Sind Künstler*innen besonders kreativ, wenn es ums Kochen geht? Ein Blick in die Küchen der Kunstwelt. Diesmal mit Christo und Jeanne-Claude, die ihre besten Ideen auf leeren Magen hatten.

Sich nur von Luft und Liebe ernähren zu können wäre dem legendären Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude (geboren 1935 am gleichen Tag und zur gleichen Uhrzeit, er in Gabrovo, Bulgarien und sie in Casablanca, Marokko) wohl gelegen gekommen. Die beiden widmeten ihr gesamtes Leben der Kunst – sie arbeiteten im Schnitt vierzehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche – und das Nachdenken über die nächste Mahlzeit erschien ihnen als reine Zeitverschwendung. Essen war reine Nebensache, eine Notwendigkeit, die es so schnell wie möglich abzuhaken galt. Am Morgen aßen sie gerade genug, um Energie für den anstehenden Arbeitstag zu tanken, dann gab es bis zum späten Abendessen in der Regel gar nichts mehr.

Das Gefühl, ständig hungrig zu sein, fand Christo durchaus erstrebenswert, denn es drehte ihn auf und motivierte ihn zu kreativen Höchstleistungen. Angesichts der sagenhaften Produktivität des Künstlerpaares, scheint die Methode der kulinarischen Enthaltsamkeit nicht ganz verkehrt gewesen zu sein. In den fünfzig Jahren ihrer Zusammenarbeit realisierten Christo und Jeanne-Claude dutzende monumentale Kunstwerke im öffentlichen Raum, denen jahrelange Verhandlungen und Planung vorrangigen und die sie gänzlich mit dem Verkauf von Christos vorbereitenden Zeichnungen und Collagen finanzierten. Hätten die beiden die spektakuläre Verhüllung des Reichstags 1995 umsetzen können, wenn sie jeden Tag eine gemütliche Mittagspause eingelegt hätten?

Christo und Jeanne-Claude, Porträt des Paares bei der Arbeit: Pont Neuf verhüllt, paris, 1975-85, Credit: Wolfgang Volz/laif

Obwohl die beiden dem Thema Essen in ihrem Alltag nicht sonderlich viel Platz einräumten, spielte das Kulinarische im Verlauf ihrer Karriere punktuell doch eine wichtige Rolle. Als sie 1964 von Paris nach Manhattan zogen, war ihnen klar, dass sie als Neuankömmlinge in der New Yorker Kunstszene ohne Kontakte nicht weit kommen würden. Kurzerhand beschlossen sie, einige wichtige Leute aus dem Kunstbetrieb anzurufen – von Marcel Duchamp über Frank Stella bis hin zu Leo Castelli – und sie zum Abendessen in ihre Wohnung in der Howard Street einzuladen. Dass weder Christo noch Jeanne-Claude kochen konnten, war für die beiden kein Hindernis: Sie servierten ihren Gästen kurzerhand Weißbrot mit Ketchup und Steak aus dem Supermarkt – auf Papptellern. Das Essen war dermaßen schlecht, dass es den Anwesenden jahrelang in Erinnerung blieb, aber dank ihrer charmanten Art schafften die beiden es trotzdem, einen bedeutenden Kreis an Sammler*innen, Galerist*innen und Kunstkritiker*innen für sich zu gewinnen.

Sie servierten Gästen Weißbrot mit Ketchup und Steak aus dem Supermarkt auf Papptellern

In den darauffolgenden Jahrzehnten würden Jeanne-Claude und Christo immer wieder beweisen, dass sie mit Charme und Beharrlichkeit in der Lage waren, auch die größten Herausforderungen zu meistern. Für eines ihrer ambitioniertesten Projekte, „The Umbrellas, Japan-USA“(1991), planten sie in den zwei Ländern jeweils über 3000 überdimensionierte Schirme im ländlichen Raum aufzustellen. Davor galt es allerdings, sich von den Grundstückseigentümern die entsprechenden Genehmigungen einzuholen. Das gelang ihnen mit viel Geduld und dem Trinken von geschätzt 6000 Tassen grünen Tee, die ihnen während der sechs Jahre andauernden Verhandlungen mit japanischen Reisbauern angeboten wurden.

Christo and Jeanne-Claude, The Umbrellas, Japan-USA, 1984-91, Photo: Wolfgang Volz, image via taschen.com

Christo and Jeanne-Claude, The Umbrellas, Japan-USA, 1984-91, Foto: Wolfgang Volz, image via taschen.com

Christo und Jeanne-Claude war die Wichtigkeit von Essen und Trinken für das Etablieren zwischenmenschlicher Beziehungen also durchaus bewusst. Als sie mit ihrer Kunst die ersten finanziellen Erfolge feierten, fingen sie an, Freund*innen und Bekannte zum Dinner nicht mehr nach Hause einzuladen, sondern ins Restaurant des nahe gelegenen French Culinary Institute. Die Tischgespräche drehten sich allerdings hauptsächlich um ihre aktuellen Projekte, was ihnen wiederum ermöglichte, auch während eines Abendessens mit Freunden ihre Arbeit voranzutreiben.

Christo verspeiste täglich einen ganzen Knoblauchkopf

Zeit zu gewinnen war dem Künstlerpaar auch auf lange Sicht wichtig, weshalb sie mit allen Mitteln versuchten, fit und gesund zu bleiben. Davon überzeugt, dass Knoblauch das Immunsystem stärke, verspeiste Christo täglich einen ganzen Knoblauchkopf. Morgens zerdrückte er ein paar Zehen und vermischte sie mit Joghurt und Früchten – eine Angewohnheit, die er seiner bulgarischen Herkunft zuschrieb – und im Laufe des Tages aß er den Rest pur, als wären es Bonbons. Den Knoblauch nahm er sogar mit auf Reisen, sorgfältig verpackt. Bis zu seinem Tod im Alter von 84 Jahren stieg er täglich ein Dutzend Mal die 90 Stufen bis zu seinem Atelier hinauf, wo es keinen einzigen Stuhl gab – er arbeitete immer im Stehen.

Bei Christo & Jeanne-Claude, Foto: André Grossman; The Estate of Christo V. Javacheff, image via handelsblatt.com

„Bacon and Egg, Ice Cream and Beef Steak“ (1929) tauschte Claes Oldenburg gegen ein Christo-Werk ein © ArtDigital Studio/Sotheby’s, image via weltkunst.de

Christo und Jeanne-Claude in ihrem New Yorker Haus, © ArtDigital Studio/Sotheby’s, image via weltkunst.de

Das Innere des fünfstöckigen ehemaligen Fabrikgebäudes aus dem 19. Jahrhundert im New Yorker Stadtteil Soho, in dem das Paar seit 1964 wohnte, hatte sich in den fünfzig Jahren ihres Zusammenlebens kaum verändert. Ausgestattet mit selbst gebauten Möbeln und Straßenfunden aus der Zeit nach ihrem Einzug, merkte man den bescheidenen Wohnräumen nicht an, dass deren Eigentümer mit dem Verkauf von Collagen, Skizzen und Modellen Millionen verdienten. Das Geld floss direkt zurück in die äußerst kostspielige Umsetzung der ambitionierten Kunstprojekte, was Christo und Jeanne-Claude finanzielle und künstlerische Unabhängigkeit garantierte. Das Wertvollste, was die beiden besaßen, war ihre Kunstsammlung: Wände und Ablagen in der ganzen Wohnung waren voll mit Originalen von Lucio Fontana, Yves Klein, Marcel Duchamp, Keith Haring, Nam June Paik und vielen anderen. Doch die meisten dieser Werke hatten sie keinen Cent gekostet – sie waren entweder Geschenke von den Künstlern selbst oder im Tausch gegen eigene Werke erworben worden. 

In der spärlichen Küche von Christo und Jeanne-Claude fand sich eine Ausnahme: Zwei Vorratsdosen aus Keramik, die auf dem Kühlschrank thronten. Auf den ersten Blick mehr Kitsch als Sammlerobjekt, gehörten sie ursprünglich einem anderen weltberühmten Künstler, nämlich Andy Warhol, der ein Faible für Keksdosen mit kuriosem Design hatte und diese leidenschaftlich sammelte. Jeanne-Claude erwarb die Dosen 1988 bei der Versteigerung seines Nachlasses und bezahlte für das Paar mehrere Tausend Dollar. Warum sie ausgerechnet für diese beiden Objekte tief in die Tasche griff, ist nicht bekannt. Womöglich verknüpfte sie damit eine besondere Erinnerung, denn Christo und sie verband mit Warhol eine langjährige Freundschaft.

Christo und Claes tauschten Werke

Auch mit Claes Oldenburg, der neben Warhol als einer der bekanntesten Vertreter der Pop Art gilt, waren Christo und Jeanne-Claude seit ihrer Ankunft in Manhattan befreundet. Sie hatten sich im berühmten Chelsea Hotel kennengelernt, das damals Epizentrum der New Yorker Kunstszene war und in dem alle drei zeitgleich untergekommen waren. Christo und Claes tauschten damals Werke aus, und so kam Christo in den Besitz der Skulptur „Bacon and Egg; Ice Cream, and Beef Steak”, die der Künstler ihm widmete. Kurz darauf zogen Jeanne-Claude und Christo in die Howard Street, wo sie anfingen, ihre berüchtigten Dinnerpartys mit Steak aus der Plastikverpackung zu organisieren. Falls sich die beiden dafür von Oldenburgs Gipswerk hatten inspirieren lassen – den Gästen wäre das Original sicherlich besser bekommen.

So sehen die Küchen der Kunstwelt aus

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