Kleine Brötchen haben Christo und seine Frau Jeanne-Claude selten gebacken. Jetzt kommt ein neuer Film über ihr Mammutprojekt „Floa­ting Piers“ ins Kino.

Einen ganzen Küstenstreifen bei Sydney in Australien haben sie verhüllt, ebenso die Pariser Pont Neuf oder, 1995, in ihrer wohl legendärsten Aktion, den Deutschen Reichstag. Völlig irre und atemberaubend auch das Projekt „The Umbrellas, Japan – USA“, bei dem über 3000 blaue und gelbe Sonnenschirme, ein jeder sechs Meter hoch, 200 Kilogramm schwer und über acht Meter im Durchmesser, in offener Landschaft in Japan und den Vereinigten Staaten aufgestellt wurden.

Es sind Werke von eindrücklicher Opulenz, Wirklichkeit gewordene Träume, die das Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude völlig unabhängig selbst finanziert. Ein Höhepunkt dieses künstlerischen „Think Big“ ist das Projekt „The Floating Piers“, das im Jahr 2016 vor dem malerischen Bergpanorama der italienischen Alpen auf dem Lago d’Iseo realisiert wurde. Endlich, muss man hinzufügen, denn die Idee dazu hatten Christo und Jeanne-Claude bereits 1969. Versuche, das Projekt in Argentinien und in Japan umzusetzen, waren an den mangelnden Genehmigungen gescheitert.  

11.000 Menschen sollen gleich­zei­tig über das Wasser laufen 

In seinem Dokumentarfilm „Christo – Walking on Water“ blickt der Regisseur Andrey Paounov hinter die Kulissen der „Floating Piers“ und porträtiert den exzentrischen, damals 81-jähringen Künstler. Dass Christo die weißen Haare zu Berge stehen, scheint völlig einleuchtend angesichts der gigantischen Dimensionen des Projekts. Schließlich ging es um nichts weniger, als bis zu 11.000 Menschen gleichzeitig auf einem drei Kilometer langen, 16 Meter breiten Steg über Wasser laufen zu lassen, realisiert mithilfe von 220.000 Kanistern aus Polyethylen, ebenso vielen riesigen Schrauben, hunderten Ankern und rund 100.000 Quadratmetern knalligem, dahliengelbem Stoff. 15 Millionen Euro soll das Projekt gekostet haben, die komplett aus den Erlösen von Christos Verkäufen finanziert wurden. Puh!

Christo and Jeanne-Claude, Wrapped Reichstag, Berlin, 1971-95, Photo: Wolfgang Volz © 1995 Christo, Image via christojeanneclaude.net

Christo and Jeanne-Claude, The Umbrellas, Japan-USA, 1984-91, Photo: Wolfgang Volz © 1991 Christo, christojeanneclaude.net

Paounov erzählt äußerst unterhaltsam von dem Mammutprojekt. Sein Film kommt ohne Erzähler oder klassische Interviewsituationen aus und wird von einem stimmungsvollen Brass- und Percussion-Score begleitet. Gleich einem Countdown läuft die Dokumentation auf die Eröffnung der „Floating Piers“ zu. Wir sehen Christo zu Beginn in seinem Atelier an den Bildern Arbeiten, die später hochpreisig verkauft werden oder in einer Schule, in der Christo einer Klasse von dem Projekt erzählt. „Ich liebe echte Dinge. Echte Dinge! Echte Dinge! Keine virtuellen Realitäten!“ brummt der da und weiter, das er den Wind, Nässe, Trockenheit, reale Angst und reale Freude mag.

Ich liebe echte Dinge. Echte Dinge! Echte Dinge! Keine virtu­el­len Reali­tä­ten!

Christo

CHRISTO – WALKING ON WATER

Trailer zum Film von Andrey Paou­nov

Es gibt mehrere solcher Szenen, in denen Christos Hang zum Realen, zum Analogen, betont wird. Das mag das ein oder andere Mal leicht penetrant erscheinen, ist allerdings immer auch sehr unterhaltsam. Denn sobald der Mann mit Technik auch nur in Berührung kommt, gibt es Komplikationen. Mikrofone fallen aus, die digitale Leinwand in der Schule, auf die er etwas zeichnen möchte, funktioniert einfach gar nicht. „Immer mit der Ruhe“, raunt einmal ein Mitarbeiter des Künstlers, als Christo über den Computer schimpft.

Dieses emotionale Aufbrausen macht den Film auch so sympathisch, „Christo – Walking on Water“ ist kein elegisches Schlurfen oder ödes Beweihräuchern, sondern wirkt, wenn man so will, wie mitten aus dem Leben. Ganz unmittelbar sind die Szenen, in denen der Künstler explodiert und herumfuchtelt, weil etwas nicht nach seinen Vorstellungen läuft. Oder wenn es wieder einmal lauthals zwischen ihm und seinem Neffen Vladimir Yavachev kracht, der als Projektkoordinator eine extrem wichtige Rolle spielt. Der hohe Puls ist nur verständlich angesichts der Windmühlen, gegen die es zu „kämpfen“ gilt. Neben dem gewaltigen logistischen Albtraum stehen etwa die Verknüpfungen mit der lokalen Politik und die unberechenbare Natur, die das Team mit Wind und Regen auf Trapp hält. 

Christo - Walking on Water, Filmstill © Alamode Film
Christo - Walking on Water, Filmstill © Alamode Film

Und wirklich ruhig wird es auch nach der Eröffnung der „Floating Piers“ nicht, im Gegenteil. Da wird die Naturgewalt nämlich abgelöst von Reisebussen, die fast doppelt so viele Menschen wie geplant ankarren, unter denen das Projekt wortwörtlich abzusaufen droht. Aus rund 700 Stunden Archivaufnahmen, YouTube-Videos, iPhone-Filmen und eigenem Material hat Andrey Paounov einen Film wie aus einem Guss gemacht.

Mit eigenem Drive, viel Humor und sensiblem Blick zeichnet er ein charmantes Porträt des drahtigen Mannes, vor dessen unbändigem Ehrgeiz und Durchhaltevermögen man den Hut ziehen muss. Und die Aussage, dass ihre Kunstwerke komplett nutzlos seien, ist natürlich ein Witz. Denn an den 16 Tagen, an denen die „Floating Piers“ geöffnet hatten, haben Christo und seine im Film immer gegenwärtige Frau unglaublichen 1,2 Millionen Besuchern kostenlos die Möglichkeit gegeben, auf Wasser zu laufen. Wie kann es nutzlos sein, den Menschen eine Erfahrung wie diese zu schenken?

Christo and Jeanne-Claude, The Floating Piers, Lake Iseo, Italy, 2014-16, Photo: Wolfgang Volz © 2016 Christo
Christo and Jeanne-Claude, The Floating Piers, Lake Iseo, Italy, 2014-16, Photo: Wolfgang Volz © 2016 Christo
Christo and Jeanne-Claude, The Floating Piers, Lake Iseo, Italy, 2014-16, Photo: Wolfgang Volz © 2016 Christo