Wie haben Kunststoffe Künstler*innen beeinflusst und weshalb können bestimmte Kunstwerke aus Plastik zukünftig wohl nicht mehr gezeigt werden? In der ersten Folge der neuen SCHIRN PODCASTREIHE gibt Kuratorin Martina Weinhart Einblicke in die Plastikwelt der Kunst.

Plastik ist das Material unserer Gegenwart und umgibt uns überall im Alltag. Doch welche Welt haben wir mit Kunststoffen erschaffen und was für Folgen haben sie für die Bildende Kunst?

In der ersten SCHIRN Podcastfolge von LIVING IN A PLASTIC WORLD spricht Plastikkennerin Anja Krieger mit der Kuratorin der Ausstellung Martina Weinhart. Beim gemeinsamen Rundgang durch die Ausstellung PLASTIC WORLD beleuchten sie die Rolle und Verwendung von Plastik als Material in der Kunst – und erklären, weshalb bestimmte Objekte aus Kunststoff zukünftig wohl nicht mehr gezeigt werden können.

(c) Moritz Wienert

Anja Krieger ist Kulturwissenschaftlerin und Podcasterin. Seit fünf Jahren spricht sie für ihren Plastisphere-Podcast mit internationalen Plastikexpert*innen aus verschiedenen Disziplinen. Zuvor berichtete sie als Umwelt- und Wissenschaftsjournalistin für öffentlich-rechtliche Radios sowie deutsch- und englischsprachige Online- und Printmedien.

TRANSKRIPT:

O-Ton Besucher: Ich finde halt die Vielfalt von dem Werkstoff Plastik faszinierend und auch, was für Optiken man da rausholen kann. Also, es geht hier jetzt von Regenbogen, durchsichtig-reflektiven Sachen, die in der Luft hängen, bis zu Natur-Replikationen, oder auch Mischungen dadurch…


O-Ton Besucherin: Vielfalt, Licht, Farben, das durchsichtige Material zusammen mit den vielen Formen. Und man kann sich einfach nicht satt sehen, weil man entdeckt andauernd ‘ne neue Stelle!

Anja Krieger: Hallo und herzlich Willkommen zum Podcast der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Mein Name ist Anja Krieger, und ich berichte seit vielen Jahren über die Folgen von Plastik für die Umwelt. In den nächsten drei Folgen des Schirn-Podcast führe ich euch durch diese Plastik-Welt - eine Welt voller unglaublicher Möglichkeiten, aber auch problematischer Nebenwirkungen. Wir werden mit Wissenschaftler*innen sprechen, die das winzige Mikroplastik in der Umwelt erforschen, und mit Menschen, die an Lösungen gegen die Plastik-Verschmutzung arbeiten. In der ersten Folge besuchen wir aber erstmal die PLASTIC WORLD. Das ist der Titel der Ausstellung in der Schirn, die die Geschichte von Plastik in der Kunst beleuchtet. Martina Weinhart hat diese Ausstellung kuratiert und sich intensiv mit der Rolle und Verwendung von Plastik als Material in der Kunst beschäftigt, von der Popkultur über das Space Age bis zu den ökokritischen Positionen der jüngsten Zeit. Beim gemeinsamen Ausstellungsbesuch sprechen wir über zentrale Werke und Besonderheiten der Kunstgeschichte mit Plastik. Richtig los geht es Mitte des 20. Jahrhunderts, als immer mehr Plastik produziert wird und im Alltag auftaucht.


Martina Weinhart: Mitte der 50er-Jahre, da hat es einen ganz interessanten Artikel im Life Magazine gegeben zur throw-away society, „Throwaway Living”. Da sieht man dann ein Bild, wo eine glückliche Durchschnittsfamilie vor schwarzem Hintergrund quasi alles Geschirr in die Luft wirft, weil das Geschirr aus Plastik war. Und hurra, die Frau ist entlastet, sie muss nicht mehr die Teller spülen, sondern sie wirft sie einfach weg. Und das ist für mich sozusagen die Urszene der Materialkultur, wie wir sie heute eigentlich noch erleben. Also wir sind die Erben dieser Materialkultur, die in dieser Zeit gesetzt wurde. Und da fängt es an für mich wirklich sehr spannend zu werden, mir erst mal quasi diese Euphorie anzuschauen, die es in dieser Zeit gab und die dann quasi durch die Zeit bis in unsere Gegenwart zur Ökokritik zu verfolgen. Und das ist natürlich erst mal eine Euphorie, die sich auch in der Kunst abbildet. Also, was haben wir in den Sechziger Jahren? Die Pop Art, ein junges Material. Man will nicht mehr den Prestige-Plüsch der Eltern ausstellen, so hat das mal einer genannt, sondern man will mit dem neuen Material neue Dinge tun. Hier in Deutschland wollen die jungen Leute nichts mit der traditionellen Kunst zu tun haben, so wie sie mit der Nazizeit nichts zu tun haben wollen. 68er-Bewegung ist quasi auch gleichzeitig, und das alles spiegelt sich auch interessanterweise eben im Gebrauch von Plastik. Und wenn wir in die Ausstellung kommen, dann sehen wir erst mal in völliger, farbenfroher Pracht alle möglichen Arbeiten der Pop Art, also von Tom Wesselmann einen großen Frauenmund, Zigarette rauchend. Dann sehen wir von Thomas Bayrle das Werk "Tassentasse", eine sehr überdimensionierte Tasse, die aus lauter einzelnen Plastiktassen besteht. Also, das spiegelt ein bisschen dieses throwaway living wider und auch so diese Idee der Pop Art, unbedingt mit dem Alltag was zu tun haben zu wollen. Das ist ja quasi in der traditionellen Kunst nicht unbedingt so der Fall, diese Engführung auf Kunst, Alltag und banale Dinge des Alltags, das ist quasi das Neue. Was ich ganz interessant finde, der Pop Art wird ja immer so eine gewisse Harmlosigkeit unterstellt. Und wenn man sich es aber genauer anschaut, dann ist die so harmlos gar nicht. Also, wir haben hier zum Beispiel ein Werk von James Rosenquist, der so gigantische Vinylvorhänge gemacht hat mit großen Motiven drauf, die drauf gesiebdruckt sind. Das ist ein Panzer. Also wir befinden uns sozusagen auch noch parallel zum Vietnamkrieg, ja? Und dann sehen wir hinter, hinter dieser Arbeit ein großes Werk von Öyvind Fahlström. Esso lesen wir erst, genau wie diese Tankstellenschilder. Und ein zweites Schild nebendran ist ein kleines Wortspiel damit. Und das sagt dann LSD. Also, Plastik und Petrochemie sind ja engstens verbunden und dann natürlich auch sozusagen diese Suggestionen der Werbung, die hier quasi zusammen sind. Und dann das dritte Werk, das wir im Eingang gleich sehen, ist ein gigantischer Totenkopf in freudiger Farbigkeit, aber doch ein Totenkopf von Kiki Kogelnik. Also das zur Harmlosigkeit der Pop Art.


[Musik Blue Latex von Blue Dot Sessions und Originalton aus dem Raum]


Anja Krieger: Wir befinden uns in einem Aquarium aus Plastik und Luft. Riesige aufblasbare Seeanemonen aus Kunststoff-Folie bewegen ihre Tentakel langsam herauf und wieder herunter. Auf dem Boden sieht man einen durchsichtigen Hummer, so lang wie zwei Personen, zwischen Fischen, Seeigeln, Quallen und anderen Meerestieren. Es ist das Air Aquarium, das Luftaquarium des Künstlers Otto Piene von 1976 - eine Unterwasserwelt aus Vinyl.

Martina Weinhart: Ein Kind hat neulich gesagt. Das ist ein Zauberraum!  

Anja Krieger: Das atmet praktisch für mich. 

Martina Weinhart: Ja, das ist quasi dieser große Gegensatz von Natur und Künstlichkeit, der hier aufgemacht wird. Und das ist ja ein Thema, was uns in unserer heutigen, vor allem westlichen Konsum- und Industriegesellschaft einfach ganz stark begleitet.Und während man das vielleicht 1976 noch mit einer gewissen Unschuld betrachtet hat, fällt es einem heute fast schwer, diesen Blick zu behalten, wenn wir gleichzeitig von der Vermüllung der Meere wissen. Wir wissen von den Plastikfunden in der Tiefsee, an Orten, wo noch kein Mensch jemals war. Aber das Plastik ist uns schon vorausgegangen. Und all das denkt man vielleicht mit, obwohl das natürlich.... Ja, es ist einfach von so großer Schönheit und so poetisch, dass es einem sicher, ja mit einem großen Herzen für die Tiefsee oder für die See herausgehen lässt.

 Anja Krieger: Das ist auch so verspielt. Das ist aber kein Original, oder?

Martina Weinhart: Nein, das ist tatsächlich eine Reproduktion, die eigens für diese Ausstellung hergestellt wurde. Wir haben daran sehr lange gearbeitet, über zwei Jahre. Das heißt, dieses Werk von 1976 existierte nur noch in einer Kiste in Massachusetts. Die wurde dann aufgemacht und die Sachen wurden angeguckt. Und wenn man sich das vorstellt, Vinyl von 1976 kann man sich vorstellen, wenn man vielleicht einen Ball, den man im Schwimmbad benutzt hat, lange nicht gesehen hat und in der letzten Ecke des Hauses sucht, wie das ungefähr aussieht. Das heißt, es war natürlich so nicht mehr zu benutzen. Und das gilt für viele Kunststoffwerke der Frühzeit. Die Kunststoffe wurden natürlich weiterentwickelt und die in den 60er Jahren oder auch in den 70er Jahren noch, die waren nicht so haltbar. Und dann kommt noch dazu, dass bestimmte Kunststoffe weniger haltbar sind als andere. Das heißt, wenn man so ein Kunstwerk am Leben erhalten will, dann geht das nur, indem man es reproduziert. Oder man sagt eben, jedes Kunstwerk hat seine Zeit, es gehört in seine Zeit. Das hat vielleicht einen ephemeren Charakter und dann ist die Zeit irgendwann vorbei und es kommen neue Kunstwerke. Also bestimmte Kunstwerke wird man einfach dann auch nicht mehr erleben können.


[Musik Hutter von Blue Dot Sessions]


Anja Krieger: Grüne Palmenblätter, rissige Baumstämme und eine braune Kokosnuss. Piero Gilardi hat Ende der 1980er Jahre hyperrealistische Reliefs geschaffen. Sie bestehen aus Polyurethanschaum, der gelb, grün, braun oder grau gefärbt ist. Und auch der Sand, die Steine und die Muscheln des Künstlers wirken täuschend echt. Es scheint, als könnten Kunststoffe wirklich jede Form annehmen und uns dabei vorgaukeln, dass sie ganz natürlich sind. Dabei zeigen die Schaumstoff-Reliefs von Gilardi nicht nur Pflanzen mit teils verwelkten Blättern, die Kunstwerke verwittern auch selbst. Statt an der Wand zu hängen, liegen sie in großen Kisten auf dem Boden. 


Martina Weinhart: Piero Gilardi gehört ins Umfeld der italienischen Arte Povera, hörte als Künstler aber interessanterweise auch ab einem gewissen Zeitpunkt auf zu arbeiten, um nur noch Umweltaktivist zu sein. Und hat dann irgendwann später wieder angefangen zu arbeiten. Das Interessante an diesen beiden Arbeiten ist, dass es uns erst mal ganz große Schwierigkeiten gemacht hat. Also, die sind hier zum Aufbau angekommen und die Kurierin aus Brüssel kam mit, und dann haben wir ungefähr eine Stunde darüber diskutiert, wie wir diese Arbeit jetzt aus der Kiste bekommen könnten. Polyurethanschaum ist ein sehr, sehr fragiles Material. Das heißt, noch vor sechs Jahren hing diese Arbeit noch an der Wand und uns wurde im Vorfeld schon gesagt, dass das nicht mehr möglich ist, dass man die nur noch quasi liegend zeigen kann. Und wir haben dann uns letztlich dazu entschieden, diese Arbeit in der Transportkiste zu zeigen, um sie einfach nicht größer zu gefährden, weil wir die Idee hatten, dass wenn irgendjemand in dieses Werk auch nur mit dem Finger reingreifen würde, dass er wahrscheinlich wieder rauskommt.


[Musik Plasticity von Blue Dot Sessions]


Anja Krieger: Plastik, das Material der tausend Möglichkeiten. Das war der Werbespruch für den ersten synthetischen Kunststoff, der 1907 erfunden wurde: Bakelit. Sein Symbol war ein großes B über einer liegenden Acht, das Symbol für die Unendlichkeit. Aber viele der neuen Kunststoffe, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfunden wurden, waren gar nicht unendlich haltbar. Erst, als neue Chemikalien ins Plastik gemischt wurden, änderte sich das langsam. Additive und Zusatzstoffe machten Kunststoffe weicher, bunter und bis zu einem gewissen Grad auch haltbarer. Auch die Kunst begann zu experimentieren, mit Polyurethan, PVC, Polyester, Acrylglas, Styropor und Vinyl. Alles schien machbar. Hier setzt die Erzählung der Ausstellung an, in den späten 1960er Jahren, einer Zeit des Aufbruchs und der Utopien.

Martina Weinhart: Man ist auf dem Mond gelandet und es gab ein fast fetischistisches Verhältnis zu diesen neuen Materialien, was man alles damit machen kann. Es gab Helme, die aussahen wie Astronauten, Helme und gigantische Bubbles, die in Performances durch Basel, Kassel oder andere Städte gerollt, getragen wurden. Es gab einfach Ideen, wie man mit dem städtischen Raum anders umgehen kann auf der Schnittstelle zwischen Architektur, Performance und bildender Kunst. Wie zum Beispiel von Buckminster Fuller, der ein Plakat entworfen hat, Worauf steht Save our Planet. Interessanterweise sieht man da die Halbinsel von New York, also Manhattan. Und über Manhattan ist eine gigantische Plastik-Bubble, und die sollte Manhattan vor schlechter Luft retten. Also, während wir eben heutzutage Plastik als Umweltproblem sehen, hat man damals darüber nachgedacht, wie Plastik die Lösung unseres Umweltproblems sein könnte.

 Anja Krieger: Sehr spannend finde ich dieses Kunstwerk hier. Das ist so ein großer, in so einem Korallenrot gefärbter…ein Riesentropfen, der sich so auf dem Boden ausbreitet.

 Martina Weinhart: Ja, das sind die sogenannten Expansionen von César, einem französischen Künstler, der auch zum Nouveau Realismus gehört. Und der hat was ganz Interessantes gemacht, der hat sich dafür interessiert, dass das Material sozusagen so ein Eigenleben hat. Und Polyurethanschaum ist ja so ähnlich wie Bauschaum, das heißt, den lässt man einmal aus der Box und dann verbreitet er sich. Und man kann als Künstler oder als Künstlerin nur noch sehr schwer dirigieren, was dieses Material macht, das führt quasi so dieses Eigenleben der Materialität vor. Und das hat César genutzt, indem er ganze Performances mit diesem Polyurethanschaum gemacht hat, vor riesigem Publikum, zum Beispiel bei der Triennale in Mailand oder beim Jubiläum der Gründung des Nouveau Realisme. Und manchmal wurden diese Gebilde, die dann entstanden sind, zerschnitten und das Publikum konnte ein Teil dieses Schaums dann mit nach Hause nehmen. Andere Werke hat er quasi auch im Atelier gegossen. So kommen diese gigantischen, ja, ich würde eher sagen Fladen, zustande. Und die sind dann auch noch mal mehrmals lackiert worden, damit sie quasi haltbar gemacht werden. Wenn man das Werk von unten quasi anschauen würde, wo es nicht mehr lackiert ist, dann hat es natürlich nicht diese glatte Oberfläche, sondern da hat dann auch der Alterungsprozess schon stattgefunden und eingesetzt.

Anja Krieger: Interessant. Also dieses lebendige Plastik dann eigentlich in dem Moment, das dann erstarrt. 


[Musik Cicle Gerano von Blue Dot Sessions]


Anja Krieger: Seit den 1960-er Jahren reflektiert die Kunst auch die Schattenseiten der Konsumkultur. Besonders eindringlich schildert das Francis Alÿs Film Barrenderos, der Strassenkehrer in Mexico City begleitet. Die Aufnahmen zeigen, wieviel Müll in den Städten der Welt täglich anfällt. 
Es sind gigantische Berge an Material, die die globale Entsorgung zu einer riesigen Herausforderung machen. Monumental sind auch die Installationen von Pascale Marthine Tayou aus Kamerun, der heute in Belgien lebt. Er nutzt dünne bunte Plastikwannen, -eimer und Schüsseln, um daraus etwa die Krone eines verstörend schönen künstlichen Baumes zu formen.  

[O-Ton des Videos darunter] 

Martina Weinhart: Wir versammeln hier Arbeiten, die aus unserer Gegenwart, von verschiedenen Künstlern aus unterschiedlichen Regionen der Welt, die jetzt sozusagen das Gegenteil der Plastik Euphorie in ihren Werken spiegeln, wie zum Beispiel Dennis Siering, der das Phänomen des Pyroplastik beleuchtet. Also ist vielleicht dem einen oder der anderen schon mal passiert, dass man einen Strand lang geht und so Steinchen sammelt oder Muscheln sammelt. Und dann begegnen uns vielleicht so kleine Steine, die einem merkwürdig leicht vorkommen. Und das liegt daran, dass diese kleinen Steine, die wirklich täuschend echt aussehen wie Steine, eben keine Steine sind, sondern verbranntes Plastik, das irgendwie aus Tankern stammt. Oder an anderen Stellen, wo eben so Plastik verbrennen kann. Und das wirklich fast überall an den Stränden zu finden ist. Und das thematisierte hier in seiner Arbeit ganz schön. Hat er auch wie in der Nikewerbung einzelne von diesen Plastiksteinchen auf so drehende Displays. Aufgesteckt. Wie ein kostbares Produkt wird es uns hier vorgeführt als sozusagen B-Seite der Konsumgesellschaft. Ein bisschen Hoffnung gibt vielleicht die Arbeit von Tue Greenfort, einem dänischen Künstler, der eine Entdeckung aufnimmt, nämlich das von der Yale University im Amazonasgebiet ein Pilz gefunden wurde, der in der Lage ist, Plastik zu verstoffwechseln. Und das thematisiert er in seiner Arbeit. Ich bin immer so ein bisschen skeptisch, wie weit das dann tatsächlich Hoffnung gibt, weil wir wissen ja noch gar nicht, zu was dieser Pilz dann dieses Plastik verstoffwechselt und ob wir dann damit besser zurechtkommen als jetzt mit dem Mikroplastik, was tatsächlich überall ist, in unserem Körper, in der See, in der Stadt, der Reifenabrieb, in der Luft, im Schlafzimmer. 

 Anja Krieger: Und so ein bisschen Ironie steckt in dem Kunstwerk ja auch. Also wir sehen da diese großen Blöcke aus Kunststoff und dann wachsen da diese Pilze daraus, aber die sind ja auch selber aus Kunststoff gemacht. Also so ein bisschen Zweifel hat er da ja schon auch eingebaut.

Martina Weinhart: Na ja, Zweifel vielleicht nicht. Also er bewegt sich in dieser Materialität des Plastiks. Also diese Pilze wachsen auf großen Styroporblöcken, die er auf einer benachbarten Baustelle gefunden hat. Und die Pilze selbst sind 3D-Druck. Also ich habe ihn vorher gefragt. Es sind aber jetzt nicht die Pilze, tatsächlich? Das hätte mir dann doch große Sorgen bereitet, ein Pilz, der Plastik verstoffwechselt in eine Ausstellung zu bringen, die nur aus Plastik besteht. Also das ist quasi die Reproduktion eines solchen Pilzes.

Anja Krieger: Dann hätten sie selber zur Vergänglichkeit der Kunst sehr viel beigetragen.


[Musik - Blue Latex von Blue Dot Sessions] 


Anja Krieger: Manche hoffen, dass uns die Technik rettet - andere die Natur. Das ist auch beim Plastik so. Wäre es nicht schön, wenn die Evolution uns aus der Patsche hilft? Leider braucht sie oft ziemlich lange. Und wenn wir Menschen nachhelfen und die Welt gestalten, ob biologisch oder technisch, dann hat das meistens Nebenwirkungen. Trotzdem: Plastik ist ein unglaublich vielseitiges Chamäeleon, und manchmal einfach wunderschön. Die Künstlerin Berta Fischer hat es zu riesigen transparenten Figuren geformt, die im Raum schweben. Man kann sich der Schönheit dieser zarten, bunten Formen kaum entziehen.

Martina Weinhart: Genau das ist jetzt kein Zufall. Das ist so ein bisschen eine kleine Gemeinheit von mir, dass wir erst durch das Kapitel Ökokritik gehen, um dann am Ende der Ausstellung in einem absolut wunderschönen Raum zu landen mit einer gigantischen, schillernden, vielfarbigen Plastikwolke in unglaublich delikaten Formen von der Decke hängt, begleitet von Werken an der Wand von hauptsächlich Craig Kauffman, der zu den sogenannten Finish Fetisch Artists gehört. Das ist eine Bewegung aus Kalifornien, wo man Erfahrungen hat mit Surfbrettern, die geschmirgelt werden und wunderschönen Autooberflächen. Und das Ganze beleuchtet mit starkem Sonnenschein. Und das sozusagen die eine Seite, die Dr. Jekyll-Seite des Plastics vorführt und die Dr. Hyde-Seite einen doch stark vergessen lässt. Also es führt einem einfach dieses Dilemma vor. Dieses Dilemma, das wir uns auch so schwer von diesem Material trennen können. Es ist doch auch ein sehr nützliches Material, ist aber eben auch ein sehr schönes Material. Und diese beiden Seiten, die wollten wir hier auf jeden Fall vorführen.

[Musik Plasticity von Blue Dot Sessions] 

Anja Krieger: Plastik hat die Kunst beflügelt, genauso wie das Design und die Architektur. Es ist das Material unserer Gegenwart und umgibt uns überall im Alltag. Welche Welt haben wir mit Kunststoffen geschaffen? Und wie gehen wir in Zukunft mit diesem Material und seinen Vor- und Nachteilen um? In der nächsten Folge sprechen wir mit Wissenschaftler*innen, die die Auswirkungen von Plastik und Chemikalien erforschen.  Wir würden uns freuen, wenn ihr wieder dabei seid! Dieser Podcast ist eine Produktion der Schirn Kunsthalle Frankfurt. In dieser Folge sprachen wir mit Martina Weinhart, der Kuratorin der Ausstellung “Plastic World”, zu sehen bis zum 1. Oktober 2023 in der Schirn. Weitere Informationen auf www.schirn.de . Wenn euch der Podcast gefallen hat, teilt ihn gern. Alle Links findet ihr in der Beschreibung dieser Folge. Das Cover Design ist von Moritz Wienert und die Musik von Blue Dot Sessions. Bis dahin, Tschüss!

PLASTIC WORLD IN 3D

PLASTIC WORLD

22. JUNI – 1. OKTOBER 2023

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