ist das entscheidende Irritationselement und gleichzeitig allegorisch aufgeladen: Er steht für Vergänglichkeit, den Lauf der Zeit. Das glatte, kühle Aluminium, aus dem Henke die Augen geformt hat, ist ein weiteres wichtiges Material der Arbeit. Der das Licht absorbierende Sand wirkt als Kontrast zum silbrig reflektierenden Aluminium.

Lena Henke, Projektskizze, 2017

Die Künstlerin streut Sand ins Auge: Diese Verschränkung von disparaten Materialien, Eigenschaften und damit verbundenen Erfahrungen stört und verunsichert. Henkes Verwendung von Farben resultiert aus einer intensiven Beschäftigung mit der Architektur von Skulpturengärten, Licht- und Farbkonzepten, für die sie zu Recherchezwecken unter anderem jüngst nach Mexiko reiste. Dort stieß sie auf die Bauten der Architekten Luis Barragán und Mathias Goeritz, deren charakteristisches Farbdesign aus Pink, Blau und Gelb sich in der Rotunde wiederfindet.

Lena Henke (*1982 in Warburg) lebt und arbeitet in New York sowie in Frankfurt am Main. Ihre Skulpturen und Installationen wurden international in zahlreichen Einzelausstellungen präsentiert. Mit ihrem Entwurf für die Arbeit Ascent of a Woman ist sie aktuell auf der Shortlist für das Projekt „High Line Plinth“ in New York.

Lena Henke, Collage, 2017