Und warum das gerade jetzt so wichtig ist. Ein Gespräch über Achtsamkeit, Lebenskrisen und die 90er Jahre in Frankfurts Kreativszene.

Jeppe Hein ist gerade aus dem Urlaub mit seiner Familie zurückgekommen. Eine merkwürdige Erfahrung, wie er zugibt: „Durch Corona waren wir alle zwei, drei Monate ständig zusammen, schon vor dem Urlaub. Besonders in letzter Zeit, weil ich so viel von zu Hause aus gearbeitet habe. Ich beschwere mich überhaupt nicht. Es war ein total schöner Urlaub … und jetzt fängt auch langsam die Kunst wieder an …“

Wo wir gerade dabei sind: Wie hast du die Zeit vor deinem Urlaub verbracht? Konntest du gut arbeiten im Lockdown?

Die ersten Monate des Lockdown waren für mich sehr anstrengend. Ich habe viel am Computer gesessen, geplant, koordiniert. Viele Museen haben gesagt: Kannst du nochmal ein kleines Video für uns machen, kannst du dies machen, kannst du das machen, wofür ich volles Verständnis habe, denn auch die Ausstellungshäuser mussten schauen, wie sie mit wenigen Möglichkeiten die Zeit überbrücken. Wenn man jetzt zurückblickt, dann bin ich sicher, es wird große Veränderungen geben, auch langfristig, wie wir reisen, wie wir uns absprechen, wie wir uns auch digital verabreden.

Für meinen eigenen künstlerischen Prozess habe ich auch geschaut, wie funktioniert das, tief reingehen, sich den Spiegel vorhalten: Was will ich eigentlich gerne in meinem Leben, was ausdrücken, was weitergeben ... welche Erfahrungen will ich weitergeben.

Courtesy Jeppe Hein, KÖNIG GALERIE, Berlin, London, Tokio, 303 GALLERY, New York und Galleri Nicolai Wallner, Kopenhagen, Foto: Jan Strempel

In gewisser Weise kennst du eine solche Ausnahmesituation schon: 2009 hattest du ein sogenanntes Burnout und den Umstand sowie deinen Umgang damit öffentlich thematisiert.

Das war schon ein heftiges Erlebnis in meinem Leben. Eine richtige Krise. Angst, Depressionen…. Weil ich einfach selbst geflüchtet bin, viel rumgereist, in der Welt. Ich habe Liebe und Anerkennung außerhalb von mir selbst gesucht. Nach der Krise habe ich vieles anders gemacht: Angefangen mit Yoga, Achtsamkeitsübungen, viel draußen sein in der Natur. Beobachten, wie sich die Blätter bewegen, all solche Sachen. Im Hier und Jetzt sein. Das war ein langer Weg, das, was ich überall gesucht hatte, in mir selbst zu finden. Ich bin zuvor immer in der Vergangenheit oder in der Zukunft gewesen, schon bei der nächsten Eröffnung. Immer dabei waren meine Frau und meine Kinder. Wir haben als Familie sehr viel gemeinsam durchlebt. Wenn jetzt so eine Situation kommt, würde ich sagen, dann bin ich vorbereitet.

Wenn man deine Kunst betrachtet, scheint es auch da definitiv ein vor und nach der Krise zu geben. War das eine bewusste Entscheidung, Dinge anders zu machen?

Was die Kunst betrifft: Die Form war gar nicht so anders. Spiegel und Wasser, zum Beispiel, damit habe ich auch vorher oft gearbeitet. Aber die Themen haben sich natürlich verändert. Irgendwann habe ich auch angefangen, richtig viel zu malen, zigtausende Aquarelle. Und zu schreiben: was ich fühle, wer ich bin, was für Gedanken ich habe, auch ein bisschen Spaß zu machen. Positiver Spaß, würde ich sagen. Über mich selbst, nicht über andere. Früher habe ich nie wirklich genossen, was eigentlich da war. Das habe ich langsam gelernt. So habe ich langsam entdeckt, dass ich auch zu meiner Arbeit einen spirituellen Zugang habe. Oder viel eher schon hatte: vieles habe ich immer sehr intuitiv gemacht. Jetzt ist es lustiger Weise viel weniger intuitiv, habe ich viel eher klarere Ideen.

Atmen, Striche malen, Stimmungen aufzeichnen: Die einen finden das großartig – „Jeppe ist ein Märchenprinz“, hat ein Amazon-Rezensent beispielsweise zu deinem Ausstellungskatalog im Kunstmuseum Wolfsburg geschrieben. Die anderen wundern sich, was die Kunst vom Lebensratgeber unterscheidet. Kannst du es uns erklären? Oder interessieren dich diese Fragen überhaupt nicht?

Man kann ja nicht Kunst für jeden machen. Ich glaube, momentan merkt man einfach, dass meine Kunst so ins Herz reingeht. Das mögen manche Kritiker, Museumskuratoren nicht. Aber ich mache Kunst für die Leute. Man kann sich nicht so sehr beeinflussen lassen von der Rezeption. Man muss einfach machen!

Ich glaube nicht, dass ich ein Genie oder ein ganz besonderer Künstler bin. Ich glaube aber, auch wenn das jetzt etwas spirituell klingt, dass es eine Bewusstheit der Welt gibt, eine Art Cloud. Da kann man manchmal die Erlaubnis bekommen, einige Dinge von dort runterzuholen und verfügbar zu machen. Ich bekomme Ideen und bringe das raus. Ich habe Kunst studiert und mache Kunst, denke ich. Für mich ist Kunst ein Werkzeug, das Herzen öffnet. Aber es gibt auch andere – Yoga zum Beispiel. Jetzt in der Schirn-Rotunde werde ich ja auch da sein, um mit den Besuchern reden. Da können wir gern auch diskutieren: Wie zeigt man überhaupt seine Gefühle?

Wenn man sich gerade umschaut, könnten wir alle mehr Verständnis für unser Gegenüber gebrauchen. Wir waren eine ganze Weile eingesperrt, allein oder mit unseren Liebsten, diese Situation zwingt uns zur Selbstreflexion. Nicht nur intellektuell, auch emotional. Ich glaube, viele Leute haben viel über sich selbst gelernt. Nicht nur nette Dinge übrigens ….

Für mich ist Kunst ein Werkzeug, das Herzen öffnet.

Jeppe Hein

Unter dem Titel „Today I feel like“ wirst du jetzt in der Frankfurter Schirn mit Besucherinnen und Besuchern ein gemeinsames Werk schaffen. Was wird dort passieren?

Zunächst einmal kommt man rein, und da wird ein kleiner Kaffeestand stehen – sein Name bedeutet auf Dänisch „lachen“: Smil Kaffee. Da können die Leute erst einmal einen Kaffee trinken in der Schirn. Oben in der Rotunde habe ich dann schon einmal viele, viele Kreise vorgemalt, um die Struktur zu definieren. Dann gibt’s eine kleine Einführung, jeder bekommt einen Topf mit Farbe und Pinsel, und man geht nach oben. Dort sucht man sich dann einen Kreis aus und malt sein aktuelles Gefühl hinein.

Meine Idee lautete so: Ich habe ganz viele Gefühle plötzlich entdeckt, die ich gar nicht richtig kenne, sodass ich mich gefragt habe: Was ist das überhaupt? Wie kann ich das benennen? So geht es ja uns allen. Wir haben alle Schwierigkeiten, zu kommunizieren, wie wir uns fühlen. Ich finde es wichtig, eine Kunstinstitution für die Bevölkerung zu öffnen, und zu sagen: Sei ein Teil von diesem Projekt und zeig uns und der Welt, wie du dich gerade fühlst!

Courtesy Jeppe Hein, KÖNIG GALERIE, Berlin, London, Tokio, 303 GALLERY, New York und Galleri Nicolai Wallner, Kopenhagen, Fotos: Jan Strempel

Du hast in den 90er Jahren an der Städelschule studiert, bei Kasper König. Sein Sohn Johann ist heute dein Galerist. Wie hast du Frankfurt und das Akademieumfeld damals wahrgenommen?

Die Städelschule und Frankfurt generell waren super wichtig für mich, allein, um ganz neue Kunstansätze kennenzulernen. Zu dieser Zeit war Frankfurt schon extrem interessant, der Portikus war gerade ziemlich heiß, die Schirn und auch das MMK waren ziemlich neu. Und dann habe ich viele tolle Kollegen beim Fußballspielen kennengelernt, Tobias Rehberger zum Beispiel. Das war schon ein Meilenstein für mich, da anzufangen, weil da einfach so viel kreative Energie war. Hier hab‘ ich auch Johann kennengelernt, auf einer Bank vor dem Frankfurter Kunstverein. Damals habe ich übrigens auch in der Schirn schon ausgestellt, Martina Weinhart hat kuratiert, wir kennen uns also schon eine ganze Weile. Es ist schön, zurückzukehren.

Wie hältst du es mit dem Autorenbegriff? Ist das, was dort entsteht, deine Arbeit – werden die Besucherinnen und Besucher Teil deines Werks, ist es eine Gemeinschaftsarbeit?

Ich finde, es ist eine gemeinsame Arbeit, aber geleitet von mir. Ich brauche die Besucher, die Betrachter und bin so gespannt, wie es am Ende aussehen wird. Und ich hoffe, dass viele, viele Leute kommen und ihren Gefühlsausdruck zeigen. Es ist ja keine Arbeit, die ich verkaufen will. Aber irgendwann wird die Arbeit vielleicht in einem Katalog stehen und darunter „By Jeppe Hein und 400 fantastischen Menschen“. Oder „400 unterschiedliche Gefühle von Menschen“.

Today I feel like

Ein partizipatives Kunstprojekt mit Jeppe Hein

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