Inspiriert von den eisigen Landschaften in der Malerei der kanadischen Moderne: Unsere Top Ten Eisberge in der Kunst.

1. Group of Seven

Auf der Suche nach einer neuen, einzigartig kanadischen Bildsprache gründeten Lawren Harris, J.E.H. MacDonald, A.Y. Jackson, Frank Johnston, Arthur Lismer, Franklin Carmichael und A.J. Casson 1920 die Group of Seven. Eingenommen von Kanadas vergleichsweise junger Unabhängigkeit, ließen die Künstler damals die Stadt hinter sich und brachen in die vermeintliche Wildnis von Northern Ontario auf, um an der Herausbildung einer neuen kulturellen Identität mitzuwirken. Sie alle teilten die Leidenschaft für Landschaftsmalerei und wollten die Schönheit und Erhabenheit der unberührten Natur einfangen. Aus ihren Bildern ausgeschlossen wurden aber meist jene Menschen, die diese „Wildnis“ besiedelten: die Indigenen Völker. Die im Frühjahr in der SCHIRN zu sehende Überblicksschau „Magnetic North. Mythos Kanada in der Malerei 1910–1940“ stellt Werke von Künstler*innen aus dem Umfeld der Group of Seven vor und beleuchtet sie kritisch.

Lawren S. Harris. Lake and Mountains, 1928. Öl auf Leinwand, Art Gallery of Ontario. Schenkung des Fund of the T. Eaton Co. Ltd. for Canadian Works of Art, 1948. © Family of Lawren S. Harris, Foto: Art Gallery of Ontario, 48/8.
2. Zaria Forman

Zaria Formans hyperreale Softpastell-Bilder dokumentieren die Auswirkungen des Klimawandels auf die arktische Landschaft in großem Maßstab. Die Künstlerin reist an entlegene Orte, um die sich stetig wandelnden Eisfelder der Antarktis, Grönlands und der kanadischen Arktis festzuhalten. Sie schloss sich sogar einer Gruppe von NASA-Wissenschaftler*innen an, um über Gletscher, Meereis und Berggipfel zu fliegen, und gewann so eine gänzlich neue Sichtweise auf die zurückweichenden Eismassen beider Pole. Angeregt von ihrer Mutter, der renommierten Fotografin Rena Bass Forman, die für ihre Arbeit die abgeschiedenen Orte des Planeten aufgesucht hat, organisierte Forman 2012 eine künstlerische Reise an die Küste Grönlands. So kam sie dem letzten, unerfüllt gebliebenen Wunsch ihrer Mutter nach, die Arktis zu besuchen, und fand dort neue Inspiration. Angesichts der Folgen, die die globale Erwärmung für Land und Leute hat, fasste Forman den Beschluss, ihre Kunst dem Klimawandel zu widmen, und befasst sich seither mit diesem Thema.

Whale Bay, Antarctica No. 4, 84 x 144 inches, soft pastel on paper, 2016. Image via www.zariaforman.com

3. Sean Yoro (aka Hula), A’o’Ana, seit 2015

Sean Yoro, auch bekannt als der Streetart-Künstler HULA, machte mit seinem Projekt „A’o’Ana“ (Die Warnung) auf sich aufmerksam. Auf einem Paddle Board stehend, arbeitet der Hawaiianer mit ungiftigen Farben, um Darstellungen meist weiblicher Figuren auf schmelzendes Meereis zu setzen. Eine starke Metapher, die die Kunst mit Yoros Wunsch verbindet, unser Bewusstsein für die verheerenden Auswirkungen der Erderwärmung zu schärfen. 2016 reiste der Künstler in die kanadische Arktis und nahm Kontakt zu der auf Baffin Island lebenden Inuit-Gemeinschaft auf – eine der Frauen diente ihm später als Modell für ein Eisschollenbild. Doch Yoro geht es nicht allein um den Klimawandel, er möchte vor allem auch die Verbindung herstellen zu den Menschen, die in diesen Regionen der Welt leben.

4. Monica Bonvicini: SHE LIES, 2010

Caspar David Friedrichs Gemälde „Das Eismeer“ zeigt große, sich aus dem Wasser schiebende und hoch auftürmende Eisschollen. In den Augen des Künstlers war die Natur dem Menschen überlegen und hatte spirituelle Bedeutung – der Norden war sein heiliger Gral. Das Gemälde diente seit seiner Entstehung 1823/24 zahlreichen Künstler*innen als Inspiration, darunter dem kanadischen Group of Seven-Maler Lawren Harris. Auch Monica Bonvicini ließ sich anregen zur ihrer monumentalen, aus Edelstahl und Glas gefertigten Skulptur „She Lies“, die dauerhaft im Wasser des Osloer Hafenbeckens, unmittelbar am Opernhaus, installiert ist. Mit ihrer modernen Neuinterpretation von Friedrichs Gemälde verweist die Künstlerin auf das zentrale Motiv des Bildes, die riesigen Eisschollen, die sinnbildhaft für die Naturgewalten des Nordens stehen. Bonvicinis Skulptur ist zwar am Hafenboden verankert, treibt aber frei auf der bewegten Oberfläche des Fjords und beschwört so den unablässigen Wandel der Natur.

She Lies, 2010, Permanent installation on the Bjørvika Fjord, in front of the Norwegian Opera and Ballet, Oslo, Photo: Monica Bonvicini. Image via monicabonvicini.net

5. Mathias Kessler, Das Eismeer. Die gescheiterte Hoffnung, 2012

Man stelle sich einen Kühlschrank vor, der in einer Kunstgalerie steht – und nichts außer Bier und einer 3-D-Miniaturversion der Eisschollen aus Caspar David Friedrichs berühmtem Gemälde „Das Eismeer“ enthält. Jedes Mal, wenn der Kühlschrank geöffnet wird, steigt die Temperatur in seinem Inneren ein klein wenig an und bringt so die Eisskulptur langsam, aber sicher zum Schmelzen. Kessler, der in einem Skigebiet in den österreichischen Alpen aufwuchs, lernte bereits früh, was menschliche Eingriffe in unsere Umwelt anrichten können. Dass er sich für eine Nachbildung von Friedrichs Gemälde, einer Ikone der Romantik, entschieden hat, ist nicht weiter verwunderlich, denn in seinen Arbeiten hinterfragt der Künstler seit Längerem schon anhaltende romantisierende Auffassungen von Natur. Indem er den oder die Einzelne gewissermaßen zum Mitwirkenden seiner Arbeit macht, zwingt Kessler das Publikum, sich intensiver mit den sozialen und ökologischen Dimensionen unseres Handelns auseinanderzusetzen.

Mathias Kessler, Das Eismeer. Die gescheiterte Hoffnung, installation view, Kirchner Museum, Davos, photograph: Stephan Bösch. Image via www.art-werk.ch

6. Olafur Eliasson & Minik Rosing, Ice Watch, 2014

Für sein Projekt „Ice Watch“ transportierte der Künstler Olafur Eliasson über mehrere Jahre hinweg Eisbrocken aus dem Nuup Kangerlua Fjord in Grönland an drei öffentliche Orte in Europa: 2014 nach Kopenhagen, 2015 nach Paris und 2018/19 nach London. Alle drei Aktionen standen im Zeichen wichtiger Klimakonferenzen und -berichte. Das Publikum konnte vor Ort mit dem arktischen Eis interagieren, ihm beim Schmelzen sehen und sich die Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt vergegenwärtigen. Auf diese Weise wollte der Künstler den Besuchern nicht nur die verheerenden Folgen für die Menschheit vor Augen führen, sondern vor allem eine emotionale Reaktion hervorrufen, ein abstrakt bleibendes Konzept unmittelbar erfahrbar machen in der Hoffnung, am Ende Verhaltensmuster zu verändern.

Ice Watch, 2014, Bankside, outside Tate Modern, London, 2018, Photo: Justin Sutcliffe. Image via olafureliasson.net

7. Camille Seaman, The Last Iceberg Series, seit 2006

Camille Seaman, die Tochter eines Indigenen Vaters und einer afroamerikanischen Mutter, lernte schon früh, dass alle Dinge miteinander verbunden sind. Als die Vereinigten Staaten nach dem Einsturz der Twin Towers 2001 in den Krieg zogen (Seaman befand sich zu diesem entscheidenden Zeitpunkt der modernen US-amerikanischen Geschichte in New York), beschloss sie, stattdessen nach der Schönheit in der Welt zu suchen. Sie begab sich auf eine jahrzehntelange Reise von Pol zu Pol, fotografierte Eisberge, als wären sie Menschen, und bemerkte nach einer Weile schleichende Veränderungen in der Eislandschaft. Ihre Fotoserie „The Last Iceberg“ legt ein ebenso erschreckendes wie brutal schönes Zeugnis von dem sich vollziehenden Klimawandel ab.

Grounded Iceberg, Stranded Iceberg, Cape Bird, Antarctica, December 25, 2006, Image via www.lensculture.com

8. Sophie Calle: North Pole / Pôle nord (2009)

2008 reiste die französische Konzeptkünstlerin Sophie Calle zum Nordpol, um den Lebenstraum ihrer verstorbenen Mutter zu erfüllen: einmal die hohe Arktis zu besuchen. Eingeladen wurde sie von Cape Farewell, einem gemeinnützigen Programm, das Expeditionen für Künstler*innen und Kreative organisiert, um sie an die Frontlinie des Klimawandels zu bringen. So soll dazu beigetragen werden, dass sich die Öffentlichkeit durch die Linse von Künstler*innen mit den dramatischen Veränderungen auseinandersetzt. Calle brachte drei Erinnerungsstücke von ihrer Mutter mit – ein Foto, einen Ring und eine Halskette – und vergrub sie an einem strahlenden Oktobertag unter einem Felsen am Northern Glacier: „Wird der Klimawandel sie bis zum Pol tragen?“ Ihre so entstandene Werkserie „North Pole / Pôle nord“ dokumentiert die Expedition und regt darüber hinaus durch ein sehr persönliches, intimes Erlebnis zu weiteren künstlerischen Erkundungen an.

North Pole / Pôle nord, 2009 (detail). Image via www.capefarewell.com

9. Simon Beck

Eines Tages beschloss Simon Beck, sich nach dem Skifahren noch einmal Bewegung zu verschaffen. Ausgehend von einem Mittelpunkt, lief der ehemalige Kartograf sternförmig über die Schneedecke der französischen Alpen, wo er lebt, und erfand so das Schneezeichnen. Rasch entwickelte sich sein neues Hobby zu einer komplexen wie aufwendigen Kunstform, bei der er zunehmend diffizilere geometrische Muster im Schnee erschafft und dafür bis zu zwölf Stunden am Tag läuft. Für sein bislang größtes Werk, das sich über eine Fläche von sechs Fußballfeldern erstreckte, benötigte er 32 Stunden, verteilt auf vier Tage. Seit 2009 reist er als professioneller Schneekünstler um die Welt und hinterlässt seine Fußspuren auf gefrorenen Seen, Gletschern und Berglandschaften. Im Jahr 2015 verbrachte er eine Woche in Alberta in Kanada, um seine riesigen mathematisch konstruierten Motive in den Schnee des Banff National Park zu setzen.

10. Christian Houge: Arctic Technology & the Global Seedvault Series, ongoing

Die an einen außerirdischen Eisplaneten erinnernde Insel Spitzbergen liegt im Meer zwischen Norwegen und dem Nordpol. Sie beherbergt einige der aufwendigsten Technologien der Welt, die den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel dokumentieren. Auf Spitzbergen befindet sich auch der riesige Seedvault, eine Saatgutbank, in der Pflanzensamen aus fast allen Ländern der Welt gelagert werden – so etwas wie ein gigantisches Backup für die Biodiversität unseres Planeten. Der norwegische Fotograf Christian Houge lässt sich seit 14 Jahren faszinieren von der Beziehung zwischen Natur und Kultur. Er dokumentierte den Seedvault und seine unmittelbare Umgebung und erinnerte so an die Belastungen, der diese Beziehung in unserer heutigen Zeit ausgesetzt ist.

Arctic Technology & the Global Seedvault. Image via christianhouge.no

MAGNETIC NORTH

Mythos Kanada in der Malerei 1910–1940

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