Von Paris bis Hannover, von San Diego bis Jerusalem: Mit ihren Arbeiten macht Niki de Saint Phalle die Kunst demokratischer und öffentliche Räume weiblicher. Wir werfen einen Blick auf einige ihrer schönsten Skulpturen auf der Kunstweltkarte.

Niki de Saint Phalle spielte eine zentrale Rolle bei der Demokratisierung der Kunst. Für ihre „Schießbilder“ überließ sie den Besucher*innen ohne Anweisung ein Gewehr, mit dem diese auf Leinwände schossen, die von der Künstlerin zuvor mit versteckten Farbbeuteln präpariert wurden. Mit der Konsequenz, dass sie das Malen als individuellen Akt dekonstruierte und die Hierarchisierung des künstlerischen Subjekts auflöste.

Mit ihren Skulpturen im öffentlichen Raum sprengte sie ebenfalls bewusst den institutionellen Rahmen. So kehrte sie dem musealen Raum im Fall des „Golems“ aktiv den Rücken zu und bestand darauf, das Monster auf einem öffentlich zugänglichen Platz zu installieren. Wir werfen einen Blick auf einige ihrer schönsten Skulpturen auf der Kunstweltkarte.

Ein Brunnen für Paris

1930 in einem Vorort von Paris geboren, sollte es einige Jahre dauern, bis die Künstlerin sich wortwörtlich in die Architektur der Stadt einschrieb. 1983 verewigte sie sich schließlich mit ihrem Partner, dem Künstler Jean Tinguely, in der Stadt der Liebe. Etwas versteckt, in der Nähe des Centre Pompidou, ist der „Strawinsky-Brunnen“, der dem gleichnamigen Komponisten gewidmet ist. Das Paar entwarf den Brunnen gemeinsam, der sich aus 16 beweglichen und wasserspielenden Einzelplastiken zusammensetzt, die in einem riesigen Wasserbecken verteilt sind. Der Kontrast der beiden Arbeiten könnte stärker nicht sein: bunte Tier- und Fabelwesen versus schwarze Maschinenplastiken aus Eisen. Gegensätze ziehen sich an – das gilt wohl für die Kunst als auch für die Liebe.

Drei „Nanas” und eine Grotte für Hannover

„I have a very special feeling for Hannover“ sagte Niki de Saint Phalle im Jahr 2000, als sie zur Ehrenbürgerin der Stadt ernannt wurde und im Zuge dessen dem Sprengel-Museum Hannover 400 ihrer Werke vermachte. Doch die Beziehung zwischen den Stadtbewohner*innen und Niki de Saint Phalle war nicht immer so harmonisch. Nachdem 1974 drei „Nanas” aus Polyester im Stadtzentrum in Hannover aufgestellt wurden, kam es zu Protesten in der Bevölkerung. Mit rund 18.000 Unterschriften plädierten die Anwohner*innen der Stadt für einen Standortwechsel und versetzten die „Nanas” kurzerhand ans Leibnizufer. Heute sind sie das Wahrzeichen und eine Touristenattraktion der Stadt. Ihre Titel – „Sophie”, „Charlotte” und „Caroline” – entspringen ihren Namenspatinnen: Kurfürstin Sophie, Charlotte Puff und Caroline Herschel.

Niki de Saint Phalle: „Sophie”, „Char­lotte” und „Caro­line”, 1974, Hannover, Image via touristspy.com

1998 begann Niki de Saint Phalle die Neugestaltung der Grotte in den Herrenhäuser Gärten in Hannover, doch verstarb sie 2002 vor der Fertigstellung. Aufgrund von detailreichen Plänen konnten ihre Mitarbeiter*innen das ortsspezifische Kunstwerk vollenden. Es war das letzte Werk der Künstlerin, mit dem sie sich in die Geschichte der Stadt eingeschrieben hat. Den achteckigen Mittelraum gestaltete die Künstlerin mit bunten Mosaiken, Glas, Spiegel, Kieseln, bemalten Figuren und Fiberglas zu einem allumfassenden Raumerlebnis, das hier in einem 360 Grad-Video auch aus der Ferne bestaunt werden kann. Der Eingangsraum symbolisiert Spiritualität, während der westliche Raum Tag und Leben repräsentiert und der östliche Raum der Nacht und dem Kosmos gewidmet ist.

Niki de Saint Phalle, Große Grotte in den Herrenhäusern, Hannover, Image via swr.de

Ein Schutzengel für Zürich

Auch in Zürich hinterließ Niki de Saint Phalle ihre Spuren. Der Künstlerin verdankt Zürich einen Schutzengel. Er ist 11 Meter hoch, 1,2 Tonnen schwer und ziert die Hallen des Zürcher Hauptbahnhofs. Von Kalifornien aus wurde die riesige Skulptur in der Nacht auf den 14. November 1997 in die große Bahnhofshalle verfrachtet. Der aufwendige Transport gelang dank eines Frachtfluges und einer Schiffstour quer durch Europa, bei dem die Engelsfrau in drei Teile zerlegt worden ist. Bei der Ankunft war Niki de Saint Phalle anwesend und kommentierte den Aufbau mit dem Satz: „Alle Leute wollen geschützt werden.“ Die Enthüllung der rosa, gelb, orange, grün und ultramarin-blau kolorierten Engelsfrau anlässlich der 150-jährigen Jubiläums der SBB spaltete die Zürcher Gesellschaft und erzeugte viel Kritik. Doch sie hängt noch heute 15 Meter über den Boden und fasziniert die Reisenden auf ihrem Weg aus oder in die Stadt. An vier Stahlseilen befestigt, macht sie  trotz ihrer Größe den Eindruck, als würde sie gleich durch die Halle davonschweben.

Niki de Saint Phalle, Zürcher Bahnhof, Image via hellozurich.ch

Alle Leute wollen geschützt werden.

Niki de Saint Phalle
Ein Paradies für Stockholm

Nach Stockholm gerieten Niki de Saint Phalles Skulpturen wiederum auf Umwegen. Die Künstlerin und Jean Tinguely hatten nur sechs Wochen Zeit, um die monumentale Skulpturenserie „The Fantastic Paradise“ für die Weltausstellung 1967 in Montreal anzufertigen. Es brauchte mehrere Tonnen Material, viel Geld und zahlreiche Helfer*innen, um die neun unterschiedlich großen Kreaturen zu erschaffen. Gleichzeitig produzierte Jean Tinguely sechs Maschinen, die im Ensemble das Gegenbild zu den bunten „Nanas” bilden sollten. Nach dem gemeinsamen Arbeitsmarathon wurde Niki de Saint Phalle jedoch in ein amerikanisches Krankenhaus eingeliefert. Durch die körperlich anstrengende Arbeit und die giftigen Materialien erkrankte die Künstlerin an einer Lungenentzündung. Nach dem Ende der Weltausstellung reiste die 15-teilige Werkgruppe nach New York, um schließlich für immer ein Zuhause im Zentrum von Stockholm in der Nähe des Moderna Museet zu finden.

Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely, The Paradise | Le Paradis fantastique, 1966 Photo: Murat Özsoy ,Image via commons.wikimedia.org

Eine Königin für San Diego

Aufgrund jener Lungenerkrankung zog Niki de Saint Phalle 1994 des Klimas wegen nach Kalifornien. Sie selbst sagte über ihr neues Zuhause: „Kalifornien war eine Wiedergeburt für meine Seele und ein Erdbeben für meine Augen - das Meer, die Wüste, die Berge, der weite Himmel, die Brillanz des Lichts und die Weite des Raums“. In Escondido, Kalifornien, errichtete die Künstlerin den einzigen ortsspezifischen Skulpturengarten in ganz Amerika. Der Garten, wie auch der Bundesstaat, wurde benannt nach der schwarzen Amazonenkönigin Califia. Die Mosaikskulptur „Califia” ist ein Archetyp weiblicher Macht und Stärke und steht im Zentrum des Gartens. Sie trägt eine goldene Rüstung, hält einen Vogel in die Luft, reitet auf einem monumentalen Adler und ist umgeben von acht Totem. Der Garten wird umschlossen von einer wellenförmigen Mauer, um die sich bunte Mosaikschlangen winden.

Niki de Saint Phalle, Califia, Image via ditchingsuburbia.com

Ein Golem für Jerusalem

Besonders stolz war Niki de Saint Phalle jedoch auf ein Werk in Jerusalem: „Der Golem“, Hebräisch für Monster, ist eine öffentliche Skulptur auf einem Spielplatz in Westjerusalem, die zwischen 1971 und 1972 erbaut wurde. Zu Beginn sollte die Skulptur, die in Zusammenarbeit mit dem Museum Israel entstanden ist, auf dem Museumsgelände platziert werden. De Saint Phalle bestand jedoch darauf, dass das Kunstwerk im öffentlichen Raum aufgestellt wird und der gesamten Bevölkerung zur Verfügung steht. Die Skulptur stellt ein Monster dar, aus dessen Mund drei Zungen kommen, auf denen Kinder herunterrutschen können. Auch bei diesem Projekt gab es zu Beginn viele Gegenstimmen. Viele Eltern befürchteten, dass ein gruseliges Monster ihre Kinder verschrecken könnte. Der Antrag bei der Stadt für das Erbauen der Skulptur wurde vorerst abgelehnt. Der Bürgermeister organisierte jedoch eine zweite Abstimmung, die Erfolg haben sollte. Mit dem Monster wollte die Künstlerin Kinder dazu ermutigen, ihre Ängste zu überwinden und diese in etwas Lustiges und Spielerisches zu verwandeln. Niki de Saint Phalle sagte selbst: „Der Golem in Jerusalem ist die Skulptur, auf die ich am meisten stolz bin... Tag für Tag spielen Hunderte von Kindern auf ihr und träumen. Sie haben das Monster besiegt.“ 

Niki de Saint Phalle, Golem, Image via heavym.net

NIKI DE SAINT PHALLE

03. FEBRUAR – 21. MAI 2023

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