Jede gute Jause braucht ein grünes Gurkerl: Zur Arbeit „Selbstporträt als Essiggurkerl“ von Erwin Wurm.

2008 diskutierte man im EU-Parlament über die Abschaffung der „Verordnung Nr. 1677/88/EWG zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken“. Die Gurkenkrümmungsverordnung war Sinnbild einer als maßlos empfundenen Euro-Bürokratie.

Im gleichen Jahr kreierte der österreichische Künstler Erwin Wurm seine Skulpturale Installation „Selbstporträt als Essiggurkerl“. Zufall oder typischer Schachzug des 1954 geborenen Österreichers, der seit 2002 an der Universität für Angewandte Kunst in Wien Bildhauerei/Plastik und Multimedia lehrt und mit seinen „One Minute Sculptures“ nicht nur die Rockband Red Hot Chili Peppers inspirierte, sondern gleich den internationalen Durchbruch schaffte? Diese partizipativen Kunstwerke, bei denen, wer immer möchte, eine Minute lang den gezeichneten Handlungsanweisungen des Künstlers folgen und damit selbst Bestandteil einer temporäre Skulptur werden kann, wurden vor zwei Jahren dem Frankfurter Publikum im Städel vorgestellt.

Die „One Minute Sculptures“ stehen in einer Künstlerischen Tradition mit Arbeiten von Piero Manzoni, Gilbert & George oder Franz Erhardt Walther, welche die aktive Teilnahme des Betrachters und den menschlichen Körper mitgenommen haben in die Sphäre der Kunst.

Bildhauerei definiert Erwin Wurm erst ganz klassisch als „Arbeit am Volumen“. Dann aber stellt er ganz in Beuys'scher Tradition fest, jeder Mensch sei Bildhauer:

„Und man kann eben sagen, Zu- und Abnehmen ist in gewisser Weise auch Arbeit am Volumen. Also kann man den Schluss ziehen: Zu- und Abnehmen ist Bildhauerei.“

Erwin Wurm, One Minute Sculpture, Image via publicdelivery.org

Das Problem einer solchen Entgrenzung des Bildhauereibegriffs, besonders was das dreidimensionale Selbstporträt anbelangt, beschrieb bereits Jacques Derrida:

„Wenn das, was man Selbstportrait nennt, von der Tatsache abhängt, dass man es Selbstportrait nennt, so müsste ein Akt der Namensgebung mir zu Recht erlauben, etwas Beliebiges ein Selbstportrait zu nennen […]“

„Selbstporträt als Essiggurkerl“: Der Titel ist der einzige Garant für den selbstbildnerischen Charakter des Kunstwerks, das auf den ersten Blick als ein „Pointen-sicherer skulpturaler Unterhaltungsparcours“ erscheinen mag.

Wurms Werk löst eine Assoziationskette aus, die freilich bei jedem anders gestrickt ist: Gurken sind ein wesentlicher Bestandteil der Süddeutschen Küche: was dem Schwaben die Vesper und dem Bayern die Brotzeit, ist dem Österreicher die Jause. Zu jeder guten Jause aber gehören Essiggurkerl! Sauer macht lustig heißt es, und „Humor ist eine Waffe“, sagt Wurm.

Wenn eine Frau plötzlich Heißhunger auf Gurken bekommt, sei dies, einem Aberglauben zufolge, ein untrügliches Zeichen ihrer Schwangerschaft. Doch was ist überhaupt eine Gurke? Umgangssprachlich bezeichnet Gurke einen Gebrauchtwagen kurz vor dem wirtschaftlichen Totalschaden, die große Nase im Gesicht mancher Männer sowie Zeitgenossen, die bevorzugt Murks machen, etwa Fußballer, die im Spiel ihre Fans enttäuschen.

Erwin Wurm, Selbstporträt als Essiggurkerl, Ausstellungsansicht ICH, Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt, Norbert Miguletz 2016

Wurms Selbstporträt ist eine leicht phallisch anmutende Installation aus 36 unterschiedlich großen Sockeln, auf denen jeweils eine ganz individuell und einzigartig gestaltete, täuschend echt erscheinende Gurke steht: 30 Gewürz- und 6 Salatgurken in Acryl, aufwendig mit Acryllack bemalt. Es gab wohl nie eine schönere Hommage an die Gurke. „Für eine Preisverleihung“, verrät uns Helmut Friedel, „entwarf Wurm eine (saure) Gurke – als kleines oder großes, leicht obszönes Zeichen eines lächerlichen, vielleicht auch blödsinnigen Sieges. Doch am Ende überwiegt auch hier die Parodie der Provokation, so dass der zunächst offensichtliche Affront doch noch zur Auszeichnung wird.“

Über seine Arbeit befragt sagte der Künstler: „Die Gurke ist ähnlich wie die Kartoffel eine Ur-Unform. Es gibt Millionen verschiedener Gurken. Keine Gurke ist wie die andere, ähnlich wie bei den Menschen. Das reizt mich schon sehr."

Kündet ein Selbstporträt vom Wesen und Selbstverständnis des Künstlers? Dann ist es hier das Zeugnis eins skeptischen Künstlers, der Witz und Ironie, bisweilen auch Spott als künstlerische Strategie einsetzt und eine glückliche Gabe besitzt: Humor.

Echte Gurken dürfen übrigens seit 2009 in der EU wieder wachsen wie sie wollen, ungeachtet ihres Krümmungsgrads.

Erwin Wurm, Selbstporträt als Essiggurkerl, Ausstellungsansicht ICH, Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt, Norbert Miguletz 2016