Sie spielt auf Theaterbühnen, in Arthouse-Filmen oder im Tatort. Wir haben Melanie Straub im Schauspiel Frankfurt getroffen, wo sie seit kurzem fest zum Ensemble gehört.

Eine Garderobe im ersten Stock des Schauspiel Frankfurt. Der kleine Raum ist so spartanisch eingerichtet, dass die wenigen persönlichen Gegenstände der beiden Schauspielerinnen, die ihn nutzen, umso mehr ins Auge fallen. Auf die coronabedingte Plexiglasscheibe zwischen den beiden Stühlen, die vor dem Schminktisch stehen, hat Melanie Straub ein rotes Lippenstiftherz gemalt.

Auf der Tischplatte liegen kleine Geschenke, die sie nach der Premiere von „Mephisto“ überreicht bekam. Eine Tüte mit sauren Pommes zum Beispiel – eine Anspielung auf die echten Pommes, die von den Schauspieler*innen während des Stücks auf der Bühne gegessen werden. Am Rand des großen Wandspiegels kleben private Schwarzweißbilder aus einem Fotoautomat.

Seit diesem Jahr ist Straub festes Mitglied im Ensemble des Hauses. In der Spielzeit 2017/2018 hatte sie zunächst ein Gastengagement. Zuvor war sie zehn Jahre lang am Hans Otto Theater in Potsdam beschäftigt. „In Frankfurt habe ich meine Spielfreude wiedergefunden. Der Ortswechsel war eine Chance, mich neu zu definieren“, erzählt sie. „In Potsdam hatte ich mich in einem Stück nach dem anderen abgerackert. Immer hatte ich die Hauptrolle. Ich war ganz einfach durch.“ Dazu kam, dass Straub meist für die eher tragischen Rollen besetzt wurde. Sie spielte oft kranke und zerbrechliche Frauen. „Das hat etwas mit mir gemacht. Irgendwann wurde ich depressiv.“ Straub erzählt von der Gradwanderung, die es für eine Schauspielerin bedeutet, offen zu bleiben, ohne sich dabei zu verlieren. „Auf der Bühne gebe ich mich wie ein Medium hin. Nur wenn ich offen bleibe, kann etwas Neues entstehen.“

Auf der Bühne gebe ich mich wie ein Medium hin. Nur wenn ich offen bleibe, kann etwas Neues entstehen.

Melanie Straub
Foto: Neven Allgeier

Zusammen mit ihrem Mann Wolfgang Vogler, der bereits seit 2017 zum Ensemble des Schauspiel Frankfurt gehört, sowie den beiden schulpflichtigen Söhnen Emil und Samuel wohnt Straub nun in einem kleinen Häuschen im Taunus. Geplant war eigentlich alles ganz anders: „Wir hatten mit anderen Familien eine Baugemeinschaft gegründet und wollten auf einen Dreiseitenhof raus aufs Brandenburger Land ziehen. Dann bekam Wolfgang dieses Angebot aus Frankfurt, das er nicht ablehnen konnte.“ Die Familie zog ins Rhein-Main-Gebiet. „Am Anfang war das ganz schön hart für mich. Schließlich musste ich meine engsten Freunde zurücklassen.“

Straub liebt es, Teil einer Geschichte zu sein

Straub liebt es, Teil einer Geschichte zu sein. In welchem Medium sich diese Geschichte vollzieht, ist dabei fast schon zweitrangig: „Wenn es ein toller Stoff ist, bin ich gerne mit dabei – egal, ob es sich um ein Theaterstück, einen Film oder eine Lesung handelt“, erzählt sie. „Ich würde auch gerne mal synchronisieren oder ein Hörspiel für Kinder machen.“ Straub steht nicht nur regelmäßig auf der Bühne, sondern auch vor der Kamera. Sie spielte in einer Reihe von namhaften Arthouse-Filmen mit – „Als wir träumten“, „Hedi Schneider steckt fest“ oder „Systemsprenger“ zum Beispiel. Auch in der Serie „Babylon Berlin“ hatte sie eine kleine Rolle. Vergangenen März konnte man sie im Kölner „Tatort“ sehen. Sie war das Mordopfer. „Am nächsten Tag hat mich mein Nachbar angesprochen: Na, wieder auferstanden?“

Foto: Neven Allgeier

Aufgewachsen ist Straub, Jahrgang 1976, in der Nähe von Stuttgart. „Ich war ein extrem schüchternes Mädchen“, erinnert sie sich. „Da war sehr viel Scham in mir.“ Ihre ersten Schritte auf der Bühne machte sie bei einem Pantomimetheater – dem „Makal-City-Theater“ in Stuttgart. „Mir hat vor allem gefallen, dass man dort nicht reden musste.“ Nach dem Abi absolvierte sie zunächst eine Ausbildung als Physiotherapeutin. Anschließend arbeitete Straub ein Jahr lang in einer Psychiatrie, wo es zu ihren Aufgaben gehörte, mit den Patient*innen Theater zu spielen.

Später bewarb sie sich an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch in Berlin. An den Tag der Aufnahmeprüfung kann sie sich noch gut erinnern. „Von der langen Autofahrt war ich so müde, dass ich im Wartesaal eingeschlafen bin und geweckt werden musste. Während um mich herum große Aufregung herrschte, blieb ich ganz entspannt. Das hat mir natürlich sehr geholfen.“ Straub kam eine Runde weiter und wurde schließlich aufgenommen. Der Unterricht war ziemlich technisch ausgerichtet. „Ich habe auf der Bühne zuvor zwar auch schon immer alles gegeben – aber das war vor allem Gefühl. An der Schauspielschule habe ich gelernt, dass vor dem Gefühl der Gedanke kommt.“ Straub lernte, sich mit dem Innenleben ihrer Figuren zu beschäftigen und bekam nun immer öfter Rollen zu spielen, die mit ihrem eigenen Charakter wenig zu tun hatten. Männermordende Vamps zum Beispiel.

Foto: Neven Allgeier

Nach dem Abschluss ging Straub ans Theater in Magdeburg – und schlug dafür sogar ein Angebot vom Wiener Burgtheater aus. „Ich wollte Spielpraxis bekommen. In Wien wäre ich nur eine Schauspielerin von vielen gewesen.“ Weil das Magdeburger Theater Mitte der Nullerjahre renoviert wurde, bespielte das Ensemble ungewöhnliche Orte: besetzte Häuser, leere Straßen und einen Campingplatz zum Beispiel. „Das war eine schöne Zeit“, sagt Straub. In Magdeburg lernte sie auch ihren Mann kennen, der ebenfalls Teil des Ensembles war, das von Tobias Wellemeyer geleitet wurde. Als Wellemeyer später Intendant in Potsdam wurde, nahm er die beiden mit dorthin.

Das Ensemble bespielte besetzte Häuser, leere Straßen und einen Campingplatz

Nächste Woche beginnen die Proben zu Michel Decars absurd-komischem Stück „Die Reise nach Kallisto“, das im Dezember Premiere hat. Heute Abend steht Straub aber erst einmal mit „Mephisto“ auf der großen Bühne. Um 20 Uhr beginnt die Vorstellung. Auf dem langen Gang vor der Garderobe reihen sich Rollcontainer mit Requisiten aneinander. Ein paar Türen weiter befindet sich die „Maske“, wo die Schauspieler*innen geschminkt werden. An einem Haken hängt die schwarze Langhaarperücke, die Straub nachher trägt. Insgesamt sieben Mal muss sie sich während der Aufführung umziehen. In dem von Claudia Bauer nach einem Roman von Klaus Mann inszenierten Stück spielt sie gleich mehrere Rollen. Straub nimmt uns mit auf die Bühne. Wegen Corona dürfen im Zuschauerraum nur wenige Plätze besetzt sein. Sie sind mit blauen Hussen bezogen, die immer wieder gereinigt werden.

Foto: Neven Allgeier

Hinter dem Vorhang liegt der goldene Totenschädel, auf den der Hauptdarsteller Christoph Pütthoff in der letzten Szene klettert. Auf einem kleinen Tisch reihen sich mit den Namen der Schauspieler beschriftete Stimmgabeln aneinander. In dem Stück wird gesungen. Bevor das Publikum kommt, findet ein Einsingen statt. Alles ist perfekt vorbereitet. Trotzdem sind es manchmal die völlig unerwarteten Momente, die Spaß machen, weil sie Improvisationstalent erfordern.

Straub erzählt von einer längst vergangenen Vorstellung in Magdeburg oder Potsdam. So genau weiß sie das nicht mehr. „Der Regisseur legte jedenfalls viel Wert auf Naturalismus. Alles musste enorm echt wirken. Und dann ist mitten in der Vorstellung eine Wand aus Pappmaschee umgefallen, die das Publikum eigentlich für soliden Backstein halten sollte. Dahinter saß ein Feuerwehrmann und biss genüsslich in seine Stulle. Das fand ich toll.“

Und dann ist mitten in der Vorstel­lung eine Wand aus Papp­ma­schee umge­fal­len [...] Dahin­ter saß ein Feuer­wehr­mann und biss genüss­lich in seine Stulle. Das fand ich toll.

Melanie Straub

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