Die heutige Über­wa­chungs­tech­no­lo­gie findet jeden, das ist längst kein Geheimnis mehr. Kann man sich da überhaupt noch verstecken? Ein Blick in die Kunst zeigt die Vielfalt der Tarnungsmöglichkeiten.

Das Verwischen von Spuren und Verbergen der eigenen Identität gehörte bis vor Kurzem vorrangig zu der Grundausbildung angehender Spion*innen und Hochstapler*innen. Doch in einer Zeit, in der allumfassende Überwachung so einfach wie noch nie und Sicherheit zu einer der obersten Staatsmaximen geworden ist, wird elektronische Massenüberwachung zusehends legitimiert – und das unbemerkte Agieren, das Recht auf Privatsphäre rückt in immer weitere Ferne. Das diese Entwicklung nicht ohne Folgen bleibt, lässt sich unter anderem an dem internationalen Zusammenschluss von Akademiker*innen beobachten, der bereits 2014 unter dem Titel „academics against mass surveillance” auf die Risiken einer umfassenden Überwachungspolitik verwies und für einen staatlichen Schutz der Privatsphäre plädierte.

Doch wenig Positives hat sich seit ihrem Aufruf getan. Mit dem Einsetzen der Corona-Pandemie scheint sich die Lage sogar noch zugespitzt zu haben, da Ansteckungsketten und Kontakte dezidiert zurückverfolgt werden müssen. Die Überwachungstechnologie und -industrie boomt. Doch wie können wir einen Funken der kostbaren Anonymität aufrechterhalten? Während Spion*innen dieses Berufsgeheimnis nur selten preisgeben, können uns Künstler*innen in ihren Werken so manches über die Kunst der Unsichtbarkeit verraten. Dabei wird deutlich: So verschieden Überwachungstechnologien auch erscheinen mögen, der Weg zur Tarnung erfolgt meist über dasselbe Prinzip.

1. How to become invisible... mit Hito Steyerl

Die Künstlerin und Filmemacherin Hito Steyerl beschäftigt sich in ihren Werken mit unserer digitalisierten Gegenwart. So geht sie in der Videoarbeit „How not to be seen. A fucking didactic educational mov.file“ (2013) der Frage nach, welche Möglichkeiten zum Untertauchen in einer zunehmend technologisierten Gesellschaft noch bleiben. Stilistisch an das Youtube-Genre des How-to-Videos angelehnt, präsentiert Steyerl in mehreren Sequenzen Strategien der Unsichtbarkeit. Den Auftakt macht die erste Lektion: „Make something invisible for a camera“. Mit Vorschlägen wie „to hide, to remove, to go out screen, to disappear“ scheinen zunächst nur harmlose Alltagslösungen vorgestellt zu werden.

Auf visueller Ebene offenbart Steyerl mit der sogenannten USAF-Chart jedoch die Ursprünge einer stetig optimierten Bildauflösungstechnologie. Hierbei handelt es sich um ein Testbild, das 1951 von der US Airforce zur Messung und Optimierung der eigenen Luftbildkameras entwickelt wurde. Die Idee dabei ist simpel: In kleine Gruppen arrangierte weiße Streifen in unterschiedlichen Ausrichtungen und Ausprägungen zieren die schwarz gefärbte Testchart. Können die Streifen nicht länger als voneinander getrennte Elemente wahrgenommen werden, markiert dies die Auflösungsgrenze des optischen Geräts – und damit auch das Ende der Sichtbarkeit vor der Kamera. „Resolution determines visibility. Whatever is not captured by resolution is invisible“, so die Konklusion der ersten Lektion. 

Resolution determines visibility. Whatever is not captured by resolution is invisible.

Auszug aus Hito Steyerls Videoarbeit

Hito Steyerl, How Not to Be Seen: A Fucking Didactic Educational .MOV File,
2013, Image via www.moma.org

Es geht weiter mit der Lektion „Be invisible in plain sight“. Hier erscheinen Tarnungsmöglichkeiten zunächst wie Scherzantworten: „Pretend you are not there. Hide in places“. Doch nach einer Weile wechselt das Bild von der Künstlerin, die die Lösungsvorschläge gestisch umsetzt, zu einer Ansicht auf eine analog zu den Teststreifen der USAF-Chart markierten Betonfläche inmitten einer Wüste. Und tatsächlich nimmt die Geschichte der USAF-Chart in der kalifornischen Wüste ihren weiteren Verlauf. Die markierte Betonfläche diente der US-Luftwaffe lange Zeit zur Kalibrierung ihrer Überwachungskameras – heute sei man darauf jedoch nicht länger angewiesen. Wie also der optimierten Technologie entkommen?

In der dritten Lektion „How to become invisible by becoming a picture“ scheint die Frage schon die Antwort zu beinhalten. Schnell wird aber klar, dass es komplizierter ist. Hier sollen zusätzliche, gewissermaßen fehlleitende, Informationen im Bild eine Unkenntlichkeit bewirken. Sollte es also wirklich möglich sein, den niemals schlafenden Augen der Überwachungskameras zu entgehen? Leider nein, die Ernüchterung folgt prompt. Denn mit dem Jahr 2000 habe sich ein neuer Standard für bildbasierte Auflösungstechnologie etabliert: das Pixel. „To become invisible one has to become smaller or equal to one pixel“ skandiert die Erzählstimme und läutet damit jenen Teil der Videoarbeit ein, der sich ausgehend von unserer Gegenwart zusehend in die Fiktion flüchtet.

To become invisible one has to become smaller or equal to one pixel.

Auszug aus Hito Steyerls Videoarbeit

Hito Steyerl, How Not to Be Seen: A Fucking Didactic Educational .MOV File,
2013, Image via www.artsy.net

2. How to become invisible... mit Suzanne Treister

Auch Suzanne Treisters Werkreihe „Camouflage” scheint in der Überlagerung von Informationen zunächst nach Auswegen aus der Überwachungsspirale zu suchen. In „Camouflage” lenkt Treister den Blick der Betrachter*innen unmittelbar auf die Technologien hinter der NSA-Affäre, die von Edward Snowden 2013 aufgedeckt wurde. Die ausgedruckten NSA-Dokumente über PRISM und GIG, die im Zuge von Snowdens Aktion veröffentlicht wurden, stellen die materielle Grundlage für Treisters Papierarbeiten dar.

Die ausgedruckten Texte, die zum Beispiel PRISM als geheimes Data-Mining-Programm zur digitalen Massenüberwachung enthüllen, durch das die NSA seit 2007 unerlaubten Zugriff auf private E-Mails, Fotos, Sprach- und Textnachrichten hat, übermalte sie mit Aquarellfarbe. Gewissermaßen statuiert Treister mit den Aquarellen ein Exempel. Denn gerade auf jenen belastenden Unterlagen, die die flächendeckende elektronische Überwachung belegen, demonstriert sie mit der Strategie der Maskierung und Übercodierung einen Weg aus der Sichtbarkeit heraus. Dafür greift sie visuelle Elemente wie Kreise oder Balken aus den Originaldokumenten auf und vervielfältigt diese, bis die Zeichen die Inhalte der Dokumente überlagern und damit vor dem unsichtbaren, analytischen Maschinen-Blick der PRISM-Software schützen.

Suzanne Treister, Camouflage, 2013
(c) Suzanne Treister, Image via www.suzannetreister.net/

3. How to be invisible... mit Zach Blas

Mit der Einführung des biometrischen Passbildes ist die Erfassung von Daten zur Gesichtserkennung längst auch in den Behörden angelangt. Doch so sinnvoll die elektronische Personenidentifizierung sein mag, so viele Risiken birgt sie auch. Das Training von künstlicher Intelligenz ist in dem Bereich nämlich noch immer mit großem Aufwand verbunden: Unzählige Bilder müssen gesammelt und verschlagwortet werden, was zu Diskriminierungen führen kann. Der Künstler Zach Blas zeigt mit seinen „Facial Weaponization Suite” einen möglichen Ausweg aus der Misere. Bei dem Werk handelt es sich um eine Serie von Masken, die in Workshops auf Basis der Teilnehmer*innen-Daten entstanden sind. 

Ziel war es, „kollektive Gesichter” zu kreieren und damit die Gesichtserkennungssoftware mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Zahllose Gesichtsfragmente wurden hierfür übereinander gelegt, ohne sie jedoch zu mitteln. Das Resultat sind stark verfremdete, abstrakte Masken, die von Softwares aufgrund zu vieler gegensätzlicher Informationen nicht länger als Gesicht identifiziert werden können. Indirekt bestätigt „Facial Weaponization Suite” damit eine Beobachtung von den französischen Philosophen Gilles Deleuzes und Félix Guattari, die sie bereits 1981 über das Gesicht als politisches Konstrukt machten. Seit jeher sei das Gesicht als Ausdruck innerer Zustände einem ständigen Versuch der Lesbarmachung unterworfen. Dies finde laut Deleuze und Guattari immer im Abgleich mit einem Ideal statt, das von den vorherrschenden Machtstrukturen geprägt ist. Es ist keine Überraschung, dass sie das Gesicht eines weißen Mannes als eine Art Idealtypus entlarven. So werden Gesichter immer wieder mit diesem Ideal abgeglichen, gedeutet, kategorisiert und bewertet. Um das Gesicht nun von diesen Zuschreibungen zu befreien und in die Unsichtbarkeit zu überführen, empfehlen auch die Philosophen eine gezielte Über- oder Untercodierung.

Zach Blas, Facial Weaponization Suite, installation detail, The Unknown Ideal, 2019, Image via zachblas.info

Was also tun, um sich der allgegenwärtigen Sichtbarkeit gelegentlich zu entziehen? Die vorgestellten Strategien der Künstler*innen, wie man sich unsichtbar machen kann, führen uns immer wieder zur Verfremdung, Maskierungen und Übermalungen. Folgt man der Kunst und Philosophie, scheint die Maskerade und Überzeichnung bereits erste Abhilfe zu verschaffen. In unserer aktuellen Lebensrealität führt dies zu einem ungeahnten Life-hack: Mit Mundschutz und Sonnenbrille sollte die Tarnung zumindest vor herkömmlichen Gesichterkennungssoftwares bestens gelingen.

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