Für 3 Monate veröffentlicht der Künstler Florian Meisenberg seine digitale Privatsphäre per Live-Stream in der Ausstellung "ICH". Ein Interview über seine Erfahrungen und sein Verständnis von virtuellen Wirklichkeiten.

Noch während seines Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie beginnt der in Berlin geborene und heute in New York lebende Künstler Florian Meisenberg seine malerische Praxis mit Videos, Performances und virtuellen Projekten zu erweitern. Er verbindet analoge und digitale Ästhetik miteinander und spielt sie gegeneinander aus. Meisenbergs Installation "Out of Office" (2016), die momentan als Teil der ICH-Ausstellung in der SCHIRN gezeigt wird, besteht aus einer großen Wandtapete mit Naturmotiv, einer Malerei im kreuzähnlichen Format und einem Monitor, der an zwei dünnen Beinen befestigt ist. Auf dem Monitor können Museumsbesucher per Live-Übertragung alle Aktivitäten seines Smartphone mitverfolgen. Auch online kann man ihn stalken und per GPS seinen Standort lokalisieren. Fotos, Nachrichten, Termine – alles liegt offen. Wir haben mit ihm über sein Live-Stream Experiment und über virtuelle und reale Wirklichkeiten gechattet – eine digitales Interview, das gleichzeitig selbstverständlich auch auf dem Bildschirm in der Ausstellung live nachverfolgt werden konnte.

Florian, deine digitale Privatsphäre existiert momentan nicht. Da stellt sich natürlich die Frage, ob du glaubst, dass es so etwas wie eine digitale Privatsphäre überhaupt gibt? 

Ja, die existiert sogar sehr deutlich. Aber nur weil wir sie inszenieren. Im Allgemeinen empfinde ich es als fragwürdig, dass wir unsere Logik, Gesetze, Moral und unser (Ich-) Bewusstsein fast 1 zu 1 in die digitale Sphäre importieren wollen. Dadurch schränken wir die Möglichkeiten und die Offenheit des Internets radikal ein. Hier arbeiten und schaffen ja vor allem profitorientierte Geister. Dies scheint ein tief verwurzeltes, menschliches Merkmal zu sein. 

Ist es nicht auch so, dass das Internet als Plattform für eine erweiterte Selbstdarstellung dient? Zurückhaltende Menschen sagen hier ihre Meinung, das “sharing" reicht bis ins Schlafzimmer. Sollte man nicht von einem zweiten Ich, anstatt von einer Simulation sprechen? 

Ich denke schon, aber eigentlich findet diese Erweiterung doch sehr primitiv oder rudimentär statt. Ich wünsche mir, dass das Internet die neue Bewusstseinserweiternde Droge wird. Du sagst es ganz gut; das zweite Ich. Aus Bianca wird Beate21. 

Der Avatar, sozusagen. 

Ja, aber eben nur ein fader Abklatsch der realen Person.

Künstler Florian Meisenberg umgeben von seiner Arbeit "Out of Office" in der Ausstellung "ICH", Foto: Schirn Kunsthalle Frankfurt, Norbert Miguletz, 2016

Max Hollein setzt in seinem Vorwort im Katalog zur Ausstellung einen Akzent auf das Thema des Posierens. Das Inszenieren der digitalen Persönlichkeit spielt natürlich auch in deinem Live-Stream eine Rolle. Hat sich dein Online Verhalten seit dem Beginn der Ausstellung verändert? 

Natürlich. Ich kann noch nicht genau sagen wie und wohin, aber definitiv. Es ist vor allem ein Experiment, mich diesem Live-Stream auszuliefern. Mich interessiert gerade hier die Gegenüberstellung mit so etwas realitätsfremdem wie der Malerei. Es hat etwas Tragisches, aber auch Humorvolles an sich. Wenn man so will, setzt sich das gemalte Bild ja auch aus Daten zusammen. Nur komprimiert, wie ein Zip. 

Die besagte Malerei in der Installation "Out of Office"  trägt den Titel "Beaches of the lonely Men" und sie bezieht sich in ihrer äußeren Form auf die Textur einer ausgefalteten Skybox – einer Methode, um Hintergründe in Videospielen größer erscheinen zu lassen als sie sind. Die Form erinnert aber in erster Instanz an ein horizontal ausgerichtetes Kreuz. Finden Religion und Computerspiele hier – wie du es eben gesagt hast – als "realitätsfremde" Konzepte für konstruierte Wirklichkeiten in der Malerei zueinander? 

Ich denke schon – sowohl die Religion, Computerspiele und auch Malerei sind ja weitestgehend Simulationen, die mit der Illusion oder Fragestellung nach der Wirklichkeit eines virtuellen Raumes spielen oder diese Illusion bedienen. Der ganze Raum bekommt durch die spezielle Architektur der SCHIRN etwas Sakrales. Diese drei Ebenen sind eben nicht kongruente Simulationen, sondern sie reflektieren unterschiedliche Räume der menschlichen Psyche und gesellschaftlich-soziologische Fragen. Es war zum Beispiel super spannend zu sehen, wie die Besucher auf die Installation reagiert haben.

Florian Meisenberg, Out of Office, Installationsansicht Ausstellung "ICH", Schirn Kunsthalle Frankfurt, Foto: Norbert Miguletz, 2016

Wie haben sie denn reagiert? 

Sehr unterschiedlich. Bei der Eröffnung waren sehr viele Besucher und es gab einen großen, zusammenhängenden Menschenstrom, der sich langsam aber sicher auf meine Installation im letzten Raum der Ausstellung zu bewegte und dann vor dem Eingang halt machte. Fast niemand konnte oder wollte hinein. Alle waren unheimlich fasziniert und haben das ganze sehr misstrauisch beäugt. Fast anschuldigend. Dazu gab es dann am nächsten Morgen das absolute Kontrast Erlebnis. 

Keine Berührungsängste bei der jungen Generation? 

:) 

Auf die Illusion und die Frage nach der virtuellen Wirklichkeit spielst du auch mit dem verpixelten Wandbild an, das einen kitschigen Wasserfall zeigt. Obwohl die Natur eigentlich im Gegensatz zur digitalen Sphäre steht, ist sie hier als Hintergrundbild, wie ein Template, wie eine Schablone, inszeniert. Eine digitale Landschaft – das idyllische Zuhause deines Avatars? 

Man kann diese Tapete auch als eine Seite der Skybox im Kontext der Ausstellung oder der Ausstellungsarchitektur wahrnehmen. Insofern ist sie nicht nur eine virtuelle Erweiterung meiner Installation, sondern auch der gesamten Ausstellung, die eben nicht mit einer weißen Wand endet, sondern mit einer digitalen Simulation von Raum. Wie viel Natur dann noch übrig bleibt ist eine interessante Frage.

Florian Meisenberg, Out of Office, Installationsansicht Ausstellung "ICH", Schirn Kunsthalle Frankfurt, Foto: Norbert Miguletz, 2016

In deinen Arbeiten verwischst du oft analoge und digitale Realitäten: Malereien und Ausstellungsarchitekturen verweisen auf digitale Ästhetik, während es bei deinen digitalen Arbeiten oft um wirkliche Intimität geht. Zum Beispiel um den Körper deiner Lebensgefährtin, um schmierige Fingerspuren auf dem Bildschirm, oder dessen Funktion als Spiegel. Wie würdest du das Verhältnis zwischen dem Analogen und dem Digitalen in der Installation "Out of Office" beschreiben, die ja beide Elemente umfasst? 

Ich empfinde ein starkes Interesse daran, die unterschiedlichen Potentiale beider Sphären auszuleuchten und auch gegeneinander auszuspielen. In der Arbeit spiegelt sich das Menschliche durch die Gegenüberstellung simultan im digitalen und im realen Raum. Das eröffnet Fragen und Erkenntnisse, die uns sonst verschlossen bleiben. Die unterschiedliche Raum- und Zeit-Wahrnehmung in der Malerei und im Live-Stream, aber auch ihre absolute Subjektivität, deutet für mich einen merkwürdigen Zwischenraum an. Ich finde es spannend, soziale Phänomene neu zu inszenieren, zum Beispiel wie Intimität im digitalen Raum simuliert werden kann. Es stellt sich auch die Frage, ob Intimität dort überhaupt notwendig ist. Und welche Qualität und Kraft kann das absurd statische und anachronistische Medium Malerei in der Konfrontation mit dieser digitalen Bilderflut haben? Der Raum wirkt durch die sakrale Qualität fast wie eine Art Absolutions-Angebot – eine Befreiung aller Sünden. Denn durch die Live-Übertragung erlöse ich Besucher ja von ihrer menschlichen Verantwortung als User im niemals innehaltenden Datenstrom und von der Konfrontation mit der Unendlichkeit simultaner Phänomene des Netzes.

Du grundierst deine Malereien generell nicht, sondern betonst mit dem durchlässigen Material farblose Ölflecken, die sich entweder um Ölfarben bilden oder, anstatt eines Motivs, in den Mittelpunkt rücken. Geht es dir bei der Hervorhebung des Flecks auf der Leinwand auch um das Menschliche, oder das intim Körperliche? 

Natürlich. Die entblößten Leinwände haben etwas Unbeflecktes und reines, oder fast jungfräuliches an sich. Deshalb sind sie der perfekte Grund für den Strom der Referenzen, die meinen Bildern inne sind. Gerade durch das Sichtbarmachen der einzelnen rohen Komponenten wird die körperliche Präsenz hervorgehoben und so die Referenz zum Menschliche an sich. Also Pigment, Öl und Leinwand. 

In der älteren Videoarbeit "HOW TO COPY MY SIGNATURE" von 2011 hast du bereits im Tutorial-Format deinen YouTube-Zuschauern das Kopieren deiner Unterschrift beigebracht. Wie hängt das Copyright-Thema für dich mit dem digitalen Selbstbildnis zusammen? 

Sehr eng, zum Beispiel im Versuch, authentische oder originale digitale Daten zu produzieren. Es ist Teil der unsinnigen Unternehmungen, Gesetze und Regeln des Profits und der Logik auf den digitalen Raum anzuwenden und somit auch Teil der kapitalistischen Kolonialisierung des Internets. Ich sehe oder wünsche mir das "Ich" im Netz absolut transparent.

So transparent wie die Leinwand deiner Bilder ... 

Ja, vielleicht so transparent. Copyright im Netz ist absolut absurd. Es ist gegen die eigentliche Idee. Fast wie eine dadaistische Performance. 

Zeitgleich zur ICH-Ausstellung in der SCHIRN stellst du zusammen mit deiner Lebensgefährtin Anna K.E. im Frankfurter Projektraum Salon Kennedy aus. Worum geht es bei eurem kollaborativen Projekt "COUNTDOWN BELLADONNA"? 

Zentraler Bestandteil der Ausstellung ist eine 2-Kanal Video Arbeit. Anna und ich haben über einen Monat lang mit einer 4k-Kamera und einem guten Makro-Objektiv unsere Augen gefilmt und was sich in ihnen spiegelt. Das war ein Programm von Film-Sequenzen, Facebook-Momenten und YouTube-Schnipseln, die jeder von uns für die Augen des anderen kuratiert hatte. In der Ausstellung werden diese Makro-Aufnahmen des Auges auf sehr großen Screens abgespielt, sodass die Reflexionen unserer Smartphone-Bildschirme im Auge fast die originale Größe erreichen. 

Sieht man Emotionen? 

Ja total. Allerdings sehr abstrakt. Es gibt zum Beispiel eine Szene, in der Anna weint. Das Auge ist ja eigentlich uns allen bekannt und vertraut, aber durch die unglaubliche Vergrößerung verfremdet es sich. Es bekommt eine mystische und metaphysische Bedeutungsaufladung – auch wegen der Vermischung von menschlichen Reaktionen mit den digitalen Reflektionen der Bilderflut, die durch den Screen auf uns einrauscht.

Florian, danke für das Gespräch!