Philip Bußmann entwirft Videoinstallationen und Kulissen für große Bühnen. Ein Gespräch über sein Leben in New York, Beckett im Autoscooter und Japan als Sehnsuchtsort.

„Ich habe kein Atelier, mein Atelier ist mein Kopf“, hatte uns der freie Bühnenbildner und Videokünstler Philip Bußmann bereits am Telefon erzählt. Deshalb treffen wir uns mit ihm am Schauspiel Frankfurt. Beim Pförtner lässt er sich einen großen Pappkarton aushändigen. Und so kommt es, dass zur Mittagszeit auf unserem Tisch in der Kantine statt kulinarischer Leckereien ein trichterförmiges Modell aus Schaumpappe steht.

Für die neunteilige Monodrama-Reihe „Stimmen einer Stadt“ unter der Regie von Anselm Weber hat er einen weißen Raum mit schrägen Flächen geschaffen. Die Schauspieler wirken dadurch größer, je weiter sie sich vom Bühnenrand entfernen. Bußmann verdeutlicht dieses Phänomen mit Hilfe von Maßstabsfiguren, die er aus einem kleinen Plastikbeutel schüttelt. An der engsten Stelle vor der Trichteröffnung klemmt er sein Handy ein, das Display zeigt ein Foto der Frankfurter Skyline. Im Original ist hier Platz für einen Monitor, der mit Videos bespielt wird.

Der Trichterraum ist eine Art Kopfkino, in dem die Figuren über sich und ihr Leben reflektieren. „Oft habe ich eine Idee und merke erst später, was sie bedeutet“, sagt Bußmann. Er ist es gewohnt, eher intuitiv zu arbeiten. „Die Inspiration zu einem Bühnenbild kommt mir oft in Momenten, in denen ich gar nicht bewusst daran denke“. Ein Bühnenbild ist für ihn ohne Schauspieler nicht vorstellbar. „Der Mensch auf der Bühne ist immer die Referenz.“ Deshalb fühlt sich Bußmann auch am wohlsten bei den Proben. „Da bin ich durch und durch Theatermensch.“ Von der Welt des Theaters war er schon früh fasziniert. „Ich bin in den Siebzigern in Hanau aufgewachsen, die Augsburger Puppenkiste war sehr wichtig für mich“, erzählt er. 

Da bin ich durch und durch Theatermensch.

Philip Bußmann
Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

Zunächst wollte Bußmann Kameramann werden, studierte dann aber Kostüm- und Bühnenbild an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart. Der Studiengang gehörte damals zum Fachbereich Freie Malerei. „An der Akademie herrschte die Auffassung, dass Kunst nicht überprüfbar sei“, sagt Bußmann und lacht. „Deshalb hat man dort auch keinen Abschluss gemacht. Die einzige Prüfung, die ich bestehen musste, war die Aufnahmeprüfung.“

Später ging er nach New York, um ein dreimonatiges Praktikum bei der Wooster Group anzutreten. So war jedenfalls der Plan. Der Einsatz von Monitoren auf der Bühne, die zum Beispiel Close-Ups von Schauspielern lieferten, war ein Markenzeichen der experimentellen Gruppe, zu der als bekanntestes Gesicht der Hollywoodstar Willem Dafoe gehörte. „Viele Theaterleute aus meiner Generation wurden von der Wooster Group geprägt und entwickelten ihre Methoden weiter“, erzählt Bußmann. Als er schließlich die Chance bekam, den Job des Videodesigners des Ensembles zu ergattern, blieb er ganze acht Jahre in den Vereinigten Staaten.

Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

Eine Zeit lang konnte er sich vorstellen, für immer in New York zu leben. Doch dann ergaben sich neue Perspektiven – zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Ballett-Revoluzzer William Forsythe, dessen Choreographien für das Ballett Frankfurt Bußmann viele Jahre lang mit Bühnenvideos und Installationen komplettierte. Als der 11. September 2001 kam, war seine Entscheidung, New York zu verlassen, im Grunde schon gefallen. Am Tag der Anschläge war Bußmann nicht in der Stadt „Da saß ich mit Matthias Hartmann am Schauspielhaus Bochum zusammen“, erinnert er sich. 

Erst wollten wir einen kompletten Autoscooter kaufen, das hätte uns aber Probleme mit der Stromführung bereitet.

Philip Bußmann

„Er war dort Intendant. Wir haben über die Anschaffung eines Projektors diskutiert. Videotechnik war damals teuer und nicht selbstverständlich. Mitten in dieses Meeting platzten die Nachrichten und wir haben den Fernseher eingeschaltet.“ Wieder in Deutschland, begann Bußmann auch regelmäßig mit dem belgischen Theater-Regisseur Luk Perceval zu arbeiten – bis heute. Für dessen Inszenierung von Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ am Nationaltheater Mannheim, eine Koproduktion mit der Opéra de Genève, entwirft Bußmann gerade das Bühnenbild.

Am selben Haus verwandelt er für den modernen Klassiker „Warten auf Godot“ unter der Regie von Sandra Strunz die Bühne in eine Sechzigerjahre-Autoscooterhalle. „Erst wollten wir einen kompletten Autoscooter kaufen, das hätte uns aber Probleme mit der Stromführung bereitet. Also haben wir beschlossen, ihn nachzubauen“, erzählt er. Premiere ist Mitte Oktober. Am Kantinentisch zeigt er uns Skizzen, die er im Rucksack mitgebracht hat. Ein derart konkretes Szenario ist für Bußmann eher untypisch. „Normalerweise sind meine Bühnenbilder deutlich abstrakter.“ 

Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

Neben Auftragsarbeiten für diverse Stadttheater der Republik bringt Bußmann im Frankfurter Mousonturm mit der Choreografin Célestine Hennermann immer mal wieder auch eigene Performance-Stücke auf die Bühne. „2+“ nennt sich das Duo. Außerdem hat er schon mit Foto-Ausstellungen von sich reden gemacht. Seine Motive findet er vor allem auf Reisen. „Das liegt auch daran, dass ich am besten kreativ fotografieren kann, wenn ich in einem entspannten Zustand bin“. 2015 war er auf Einladung des Goethe-Instituts drei Monate lang Artist in Residence in der Villa Kamogawa in Kyoto.

„Japan ist schon seit meiner Kindheit ein Sehnsuchtsort. Doch als ich vier Wochen am Stück dort war, hatte ich eine Art Kulturschock. Japan ist nicht so zen-mäßig aufgeräumt wie es dem Klischee entspricht. Das Land ist oft auch so…“, sagt Bußmann und zeigt auf ein Foto in seinem Bildband „Wabi Sabi“, den er vor uns aufgeschlagen hat. Man sieht einen schmalen Durchgang, der sich in Tokio zum Schutz vor Erdbeben zwischen zwei Häuserzeilen auftut. Ein Gewirr aus Kabeln, Klimaanlagen, Fahrrädern und Müll erstreckt sich die Wände entlang.

Japan ist nicht so zen-mäßig aufge­räumt wie es dem Klischee entspricht.

Philip Bußmann
Foto: Neven Allgeier

Inzwischen haben wir kurz vor 15 Uhr. In wenigen Minuten schließt die Kantine. Wir ziehen noch einmal kurz auf die Bühne des Schauspiel Frankfurt um, wo Wartungsarbeiten im Gange sind. Es sind gerade Theaterferien. Mit Max Schubert vom Gebäudemanagement fachsimpelt Bußmann kurz über den Einsatz von künstlichem Regen auf der Bühne. Dann werden wir draußen auf dem Willy-Brandt-Platz von einem echten Regenschauer überrascht, der sich aber leider nicht so einfach abstellen lässt.

Foto: Neven Allgeier

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