Mit Hilfe traditioneller Keramiktechniken erschuf der Maler Joan Miró Wandbilder gigantischer Ausmaße überall auf der Welt. Eine der größten Keramikwände befindet sich in Ludwigshafen.

Als Miró gegen Ende seines Lebens gefragt wurde, was er von der permanenten Überflutung des Alltags durch die modernen Medien hielt, entgegnete er:

Wenn wir nicht danach trachten, das religiöse Wesen, den magischen Kern der Dinge herauszufinden, werden wir den Quellen der Verdammung, die den Menschen heute zahlreich geboten werden, nur noch neue hinzufügen.

Miró lädt hier zu einem erfrischenden Innehalten ein, das auch in der Auseinandersetzung mit seinem Werk geübt sein will. Miró schuf ein Werk, das mehr über das Gefühl erschlossen werden kann als mit Logik und Ratio. Nicht mit dem eiligen Blick, sondern durch die meditative Versenkung kann man versuchen, dem Wesen seiner Kunst nahe zu kommen. Diese sinnliche Komponente machte sein Werk in Zeiten einer zunehmenden Konzeptualisierung der Künste manchen verdächtig.

Joan Miró on his house roof by Irving Penn, Spain, 1948, Image via theredlist.com

Ferner traf der durchaus auch dekorative Charakter seines Werks bei einigen Kunstliebhabern auf strikte Ablehnung. Erinnern wir uns an die Haltung des Kunsthändlers Pierre Matisse, der die Scherenschnitte seines Vaters Henri Matisse als kindische Spielereien eines alten Mannes abtat. Beides, das Sinnliche und das Dekorative aber waren die idealen Voraussetzungen, um Mirós Kunst Eingang in den öffentlichen Raum zu verschaffen.

Gaugin , Matisse und Picasso

Miró besann sich für seine großflächigen Wand-Arbeiten auf das Handwerk zurück, was erstaunen mag, galt dieses doch – in Tradition einer zusehends mit Verachtung auf die „angewandten“ Künste herabblickenden Moderne – höchstens als „angewandte“ Kunst. Dabei hatte Miró prominente Vorläufer: bereits Gauguin beschäftigte sich mit Künstlerkeramik, später Bonnard, Chagall, Derain, Max Ernst, Léger, Matisse und Picasso.

Joan Miró working on Oiseaux qui s'envolent by Francesc Català Roca, Gallifa, 1971, Image via theredlist.com

Heute arbeiten auch Markus Lüpertz und A. R. Penck an Künstlerkeramiken. Ab 1944, dem Todesjahr seiner Mutter, begann Miró insgesamt 400 Keramiken zu schaffen und betrieb damit dieses Feld weit intensiver als seine Künstlerkollegen:

Mich hat die Pracht der Keramik verführt: wie ein Funkensprühen ist das. Und dann der Kampf mit den Elementen: mit der Erde, dem Feuer (…). Ich bin eine ausgesprochene Kämpfernatur. Wenn man Keramik macht, muss man das Feuer bändigen können.

Zunächst bemalte er in einer Art additivem Verfahren die Vasen und Teller seines Freundes, dem katalanischen Keramikmeister Josep Llorens Artigas (1892-1980), den er noch aus seiner Zeit an der Kunstschule im heimatlichen Barcelona kannte. Von 1955 bis 1979 entstehen insgesamt 14 Keramikwandbilder, bei deren Ausführung auch Artigas Sohn, Joan Gardy-Artigas (*1938), der die väterliche Werkstatt El Raco in der Stadt Gallifa im Nordwesten von Barcelona noch heute betreibt, maßgeblich beteiligt war.

Josep Llorens Artigas, Image via escolallorensartigas.com

Die beiden ersten keramischen Wandarbeiten die Miró und Artigas schufen sind die „Mur du Soleil“, die „Sonnenmauer“ und die „Mur de la Lune“, die „Mondmauer“. Miró und Artigas gehörten zu elf repräsentativen Künstlern, unter ihnen Picasso, Henri Moore und Alexander Calder, die eingeladen waren, für den damals in Bau befindlichen Sitz der UNESCO in Paris Kunstwerke zu schaffen, die dem Anspruch gerecht werden sollten, die wesentlichen Errungenschaften der damaligen Kunst zu verkörpern. 1956 begann Miró die beiden Wandarbeiten und beschäftigte sich dabei mit den Höhlenmalereien von Altamira, der romanischen Fresken Kataloniens sowie mit den Mosaiken Gaudís.

Die ersten Kacheln missglückten

Bevor der Entwurf auf Keramik übertragen wurde, schuf Miró mit Kohle und Gouache Entwürfe in Originalgröße, sogenannte Kartons. In früheren Zeiten wurden Kartons etwa zur Herstellung von Fresken oder Wandteppichen benötigt. So schuf etwa der Renaissancemaler Raffael (1483-1520) eine Reihe heute hochberühmter Kartons mit Szenen aus der Heilsgeschichte. Diese wurden unter die Webstöcke gelegt und Kunsthandwerker webten danach die Wandteppiche für die Sixtinische Kapelle. Miró, der bis dahin kaum im monumentalen Format gearbeitet hatte, wollte sich der Wirkung seiner Arbeit vorher vergewissern.

Joan Miró, UNESCO Mural, Image via www.unesco.org

Anschließend übertrug Miró diese Zeichnung auf die am Boden liegenden Kacheln. Er malte mit einem Besen aus Palmwedeln. Das Wissen des Keramikers war nötig um die Farben richtig zu verteilen, da diese erst nach dem Brennen sichtbar werden, beim Auftragen handelt es sich bei allen Farben um grauschwarzes Pulver. Die ersten gleichgroßen quadratischen Kacheln missglückten, dann aber ging alles glatt:

Ungeduldig und gespannt

„Artigas hielt den Atem an, als er sah, wie ich den Besen ergriff und Anfing, die fünf bis sechs Meter langen Motive zu zeichnen, mit dem Risiko, die Arbeit von Monaten zu zerstören. Der letzte Brennvorgang fand am 29. Mai 1958 statt. 34 Brennvorgänge waren ihm vorausgegangen. Wir hatten 25 Tonnen Holz, 4000 kg Ton, 200 kg Glasur und 30 kg Farbe verbraucht. Bis dahin hatten wir die Arbeit nur in Stücken, auf dem Boden ausgebreitet, gesehen und hatten keine Gelegenheit gehabt, zurückzutreten, um das Ganze zu betrachten. Darum warteten wir ungeduldig und gespannt darauf, die kleine und die große Wand aufgerichtet in dem Raum und dem Licht zu sehen, für die sie gemacht wurden.“

Die „Sonnenmauer“ besteht aus 585 Keramikkacheln und misst 2,2 x 15 Metern. Parallel zu ihr aufgestellt ist die „Mondmauer“, die 2,2 x 7,5 Meter groß ist. Sonne und Mond können als Tag und Nacht, als Leben und Tod gedeutet werden, wobei das Leben hier die Oberhand behält, ist die „Sonnenwand“ doch doppelt so breit wie die „Mondwand“. Die Keramikwände bestechen durch den Kontrast zwischen der traditionellen Technik und der modernen Kunst, den Kontrast zwischen der Starrheit des gebrannten Tons und den spielerisch-naiven Zügen einer Malerei, die ohne rechte Winkel auskommt, den Kontrast zwischen bunter Spontaneität und der strengen Formensprache der Betongebäude.

Präsident Eisenhower und Miró

Die Dynamik der Zeichnung, der Zufall und die glühenden Farbtöne bilden wesentliche Gestaltungselemente der Pariser Keramikwände. Miró wollte bei der Zusammensetzung der Kacheln dabei sein, und so wurde die Pariser Baustelle eine Zeitlang zu seinem zweiten Wohnsitz. Das Werk gefällt so sehr, dass Miró 1959 einen Preis erhält, den ihm der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower eigenhändig im Weißen Haus überreicht.

Facade of Hack-Museum, Ludwigshafen, Image via wikipedia.org

Später werden Miró und Artigas Wandbilder gestalten, die von Barcelona bis Zürich, von New York bis Osaka Aufstellung finden. Das der SCHIRN nahegelegenste Wandbild befindet sich in der nur 80 Kilometer entfernten Industriestadt Ludwigshafen. 1979 wurde dort das nach dem Kölner Sammler Wilhelm Hack benannte Museum eröffnet, ein typisches Betongebäude seiner Zeit. Über die gesamten 55 Meter Breite und über 10 Meter Höhe seiner Südostfassade prangt ein Monumentalgemälde aus 7.200 Steinzeugfliesen, das damals rund 500 000 DM kostete. Die dynamische Komposition ist ein Beispiel für Mirós Spätwerk und lebt von den harten Kontrasten zwischen der schwarzen Zeichnung, den Primärfarben und einigen grünen Setzungen.

Die Leichtigkeit der Seele

Eines der letzten Schöpfungen Mirós ist eine Wandkeramik von einer besonders poetischen Leichtigkeit, die an der Hafenpromenade von Palma de Mallorca steht. Es ist einem Gemälde aus dem Jahr 1964 nachempfunden, welches Miró für seine damals 4- und 5-jährigen Enkel schuf, um sie zu trösten, um ihnen zu sagen, dass ihr Vater, den sie gerade verloren hatten, nun in die Unendlichkeit eingegangen war und sie von überall schützen werde. Nichts kündet von diesem unendlich traurigen Verlust. Stattdessen strahlt das Werk eine Leichtigkeit aus, die die Seele nach oben zieht.

Die Keramikwand Joan Mirós in Palma de Mallorca, Image via wikimedia.org