Der Produktdesigner Sebastian Herkner hat sich mit Möbeln und Wohnaccessoires international einen Namen gemacht. Ein Studiobesuch in Offenbach.

Ein Hinterhaus in der Offenbacher Geleitstraße. Licht fällt durch die vergitterten Fenster im Hochparterre, die von der Vergangenheit des Raums als Lederlager zeugen. „Früher wurden hier wertvolle Schlangenhäute und Pelze aufbewahrt“, erzählt der Designer Sebastian Herkner bei unserem Treffen. Wir sitzen zwischen Schwerlastregalen, die mit Materialproben (viel Stoff, viel Glas) beladen sind. Einige davon stecken in grauen Kartons.

„Gleich um die Ecke, in der Kaiserstraße, gibt es einen Laden, der diese Schachteln nach Maß anfertigt“, freut sich Herkner, der bei guter Handarbeit schnell ins Schwärmen gerät – auch wenn es sich dabei um etwas so vermeintlich Banales wie Pappkartons handelt.

Gute Handarbeit weiß Herkner zu schätzen

In einer Ecke des Raums schraubt sich eine Wendeltreppe in die erste Etage. „Hier unten machen wir Modellbau, oben ist Platz für Besprechungen, Skizzen und Computerarbeiten“, erklärt Herkner die Raumaufteilung seines zweistöckigen Studios. Bis im August des vergangenen Jahres hatte er oben seine Privatwohnung. Inzwischen ist er ausgezogen. Er brauchte den Platz. Je nach Umfang des Projekts, an dem er gerade arbeitet, beschäftigt er bis zu vier Mitarbeiter. Fast direkt gegenüber von Herkners Studio-Adresse liegt eine Außenstelle der Offenbacher Hochschule für Gestaltung, wo der mittlerweile 37-jährige von 2001 bis 2007 Produktgestaltung studierte. 

Porträt Sebastian Herkner © Foto: Neven Allgeier

Aus Bad Mergentheim, seiner ehemaligen Heimat, brachte Herkner eine große Wertschätzung für gutes Handwerk mit. „Ich glaube, man wächst auf dem Land anders auf als in der Stadt“, sagt er. „Im Wald bauten wir Baumhäuser und machten generell viel mit den Händen. In vielen Haushalten gab es Werkstätten, in denen alle möglichen Dinge hergestellt oder repariert wurden.“

Glassockel und Messingplatte verhalfen zum Durchbruch

Nach dem Diplom arbeitete Herkner zunächst als Assistent seines Professors Peter Eckart. Mit dem Geld, das er dabei verdiente, trieb er die Entwicklung seines „Bell Table“ voran. Der Beistelltisch wird seit 2012 vom Münchner Hersteller ClassiCon vertrieben und war Herkners beruflicher Durchbruch. Die gewagte Kombination aus glockenförmigem Glassockel und kreisrunder Messing- oder Kupferplatte sorgte für Aufsehen. Es gibt wohl kaum ein Designmagazin, in dem das markante Möbelstück nicht abgedruckt wurde. „Eine der größten Herausforderungen war es, eine Manufaktur zu finden, die das nötige Know-how hat, um den Sockel zu blasen“, erinnert sich Herkner.

© Foto: Neven Allgeier
© Foto: Neven Allgeier

Er zeigt uns die Hohlform aus lang abgelagertem, gedrechseltem Buchenholz für den Prototyp. „Siehst du, wie verkohlt das Holz innen ist? Trotzdem bleibt das heiße Glas transparent, wenn es mit über 1000 Grad hineingeblasen wird“, schwärmt er – und erklärt: „Weil sie über Nacht im Wasserbad lag, bildet sich eine Art Schutzfilm durch die Verdunstung des Wassers zwischen Glas und Form.“

Schöne Stuhlrücken und extravagante Enwürfe

Inzwischen arbeitet Herkner für viele renommierte Designerlabels. In den vergangenen Jahren entwarf er etwa Vasen für Rosenthal, Leuchten für Pulpo und Fürstenberg sowie Möbel für Dedon und Moroso. Etwa ein Drittel des Jahres verbringt er damit, durch die Welt zu reisen. Dann fliegt er zum Beispiel nach Kolumbien, Indonesien oder auf die Philippinen, um die Manufakturen zu besuchen, mit denen er zusammenarbeitet. Am Standort Offenbach schätzt er neben dem einzigartigen Wilhelmsplatz, wo er oft zu Mittag isst und den Freunden, die hier leben und nicht zuletzt auch die Nähe zum Flughafen. 

© Foto: Neven Allgeier
© Foto: Neven Allgeier

Auf den Einrichtungsmessen ist der Name des Designers in aller Munde. Kunden kaufen nicht bloß einen Tisch oder Stuhl. Sie kaufen „Herkner“ – und suchen den Kontakt zu ihm. „Das ist ein bisschen wie auf einer Buchmesse, wo Schriftsteller ihren neuen Roman präsentieren und Interviews geben“, erzählt er. „Was wir machen, ist Autorendesign. Mein Name ist eng mit dem Produkt verbunden.“ Bei Auftragsarbeiten muss Herkner darauf achten, die jeweilige Firmenphilosophie zu bewahren, ohne dabei seine individuelle Handschrift zu verlieren – ein Balanceakt. „Manchmal muss ich einem Auftraggeber auch klar machen, dass ich seine Wünsche nicht realisieren kann, weil es sich falsch anfühlt.“

Wie lässt sich Herkners Designsprache beschreiben? „Mein Stil ist nicht besonders deutsch, nicht zu puristisch, sondern sinnlich“, antwortet er. Verglichen mit der für deutsches Design oft maßgeblichen Bauhausschule sind seine Entwürfe eher extravagant. Das trifft vor allem auf seine Arbeiten für das avantgardistische italienische Label Moroso (etwa die knallroten, comicartigen Pipe-Chairs) zu. „Moroso ist für die Welt des Möbeldesigns in etwa das, was das Label Comme des Garçons für die Modebranche ist“, sagt Herkner – der weiß, wovon er spricht: Während seines Studiums, damals war er noch in einer Orientierungsphase, ging er für ein Jahr nach London, um ein Praktikum bei der Modeschöpferin Stella McCartney anzutreten.

Mein Stil ist nicht besonders deutsch, nicht zu puristisch, sondern sinnlich.

Sebastian Herkner
© Foto: Neven Allgeier

Abschließend sprechen wir über Herkners aktuelle Projekte. Für die nordhessische Firma Thonet hat er vor Kurzem eine Neuinterpretation des Frankfurter Stuhls, einem Küchenstuhlklassiker aus dem Zwanzigerjahren, geschaffen. Im Gegensatz zum Original („Du sitzt übrigens gerade auf einem“) ist der Sitzrahmen von Herkners Version nicht aus Schichtholz, sondern aus massivem Bugholz gefertigt. Außerdem wirkt das Update feiner und eleganter. „Ein solcher Stuhl braucht einen schönen Rücken“, findet Herkner. „Schließlich nähert man sich ihm in der Regel von hinten, wenn er im Restaurant am Tisch steht.“

© Foto: Neven Allgeier

Das Möbelstück ist Teil einer Familie, an deren Entwicklung das Studio aktuell arbeitet. Drei Tage nach unserem Besuch bei ihm wird Herkner die Neuschöpfung vor Innenarchitekten in Amsterdam vorstellen, wo Thonet einen Showroom betreibt. Der Laptop mit der Präsentation steht schon parat. Ein weiteres Projekt dreht sich um Wandfliesen, die vom Tartanmuster eines Schottenrocks inspiriert sind. Auftraggeber ist eine italienische Firma. „Wir experimentieren gerade mit unterschiedlichen Farbtönen und Glanzgraden“, sagt Herkner mit Blick auf die Werkbank seines Studios. Und dann gibt es da noch den Plan für ein Produkt, das wir selbst gut gebrauchen könnten, als wir wieder draußen in der Junihitze stehen: Sonnenbrillen, eine Kooperation mit einem Berliner Label.

© Foto: Neven Allgeier

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