In Bühnenstücken und Videos bringt die Frankfurter Choreografin und Performerin Joana Tischkau Klischees über kulturelle Eigenheiten zum Tanzen. Ein Besuch im sommerlichen Schrebergarten.

Joana Tischkau steht vor der Küchenzeile ihrer Wohnung im Gutleutviertel und versenkt Zitronenscheiben in einer mit Mineralwasser gefüllten Karaffe. An der Wand über dem Spülbecken hängen gerahmte Schallplatten – etwa eine griechische Ausgabe der LP „Aretha“ von Aretha Franklin. Zwei Tage vor unserem Treffen ist Tischkau aus Berlin zurückgekommen, wo sie am Theater „Hebbel am Ufer“ (kurz: HAU) für ein neues Projekt recherchiert hat. „Meine Koffer habe ich noch nicht ausgepackt.“

In ihrer Wohnung halten wir uns nicht lange auf. Dafür ist das Wetter viel zu schön. Lieber sitzen wir zwei Straßen weiter mit gekühlten Getränken in einem Schrebergarten in der Nachmittagssonne. Im Nadelbaum über unseren Köpfen zanken sich Vögel. Nebenan mäht jemand Rasen. Tischkau hat den Garten seit vergangenem Dezember angemietet und im Frühjahr Tomaten, Bohnen und Johannisbeeren angepflanzt – mit Hilfe ihrer Mutter und einer Freundin, mit der sie sich das Grundstück teilt. „Ich bin keine gute Gärtnerin. Und viel zu oft unterwegs, um mich das ganze Jahr über um die Pflanzen kümmern zu können“, erzählt sie.

Vorbild sind berühmte Gedenkstätten Schwarzer Popkultur

Tischkau ist Tänzerin und Choreografin. Doch bei ihrer neuen Arbeit handelt es sich ausnahmsweise nicht um ein Bühnenstück, sondern um eine Rauminstallation. Der Titel „Deutsches Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music“ ist Programm. Ausgestellt werden Schallplatten, Autogrammkarten und Fanartikel von Musikern wie Roberto Blanco, Billy Mo oder Boney M. Aber auch Devotionalien von ehemaligen Viva-Moderator*innen wie Patrice Bouédibéla und Milka Loff Fernandes. Vorbild sind berühmte Gedenkstätten Schwarzer Popkultur – etwa das Motown Museum in Detroit oder Bob Marleys Mausoleum auf Jamaika. „Unser Ziel ist es, Schwarze deutsche Musikgeschichte sichtbar zu machen.“ Das Projekt hat Tischkau mit einem Team aus Berliner Künstler*innen in Kooperation mit dem HAU und dem Künstlerhaus Mousonturm auf die Beine gestellt. Realisiert wird es im August im Frankfurter Museum Angewandte Kunst. Zum Rahmenprogramm gehören Führungen, Lesungen und Konzerte.

Foto: Neven Allgeier

Wenn Tischkau an einem neuen Bühnenstück arbeitet, beginnt sie meist mit dem Kostüm. Zu „Being Pink Ain‘t Easy“ ließ sie sich zum Beispiel von einem Foto inspirieren, auf dem der Rapper Cam’ron einen pinken Pelzmantel trägt. Das Stück hatte vergangenes Jahr in den Berliner Sophiensälen Premiere und sollte diesen Juli eigentlich im Mousonturm gezeigt werden. Wegen Corona wurde der Termin jedoch verschoben. 

In „Being Pink Ain‘t Easy“ geht es um kulturelle Aneignung, Männlichkeit und Hip-Hop. Protagonist ist ein Weißer Tänzer, der eine vermeintlich Schwarze Körperlichkeit für sich reklamiert. Für Tischkau ist es kein Zufall, dass ausgerechnet Weiße Jugendliche aus dem Mittelstand so gerne Hip-Hop hören und die kulturellen Codes ihrer Schwarzen Rap-Idole übernehmen. Ihre These: Die Musik und die damit einhergehenden Bilder ermöglichen ihnen Zugang zu einer bestimmten Körperlichkeit und bestimmten Emotionen, die mit Schwarz-sein assoziiert sind. Tischkau möchte zeigen, inwiefern dieses Begehren nach Schwarzen Ausdrucksformen rassistische Klischees jedoch weiter befördert und reproduziert.

Unser Ziel ist es, Schwarze deut­sche Musik­ge­schichte sicht­bar zu machen.

Joana Tischkau

Während der Kontaktsperre hat Tischkau eine Serie von Youtube-Videos gedreht, in denen sie Fitnesstrends auf die Schippe nimmt. Auch hier geht es ihr um das Begehren nach der Körperlichkeit der kulturell Anderen. Dem Versprechen einer „Exotik“, die damit verbunden ist – und dem, was wir daraus machen. „Nimm zum Beispiel Zumba. Das beruht auf der vereinfachten Form lateinamerikanischer Tänze, bei denen ursprünglich jede Bewegung eine bestimmte Bedeutung hat und Teil einer komplexen sozialen Praxis ist. Und dann kommst du in ein Fitnessstudio, jemand legt die Kassette ein und alle tanzen stumpf dieselben Schritte nach.“ Tischkau kehrt in ihren Videos den Spieß humorvoll um, indem sie gängige Klischees über Weiße Deutsche zu einem Workout verwurstet: Im Dirndl stemmt sie zu Schunkelmusik Salzbrezeln in die Luft und sagt dazu Sätze wie „Nobody wants this Winkefleisch.“

Joana Tisch­kau kehrt in ihren Videos den Spieß humor­voll um

Tischkau hat schon als Kind gerne getanzt. Während ihrer Jugend in Göttingen wohnte sie direkt neben einer Tanzschule und besuchte sämtliche Kurse, die auf dem Programm standen. „Fünf Tage pro Woche habe ich dort trainiert“, erinnert sie sich. Später zog sie nach Köln, wo sie Cheerleaderin bei den Cologne Centurions wurde – einem erfolgreichen Footballteam. „Es hat aber lange gedauert, bis ich mich getraut habe, zu sagen: Das mit dem Tanzen mache ich jetzt beruflich. Da war ich schon 26.“

Foto: Neven Allgeier

An der Universität von Coventry, einer Stadt mitten in England, studierte sie Tanz und Schauspiel. „Der Fokus lag auf Improvisation. Alles war sehr frei. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass bestimmte Ausdrucksformen keinen Platz hatten. Als ich dort etwa Hip-Hop getanzt habe, wurde das nicht so gerne gesehen. Es gab die Idee, dass man sich erst einmal aller kulturellen Einschreibungen entledigen sollte. Dabei geht das ja gar nicht: Sobald ich alte Einschreibungen ablege, nehme ich sofort neue an.“ Nach ihrem Bachelor wechselte sie ans Institut für Angewandte Theaterwissenschaften nach Gießen. Dort entstand – als Abschlussarbeit – auch ihr Stück „Playblack“, mit dem sie bald wieder auf Tour gehen will.

In Frankfurt fühlt Tischkau sich wohl. Nicht nur, weil es hier den Mousonturm gibt, der viele ihrer Arbeiten koproduziert und finanziert. „Die Stadt ist superdivers. Vielleicht sogar noch diverser als Berlin. People of Color arbeiten in allen möglichen Gesellschaftsbereichen – ob bei Aldi an der Kasse oder im Bankenbusiness. Diese Menschen sind mir wichtig. Auch als Publikum.“

Die Stadt ist super­di­vers. Viel­leicht sogar noch diver­ser als Berlin. 

Joana Tischkau
Foto: Neven Allgeier

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