Mit Hilfe von Algorithmen morpht der Komponist Orm Finnendahl alle Werke von BIG ORCHESTRA zu einer ungewöhnlichen Klangkulisse. Ein Gespräch über große Egos, Brian Eno und computergesteuerte Sounds.

Für BIG ORCHESTRA konzipiert der Komponist Orm Finnendahl eine Klanginstallation aus Aufnahmen von Tönen und Geräuschen, die er mit den ausgestellten Skulpturen erzeugt. Mithilfe eines Computerprogramms werden die Aufnahmen während der Laufzeit auf immer wieder neue Weise kombiniert, collagiert, überlagert und über Lautsprecher im gesamten Ausstellungsbereich zu hören sein. So ergeben sich unterschiedliche akustische Situationen, die von isolierten Klangereignissen bis zu dichten Klanglandschaften, an denen alle Lautsprecher beteiligt sind, reichen. 

Mit „Music for Exhibitions“ komponierst du eine Musik, die explizit auf die Ausstellung „Big Orchestra“ zugeschnitten ist. Dein Auftrag war es, eine akustische Referenz auf die präsentierten Kunstwerke zu schaffen und damit auch ihre klangliche Dimension erlebbar zu machen. Es geht bei dem Projekt also weniger um ein „autonomes“ Musikstück für die Bühne, als vielmehr um eine funktionsgebundene Arbeit. Wie stehst du als Komponist zu einer solchen Aufgabe?

Ich schätze, ich habe da eine eher untypische Haltung für einen Komponisten zeitgenössischer Musik. Denn für mich ist es gar kein Problem, dass meine Komposition eine Funktion erfüllen soll. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Musik hat immer eine Funktion. Ausnahmslos. Und jeder Komponist, der das bestreitet, lügt. Selbst die abstrakteste, für den klassischen Konzertsaal konstruierte Musik hat einen funktionalen Aspekt. Und wenn es derjenige ist, dass sie den Zuschauer mit existenziellen Fragen konfrontiert. Ich persönlich gehe ganz offensiv mit dieser Situation um: Ich kann am besten komponieren, wenn ich den Anlass kenne – wenn ich weiß, wo das Stück aufgeführt wird, von wem es gespielt wird, oder auch welches Publikum zu erwarten ist. Und wenn ein Stück in einem Ausstellungsraum aufgeführt werden soll, wo Leute kommen und gehen, dann stelle ich mich darauf ein. Es kann auf keinen Fall darum gehen, jemandem sein Ego überzustülpen oder um jeden Preis zeigen zu wollen, was für ein toller Komponist man ist. Im Gegenteil: Es geht darum, etwas zu schaffen, das an dem spezifischen Ort Sinn ergibt. Dann hat auch das Publikum etwas davon.

Wie gestaltet sich in diesem Fall deine kompositorische Arbeit? Was sind die ersten Schritte auf dem Weg zur „Music for Exhibitions“?

Ich arbeite ausschließlich mit Klängen, die mit den ausgestellten Werken erzeugt werden. Dafür gehe ich gemeinsam mit einem Instrumentalisten in die Ausstellung und er bespielt die Objekte. Viele von ihnen sind Schlaginstrumente, manche werden gerieben, gekratzt, gezupft etc. Die Klänge, die dabei entstehen, zeichne ich auf und sammle so mein Material an. Mit diesen gesammelten Samples kann ich dann kompositorisch weiterarbeiten. Und da lasse ich mich einfach inspirieren von dem, was ich so finde. Ich habe keinen vorgefertigten Plan, sondern höre erst einmal nur aufmerksam hin.

Musik hat immer eine Funk­tion. Ausnahms­los. Und jeder Kompo­nist, der das bestrei­tet, lügt.

Orm Finnendahl
Porträt © Orm Finnendahl

Dein Klangmaterial gewinnst du also über eine recht offene, explorative Herangehensweise. Wie arbeitest du dann damit weiter? Und welche Art von Musik soll am Ende dabei herauskommen?

Die gesammelten Samples muss ich schneiden und sortieren. Dann übergebe ich sie an Computeralgorithmen, die ich selbst programmiert habe. Diese Algorithmen sind gewissermaßen digitale Bearbeitungsmaschinen, mit denen die Klänge in bestimmter Weise organisiert, arrangiert, geordnet werden. Und in ihrer organisierten Form werden sie dann über Lautsprecher in die Ausstellung gespielt. Klanglich kann da alles Mögliche passieren: Einige der Samples kommen in ihrer ursprünglichen, unbearbeiteten Form vor, so dass man schnell erkennt, von welchem Ausstellungsstück sie stammen. Vielleicht werden aber auch mal Klänge beschleunigt, verlangsamt oder nach oben und unten transponiert. Dann ist das Ausgangsmaterial plötzlich nicht mehr klar erkennbar. Oder aber es überlagern sich immer mehr Spuren, wodurch die Sounds kontinuierlich in eine abstrakte, rätselhafte Klangwelt überführt werden.

Wenn beispielsweise tausend Schichten gleichzeitig zu hören sind, wird vermutlich niemand mehr den Originalklang identifizieren können. Hier kann man als Komponist wunderbar mit dem Parameter der Informationsdichte spielen: Vielleicht sind zeitweise nur sporadische Klangereignisse zu hören, dann reichert sich das Material wieder an und mündet irgendwann in eine gewaltige Klangfülle. Die Komposition soll also oszillieren zwischen einer fast unmerklichen, hintergründigen Beschallung und einer großen akustischen Präsenz. Wichtig ist mir, dass die Musik niemals belästigend auf die Hörer wirkt oder sie beim Besuch der Ausstellung stört. Ein gutes Beispiel sind für mich Blindenampeln: Ihr Knacksen ist immer sehr gut hörbar, aber niemals aufdringlich. Es sind sehr schöne Klänge, wie ich finde.

Denn ich bin grund­sätz­lich nicht der Meinung, dass Musik eine Art Glut­amat für Gefühle ist.

Orm Finnendahl

Ist dein Ziel dann in erster Linie, eine angenehme Atmosphäre in den Ausstellungsraum hinein zu komponieren? Da wäre ja auch die Parallele zu Brian Enos „Music for Airports“ aus den 1970er Jahren zu ziehen.

Nicht unbedingt. Denn ich bin grundsätzlich nicht der Meinung, dass Musik eine Art Glutamat für Gefühle ist. Aber natürlich hat Brian Eno mit einem zentralen Gedanken recht (und Erik Satie übrigens auch, der das Konzept der Hintergrundmusik schon im frühen 20. Jahrhundert entwickelt hat): In dem Moment, in dem du Musik in einen Raum hineinspielst, veränderst du etwas. Dessen muss man sich als Komponist bewusst sein. Und wichtig ist mir für „Music for Exhibitions“, dass sie die Fantasie der Besucher anregt. Zwar soll die Komposition eindeutig rückführbar auf die Instrumente der Ausstellung sein, aber genauso sollen auch Verfremdungen und Weiterentwicklungen von Klängen stattfinden. Denn auf diese Weise eröffnen sich den Hörern vielleicht neue Perspektiven; ein anderer Blick auf die klanglichen Potenziale der Kunstwerke.

Die Ausstellung findet – ganz erwartungsgemäß – in mehreren Räumen statt. Wie gehst du kompositorisch damit um?

Das Stück ist mehrkanalig. Das heißt, es gibt zwischen acht und sechzehn individuelle Spuren, die jeweils über eigene Lautsprecher wiedergegeben werden. Allerdings läuft nicht in jedem Raum ein anderes Stück, sondern alle Spuren sind synchronisiert und korrespondieren miteinander. So lässt sich an jedem Ort der Ausstellung eine etwas andere Klangkulisse wahrnehmen – je nachdem, wie nah man sich an welchem Lautsprecher befindet. Gesteuert wird alles über einen zentralen Computer, der gewissermaßen wie ein Roboter am Mischpult steht und alle Kanäle aufeinander abstimmt. Natürlich habe ich vorher einen Gesamtformplan entworfen, so dass nicht einfach alle Lautsprecher beliebig vor sich hin dudeln. Es gibt immer wieder Kulminationspunkte und kollektive Klangereignisse.

Als Teil der Ausstellung ist „Music for Exhibitions“ eine Komposition, die an der Schnittstelle von Musik und bildender Kunst entsteht. Ist dir diese Form der Arbeit vertraut? Und findest du, dass sie zu dir passt?

Ja, absolut. Ich hatte schon immer ein großes Interesse an interdisziplinären Herangehensweisen. Vor allem bin ich schon früh mit bildender Kunst in Berührung gekommen. Denn in meiner Jugend habe ich viel Zeit in Düsseldorf verbracht und die Szene, die von der dortigen Kunstakademie kam, sehr gut kennengelernt. Insofern hat dieser Bereich – ebenso wie die Architektur – in meinem Leben schon immer eine Rolle gespielt. Was Musik betrifft, bin ich ähnlich heterogen geprägt: Mit 17 Jahren habe ich Punk entdeckt, davor viel Progressive Rock gehört. Vor Kurzem übrigens habe ich als Keyboarder mit zwei Kollegen die Rocksuite „Tarkus“ von Emerson, Lake and Palmer an der Musikhochschule Frankfurt aufgeführt.

Und durch diese verschiedenen musikalischen Einflüsse war für mich auch der Weg zur neuen Musik relativ unproblematisch. Insofern würde ich über mich selbst sagen – ohne kokett klingen zu wollen –, dass ich ein wirklich abenteuerlustiger Mensch bin. Mir gefällt es, mich auf neue Projekte einzulassen, Arbeitsweisen auszuprobieren, die mir noch nicht vertraut sind. Natürlich weiß ich, dass man sich nicht immer wieder neu erfinden kann. Aber ich muss zugeben, dass ich es sehr bedaure, nur ein einziges Leben zu haben. Ich würde zum Beispiel wahnsinnig gerne mal Bauarbeiter sein oder auch eine Weltreise machen. Am liebsten wäre ich vier Menschen gleichzeitig. Ich schätze, das war schon immer ein grundlegender Wesenszug meiner Persönlichkeit.