Der Philosoph Leon Joskowitz arbeitet als Moderator, Ethiklehrer und Gärtner. Er produziert Podcasts und kuratiert Ausstellungen. Ein Teegespräch zwischen Bäumen.

Die Kleingartenkolonie „Grüne Lunge“ nördlich des Günthersburgparks. Leon Joskowitz schiebt sein Fahrrad über einen verwilderten Trampelpfad, der auf einer versteckten Lichtung endet. Auf dem Grundstück schuf er im März einen Offspace. Es wurden Gemüsebeete angelegt und ein kleines Gewächshaus gebaut. 

Zusammen mit KVTV, einem Zusammenschluss feministischer Künstlerinnen, hat Joskowitz im Frühjahr und Sommer zwei „Open Air Distance Exhibitions“ (kurz: OADE) zwischen Büschen und Bäumen veranstaltet. „Ich bin hier der Gärtner und Schamane“, sagt er und lacht. Wir setzen uns an einen runden Tisch, der aus einem Schachbrett besteht, das auf den Stumpf eines Kirschbaums genagelt wurde. Unser Gastgeber holt eine Thermoskanne aus seinem Rucksack und füllt warmen Orangentee mit Zimt und Honig in die mitgebrachten Pappbecher. Dazu gibt es Mandarinen. Über uns scheint die Novembersonne und es zwitschern die Vögel.

Joskowitz hat Philosophie, Soziologie und Geschichte studiert. Dem Klischee vom weltvergessenen Theoretiker, der sich im Elfenbeinturm hinter seinen Büchern versteckt, wird er allerdings so gar nicht gerecht. „Mir war immer schon klar, dass ich den Kontakt zum echten Leben brauche. Wenn es etwas gibt, das mich antreibt, dann ist das die Frage, wie ein gutes Leben in Gemeinschaft mit Anderen funktionieren kann“, erzählt er.

Foto: Neven Allgeier

Wenn es etwas gibt, das mich antreibt, dann ist das die Frage, wie ein gutes Leben in Gemeinschaft mit Anderen funktionieren kann.

Leon Joskowitz

Während seines Studiums hat Joskowitz erst gekellnert, kam dann über Umwege (genauer: über Jobs in einer Bäckerei und Kuchenmanufaktur) zum Kochen – und gründete schließlich einen eigenen Catering-Service. „Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für gutes Essen. Irgendwann habe ich gemerkt: Wer gut essen will, muss auch gut kochen können – zumindest, wenn er nicht genug Geld hat, um jeden Tag im Restaurant essen zu gehen“, erinnert er sich. Mit originellen Event-Reihen an der Schnittstelle zwischen Philosophie und Kulinarik machte er sich einen Namen. Unter dem Titel „Philosophisch Dinieren“ diskutierte er mit seinen Tischgästen an Orten wie dem Museum Angewandte Kunst über Ernährungsfragen. Für sein „Kulinarisches Festival“ holte er Köch*innen aus den jeweiligen Gastländern ins Rahmenprogramm der Buchmesse.

An der Schnitt­stelle zwischen Philo­so­phie und Kuli­na­rik machte er sich einen Namen

„Seit vergangenem Jahr bin ich komplett raus aus der Koch- und Catering-Geschichte“, erzählt Joskowitz. Er stand vor der Frage, ob er sein Unternehmen weiter ausbauen und nur noch als Geschäftsführer tätig sein sollte. „Dann hätte ich aber keine Zeit mehr für meine vielen anderen Projekte gehabt.“ Joskowitz entschied sich dagegen.

Foto: Neven Allgeier

Er erzählt von einem seiner letzten Auftritte als Koch – einer Kunstperformance unter dem Titel „DMZ-Risotto“, die er schon öfter aufgeführt hat, zuletzt 2019 im Atelier Frankfurt. „Hauptzutat ist schwarzer Reis, der in der demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea wächst. Eine Freundin hat ihn mir von dort mitgebracht.“ Getreide, das als Teil einer Grenzlandschaft zwei verfeindete Staaten trennt, in etwas Gemeinschaftsstiftendes zu verwandeln: Das ist eine Aktion ganz nach Joskowitz‘ Geschmack.

„Es steckt eine große Neugierde in mir, die sich auf die unterschiedlichsten Dinge richtet“, bekennt er. Mittlerweile unterrichtet Joskowitz Ethik an der Frankfurter Rackow-Schule, kümmert sich als Gartenlehrer um den Schulgarten des Ernährungsrats im Ostpark und produziert Podcasts zu gesellschaftlich relevanten Themen. Aktuell begleitet er eine sechsteilige Veranstaltungsreihe am Schauspiel Frankfurt, die unter dem Motto „Antisemitismus und Rassismus“ steht, mit einem Podcast. Joskowitz stammt aus einer jüdischen Familie. Er selbst sei von Antisemitismus noch nie unmittelbar betroffen gewesen, erzählt er. „Das liegt aber sicher auch daran, dass ich auf der Straße nicht als Jude zu erkennen bin.“

Es steckt eine große Neugierde in mir, die sich auf die unter­schied­lichs­ten Dinge rich­tet.

Leon Joskowitz
Foto: Neven Allgeier

Drei, vier Mal pro Jahr moderiert Joskowitz den „Philosophischen Salon“, wo er mit jeweils einem namhaften Gast intensive Einzelgespräche führt – in der Vergangenheit waren das zum Beispiel Raoul Schrott, Thea Dorn und Wolfram Eilenberger. Veranstalter ist die Kulturabteilung der Jüdischen Gemeinde. Bei der nächsten Ausgabe am 17. November trifft Joskowitz auf den ehemaligen Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Wegen Corona findet das Gespräch nicht vor Publikum statt, wird aber per Video-Stream ins Netz übertragen. 

Im Philosophischen Salon führt Joskowitz intensive gespräche mit namhaften Gästen

Auch wenn Joskowitz inzwischen nur noch privat kocht: Mit Kulinarik beschäftigt er sich noch immer – auf theoretischer Ebene. Er schreibt gerade an einer Kulturgeschichte des Menschen, erzählt er uns. „Die Küche ist für mich so etwas wie der Urraum der Kultur“, behauptet er. „Mich interessiert vor allem die Frage: Was passiert am Feuer, wenn das Tier erlegt wurde und der Mensch für einen Moment vom Druck der Nahrungsbeschaffung befreit ist?“ Joskowitz‘ Antwort: „Es entsteht eine Art Freiraum, in dem wichtige Fragen verhandelt werden: Wer gehört dazu? Wer darf gefressen werden? Wie verteilen wir die Beute? Diese Fragen sind heute noch so aktuell wie zu Beginn der Menschheitsgeschichte.“

Foto: Neven Allgeier

Der Tee in der Thermoskanne geht langsam zur Neige, aber es bleibt immer noch die Herbstsonne, die uns wärmt. Joskowitz führt uns durch den verwinkelten Garten, in dem verschiedene Künstlerinnen ihre Spuren hinterlassen haben. Malereien, die auf Holzteile gepinselt wurden, die von zerfallenen Gartenhütten stammen, lehnen zwischen den Bäumen. Mit dem Kollektiv KVTV plant Joskowitz schon die nächste Ausstellung. Stattfinden soll sie kommendes Frühjahr, der Ort steht noch nicht fest. „Koi Pond“ lautet der Titel. „Der Koi-Teich ist eine Metapher auf das Kunstbusiness. Jeder, der darin schwimmt, buhlt darum, der Schönste zu sein, die meiste Aufmerksamkeit zu bekommen und den größten Wert zu erzeugen.“

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