Hereinspaziert: Drei Tage lang geben rund 200 Künstler und Kreative im Atlerierfrankfurt Einblick in ihr Schaffen.

Das Projektleitungsbüro im Atelierfrankfurt, Hessens größtem Künstlerhaus. An den holzvertäfelten Wänden hängen Bilder, bei denen es sich um Leihgaben von Malern und Fotografen des Hauses handelt. Auf dem Tisch mit der großen Schieferplatte steht eine Gebäckschale mit Schweinsöhrchen. Corinna Bimboese betritt den Raum mit einem mit Kaffeegeschirr beladenem Serviertablett im knalligen Orange der Siebziger in den Händen. „Wie auch einige Möbel hier stammt das Tablett noch aus der Zeit, als die Commerzbank das Gebäude als Aktenlager nutzte. Wir wissen solche alten Sachen natürlich zu schätzen. Die landen bei uns nicht auf dem Sperrmüll“, sagt die Direktorin des Atelierfrankfurt.

Die Veranstaltung ist eine Premiere

Am dritten Novemberwochenende finden hier zum ersten Mal die „Open Studios“ statt, an denen sich rund 130 Ateliers und 200 Künstler und Kreative beteiligen. Das komplette Aufgebot des Hauses also. Obwohl die Veranstaltung eine Premiere ist, reicht die Vorgeschichte bis ins Jahr 2004 zurück. Damals rief man am alten Standort des Atelierfrankfurt in der Hohenstaufenstraße die „Open Doors“ ins Leben, aus denen später die Frankfurter Ateliertage (FAT) hervorgingen. Die FAT, an denen alle zwei Jahre Ateliers aus ganz Frankfurt teilnehmen, wurden inzwischen in den Sommer verlegt. Der alte Novembertermin ist von nun an jedes Jahr den „Open Studios“ vorbehalten.

Corinna Bimboese (re) und Projektkoordinatorin Manuela Messerschmidt, Foto: Schirn Magazin
Außenansicht des Atelierfrankfurt, Foto: Mara Monetti

„Die Künstler und Kreativen in unserem Haus haben sich schon lange eine zusätzliche Veranstaltung gewünscht, bei der sie ihre neuesten Werke zeigen, mit Besuchern reden und vielleicht sogar etwas verkaufen können“, sagt Corinna Bimboese. „Seit wir vor zwei Jahren ins Ostend gezogen sind, haben sich immer mal wieder einzelne Stockwerke einem Publikum geöffnet. Jetzt ist erstmals das ganze Haus dran.“

Tonstudio, Party, Kantine

Das Rahmenprogramm zu den „Open Studios“ ist enorm vielseitig. Der im Haus ansässige Weissbooks Verlag veranstaltet Lesungen (Sa, 20 Uhr) mit anschließendem Jazz-Konzert. Die stadtbekannten Galerien Anita Beckers und Heike Strelow (beide haben ihre Büros unter dem Dach des Atelierfrankfurt) organisieren eigene Ausstellungen. In einem Gastatelier stellt sich der Ausstellungsraum Husslehof vor. Samstags dürfen Besucher das Tonstudio der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst ausprobieren. Das hauseigene Restaurant „Kantine“ präsentiert sich mit neu gestalteten Wänden, zwischen denen ein neuer Betreiber bereit steht: der Gastronom Nik Mroch.

Atelier von Ramo Mayer und Lukas Steidinger

Bei einer Party im Clubraum (Fr, 23 Uhr) legt der DJ Heinz Felber auf. Im Innenhof gibt es eine Lichtinstallation von Johannes Kriesche mit dem Titel „Musenträne des Magus“. Eine Modenschau (Sa, 19.30 Uhr) nutzt einen ganz besonderen Ort als Kulisse: „Der siebte Stock steht völlig leer und ist wunderbar lichtdurchflutet“, schwärmt Corinna Bimboese. „Weil es hier keine Zwischenwände gibt, kann man einmal den kompletten Grundriss des Gebäudes abschreiten und dabei bis in den Taunus gucken“

Führungen durch 11000 Quadratmeter

Weil an den drei Tagen der „Open Studios“ so viel geboten wird, lohnt ein erster Orientierungsblick auf die Website. „Man kann sich aber auch ganz einfach treiben lassen und darauf vertrauen, dass man in etwas Spannendes hineingerät“, verspricht Bimboese. Neben Künstlergesprächen, Ausstellungen und Performances werden aber auch Führungen durchs 11000 Quadratmeter große Haus angeboten. An einem Infopoint liegen Programme aus. Es wird also niemand mit seiner Neugier alleine gelassen.

Was eine Stippvisite in den einzelnen Ateliers betrifft, empfiehlt Corinna Bimboese stichprobenartig vorzugehen. „So mache ich das auch, wenn ich große Kunstmessen besuche und schon vorher weiß, dass sich das Angebot an all den Ständen an einem einzigen Tag kaum bewältigen lässt“.

Doppelt so viel Platz

Als Einstimmung auf die „Open Studios“ führt uns Bimboese vor eine – heute noch verschlossene – Tür im zweiten Stock des Gebäudes. Ein Überraschungsbesuch wie ein verfrühter Blick in den Adventskalender. Auf unser Klopfen öffnet die Malerin Rachel von Morgenstern. Die 32-jährige hat an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung und der Akademie für Bildende Künste in Karlsruhe studiert. Erst vor zwei Wochen ist sie innerhalb des Atelierfrankfurt eine Etage tiefer gezogen. In ihrem neuen Studio hat sie nun doppelt so viel Platz wie zuvor. Der Raum ist etwa 45 Quadratmeter groß und dank seiner Ecklage angenehm hell. Unter einem Schreibtisch am Fenster stehen Kartons voller Acrylfarbe. Der Fußboden wurde großflächig mit grauen Filzmatten ausgelegt.

„Ich möchte um meine Bilder herumgehen können, während sie entstehen. Deswegen arbeite ich immer auf dem Boden“, erklärt Rachel von Morgenstern. „Wenn man im Stehen malt, lässt sich ein bestimmter Bildaufbau nur schwer vermeiden: was unten ist, wirkt schwer, was oben ist, leicht. Von solchen Zwängen will ich mich freimachen“.

Wie ein Tanzschritt

Bevor von Morgenstern zur Leinwand greift, experimentiert sie meist auf Papier. „Dann lege ich bis zu 100 Blätter auf den Boden und male ein Bild nach dem anderen. Das funktioniert wie eine Art Tanzschritt, den ich immer wieder ausprobiere – bis ich ihn perfekt beherrsche.“

Für ihre abstrakten Motive braucht die Künstlerin grundsätzlich keinen Pinsel. Stattdessen kommen Siebdruckschablonen, Sprühdosen, Schwämme oder die in Handschuhe verpackten Finger zum Einsatz. „Außerdem benutze ich eine Reihe von Werkzeugen, die aber mein Betriebsgeheimnis sind“ sagt von Morgenstern.

Rund 20 ihrer Gemälde, allesamt in den vergangenen Monaten entstanden, hängen oder lehnen an den Wänden des Ateliers – und warten nun darauf, entdeckt und betrachtet zu werden.

Rachel von Morgenstern in ihrem Atelier, Foto: Schirn Magazin