Was hat das neue Jahr zu bieten? Angefangen bei Niki de Saint Phalle, über „Plastic World" bis hin zu Lyonel Feininger und John Akomfrah – das erwartet Euch 2023 in der SCHIRN!

NIKI DE SAINT PHALLE

Niki de Saint Phalle (1930–2002) zählt als eine der Hauptvertreterinnen der europäischen Pop-Art und Mitbegründerin des Happenings zu den bekanntesten Künstlerinnen ihrer Generation. Die SCHIRN beleuchtet die Geschichte und das vielfältige Œuvre der französisch-amerikanischen Visionärin in einer umfassenden Ausstellung, die mit rund 100 Arbeiten einen Überblick über alle Werkphasen bietet. In den fünf Jahrzehnten ihres künstlerischen Schaffens entwickelte Niki de Saint Phalle eine unverwechselbare Formensprache und ein facettenreiches Werk. Die Nanas, ihre bunten, großformatigen Frauenskulpturen, begründeten ihren internationalen Erfolg und gelten bis heute als ihr Markenzeichen. Doch reicht das künstlerische Spektrum der Autodidaktin weit darüber hinaus.

Sie wechselte Techniken, Themen und Arbeitsweisen und schuf ein ebenso ambivalentes wie subversives Werk voller Freude und Brutalität, Humor und Eigensinn. Dabei bedeutete Kunst für de Saint Phalle mehr als nur ein Medium des Ausdrucks: Kunst war ihr aus biografischen Gründen eine Notwendigkeit und diente zudem dazu, gesellschaftliche Konventionen zu hinterfragen. Sie kritisierte Institutionen und Rollenbilder und verhandelte in ihrem Werk soziale und politische Themen wie die Stigmatisierung durch AIDS, das Recht auf Abtreibung, Waffengesetze oder den Klimawandel. Bereits zu Beginn ihrer Karriere verabschiedete sich de Saint Phalle von der Malerei und artikulierte in ihrem Schaffen ein Plädoyer für die Frau und das Feminine. Auf ihre frühen Gemälde folgten Assemblagen, und bereits in den 1960er-Jahren entstanden in spektakulären Performances, in die sie das Publikum einbezog, ihre legendären Schießbilder (Tirs). Ihre Zeichnungen, Schriften, Großplastiken, aber auch Theaterstücke, Filme und Installationen im öffentlichen Raum zeugen von der transformativen Wirkungskraft ihrer Kunst, die sich bis hin zu ihrem architektonischen Lebenswerk, dem Tarotgarten in der Toskana entfaltet.

Niki de Saint Phalle, Autel des femmes, 1964 © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris
Niki de Saint Phalle, Nana rouge jambes en l'air, um 1968 © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris
MONSTER CHETWYND. A CAT IS NOT A DOG

Monster Chetwynds (*1973) Kunst tritt mit dem Publikum in direkte Interaktion. Bekannt wurde die britische Künstlerin durch überschwängliche und humorvolle Performances mit handgefertigten Kostümen, Requisiten und Kulissen. Ihre oft absurden und lebenslustigen Arbeiten nehmen Bezug auf die Populärkultur oder ikonische Werke der Kunstgeschichte. Mit ihrer Installation in der öffentlich zugänglichen Rotunde der SCHIRN reagiert die Künstlerin unmittelbar und spielerisch auf die Architektur des Ortes und lässt die Besucherinnen und Besucher den überdachten Raum durch die geöffneten Münder ihrer monströsen Heads betreten. Damit verweist Chetwynd gleichzeitig auf ein Motiv der christlichen Bildtradition: den „Höllenschlund“, auch Tor zur Hölle. Als Durch- oder Eingang wurde es etwa im Sacro Bosco bei Bomarzo, einem italienischen Skulpturengarten aus dem 16. Jahrhundert, oder auch im toskanischen Tarot-Garten der Künstlerin Niki de Saint Phalle abgewandelt. Das Durchschreiten der Passage eröffnet dabei auch bei Chetwynd einen alternativen Raum zur realen Außenwelt. Für ihr kreatives Handeln sind Nachhaltigkeit sowie Partizipation essentiell, in der SCHIRN macht die Künstlerin bereits bestehende Skulpturen in neuer, ortsspezifischer Form erlebbar.

Monster Chetwynd, Hell Mouth 3, 2022 © Monster Chetwynd, courtesy Goldsmiths CCA, London, Foto © Rob Harris
ELIZABETH PRICE. SOUND OF THE BREAK

Elizabeth Price (*1966) macht die Transformationen des Digitalen sichtbar. Die Bewegtbild-Künstlerin komponiert Bild, Text und Sound zu Rauminstallationen, die kulturelle und sozio-politische Begebenheiten neu inszenieren und wenig beachtete Geschichten in den Fokus nehmen.

Die SCHIRN präsentiert eine große Einzelausstellung der Turner-Preisträgerin mit neuen und erstmals in Deutschland gezeigten Werken. Jede ihrer Videoarbeiten basiert auf akribischer Recherche, auf der umfassenden Sichtung von Archiven und Materialsammlungen. Aus Kunstgegenständen und Dokumenten von historischen Ereignissen entwickelt Price im Zuge ihrer digitalen Aneignung neue Erzählungen. Ein wiederkehrendes Thema ist die durch die Digitalisierung veränderte Arbeitswelt, das Abwandern der manuellen Arbeit in Schwellenländer mit geringen Löhnen oder die Zunahme der Informationsarbeit, Bürotätigkeit und Verwaltung. Die SCHIRN zeigt zwei raumgreifende Installationen mit je zwei korrespondierenden Videoarbeiten sowie vier während des Corona-Lockdowns entstandene Video-Lectures, die Einblicke in den Arbeitsprozess der Künstlerin geben. Prices Videos verfremden die Vergangenheit bis zur Unkenntlichkeit und versetzen sie mit neuer, verführerischer und anarchischer Energie.

Elizabeth Price, A RESTORATION, 2016 © Elizabeth Price
Elizabeth Price, A RESTORATION, 2016 © Elizabeth Price
PLASTIC WORLD

Plastik ist überall. Es durchdringt die Gegenwart, ist billig, nahezu weltweit verfügbar und im Alltag omnipräsent. Und auch in die Kunst fanden Kunststoffe aufgrund ihrer immensen gestalterischen Möglichkeiten früh Einzug und wurden schnell zu einem zentralen Material. In den 1950er-Jahren wurden synthetische Stoffe zum Symptom und Symbol der Massenkultur – das „Plastic Age“ war geboren. In der kurzen Geschichte dieser bis heute dominanten Materialkultur wandelte sich der erfolgreiche vielseitige Werkstoff vom Inbegriff für Fortschritt, Modernität, utopischen Geist und Demokratisierung des Konsums zu einer Bedrohung der Umwelt.

Die SCHIRN widmet der spannenden Geschichte der Kunststoffe in der bildenden Kunst eine große Themenausstellung. „Plastic World“ präsentiert Objekte, Assemblagen, Installationen, Filme und Dokumentationen und eröffnet ein breites Panorama der künstlerischen Verwendung und Bewertung von Plastik, die den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext spiegeln. Das Spektrum reicht von der Euphorie der Popkultur in den 1960er-Jahren über den futuristischen Einfluss des Space Age und die Trash-Arbeiten des Nouveau Réalisme bis zu ökokritischen Positionen der jüngsten Zeit; es umfasst Architekturutopien und Environments ebenso wie Experimente mit Materialeigenschaften. Zu sehen sind über 100 Werke von rund 50 internationalen Künstlerinnen und Künstlern, darunter Monira Al Qadiri, Archigram, Arman, César, Christo, Haus-Rucker-Co, Eva Hesse, Hans Hollein, Craig Kauffman, Kiki Kogelnik, Gino Marotta, James Rosenquist, Pascale Marthine Tayou und Pınar Yoldaş.

James Rosenquist, Wrap II, 1964, Foto: Oleg Kuchar, © James Rosenquist Foundation
Nicola L., Women Sofa, 1968 © Design Museum Brussels
MARTHA ROSLER

Mit der Radikalität ihrer künstlerischen Position hat Martha Rosler (*1943) viele zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler beeinflusst. Die SCHIRN widmet der US-amerikanischen Konzeptkünstlerin und Pionierin des kritischen Feminismus eine fokussierte Einzelausstellung. Roslers stets politisches Werk befasst sich mit Fragen von Macht und Gewalt, mit Schönheitsidealen und deren Demontage und den nur scheinbaren Gegensätzen von Krieg und Konsum. Für ihre gesellschaftskritischen Collagen und Videos verwendet sie gefundenes und bereits veröffentlichtes Bildmaterial. Mit Vorliebe nutzt die Künstlerin Fotos aus öffentlichen Quellen wie Magazinen und Zeitungen, die sie bearbeitet und zur Visualisierung von Ungleichheit und Protest in neue Zusammenhänge stellt. Anknüpfend an Roslers ikonische Serie „House Beautiful: Bringing the War Home" stehen im Zentrum der Ausstellung der SCHIRN die medial vermittelte Konfrontation mit kriegerischen Auseinandersetzungen und die damit einhergehende Dissonanz von Privatem und Politischem.

Martha Rosler, The Gray Drape, 2008, aus der Serie „House Beautiful: Bringing the War Home“, neue Serie, 2004-2008 © Martha Rosler, Foto © Galerie Nagel Draxler Berlin / Köln / München
MARUŠA SAGADIN

Wer baut, was, für wen und wo? Beeinflusst durch die Architekturgeschichte erkundet Maruša Sagadin (*1978) die einem Gebäude oder Ort zugrunde liegenden sozialen Aspekte. Ihre künstlerische Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von privatem und öffentlichem Raum und vereint Elemente aus Architektur, Skulptur und Malerei. Sagadin nutzt Humor und Übertreibung in ihrer Formensprache und in der Verwendung von Farben, um Ein- und Ausschlussmechanismen aufzudecken und mit etablierten Codes der Kunstbetrachtung zu brechen. Spielerisch-subversiv verweisen ihre Arbeiten auf Elemente der Pop- und Subkultur und der angewandten Kunst. Im Zusammenspiel von Gender, Sprache und Skulptur unterwandern sie bestehende Normen und thematisieren Bildhauerei als eine Form des Sichtbarmachens. Anlässlich des Ehrengastauftritts Sloweniens auf der Frankfurter Buchmesse 2023 realisiert die Künstlerin in der Rotunde der SCHIRN neue Arbeiten, die auf die spezifische Beschaffenheit des halböffentlichen Raumes eingehen.

Maruša Sagadin, Paravent, 2022 © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto © Andrej Peunik / MGML
LYONEL FEININGER. RETROSPEKTIVE

Der deutsch-amerikanische Künstler Lyonel Feininger (1871–1956) ist ein Klassiker der modernen Kunst. Die SCHIRN widmet dem bedeutenden Maler und Grafiker die erste große Retrospektive seit über 25 Jahren in Deutschland und zeichnet ein umfassendes und überraschendes Gesamtbild seines Schaffens. Bekannt ist Feininger für seine Gemälde von Bauwerken, kristalline Architekturen in unverwechselbarer Monumentalität und Harmonie der Farben. Jedoch übersieht die heutige Rezeption oft die Originalität und den künstlerischen Facettenreichtum seines Œuvres, das zahlreiche Tendenzen der Moderne widerspiegelt.

Die SCHIRN präsentiert selten gezeigte Hauptwerke, aber auch weniger bekannte Arbeiten wie die vor kurzem wiederentdeckten Fotografien des Künstlers. Schon früh entwickelte Feininger als Grafiker und Karikaturist einen sehr eigenen Stil. Neben zentralen Werken aus der frühen figurativen Phase mit politischen Karikaturen, humorvoll-grotesken Stadtansichten und karnevalesken Figuren beleuchtet die Ausstellung auch seine Rolle als erster Bauhaus-Lehrer und Meister grafischer Techniken wie Zeichnung und Holzschnitt. Ein besonderer Fokus liegt mit zentralen Arbeiten auf den 1930er-Jahren und dem US amerikanischen Exil des Künstlers. Mit rund 120 Gemälden, Zeichnungen, Karikaturen, Aquarellen, Holzschnitten, Fotografien und Objekten zeigt die Ausstellung wichtige Themen und Entwicklungslinien auf, die Feiningers Werk geprägt und unverwechselbar gemacht haben.

Lyonel Feininger, Selbstporträt, 1915, Foto © The Museum of Fine Arts, Houston © VG Bild-Kunst
JOHN AKOMFRAH

John Akomfrah (*1957) erschafft nachdenkliche Videoarbeiten von eindringlicher audiovisueller Intensität. Auf charakteristisch großformatigen Screens erzählt er von Umbrüchen und Krisen der Gegenwart und Vergangenheit.

Dem in Deutschland bisher eher wenig bekannten, eindrucksvollen Werk des Künstlers widmet die SCHIRN erstmals eine umfassende Überblicksausstellung mit einer Auswahl seiner bedeutenden Videoinstallationen aus den vergangenen Jahren. Häufig in Form von simultanen Erzählstrukturen, verwebt der Mitbegründer des einflussreichen Londoner Black Audio Film Collective (1982) eigene filmische Aufnahmen mit Archivmaterial zu vielschichtigen, mitunter assoziativen Collagen. Akomfrahs Arbeiten setzen sich kritisch mit kolonialen Vergangenheiten, globaler Migration oder der Klimakrise auseinander. Ausgangspunkt der umfangreichen Präsentation in der SCHIRN ist eine neue immersive Multi-Screen-Installation, die thematisch einen Bogen von den ersten Siedlern an den Ostküsten Nordamerikas über die Konquistadoren in Mittel- und Südamerika bis hin zur Ankunft der Europäer in der Karibik, Südostasien und China spannt.

ohn Akomfrah, Vertigo Sea, 2015, © Smoking Dogs Films / Courtesy Smoking Dogs Films and Lisson Gallery
John Akomfrah, The Unfinished Conversation, 2012 © Smoking Dogs Films / Courtesy Smoking Dogs Films and Lisson Gallery
DOUBLE FEATURE

In der Veranstaltungsreihe DOUBLE FEATURE stellen seit über zehn Jahren nationale wie internationale Filmschaffende ihre eigenen Produktionen vor, gefolgt von einem Film ihrer Wahl. Jeweils am letzten Mittwoch im Monat geben die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler im Gespräch umfassenden Einblick in ihre Arbeit und ihr filmisches Interesse. DOUBLE FEATURE wurde 2012 durch die SCHIRN Kuratoren Katharina Dohm und Matthias Ulrich gegründet und bietet seitdem verschiedenen Tendenzen und Ausdrucksformen der aktuellen Film- und Videokunstproduktion eine beständige Plattform. In der SCHIRN konnten bereits Arbeiten von über 100 Künstlerinnen und Künstlern gezeigt werden.

Karimah Ashadu, Plateau, 2021, Filmstill (c) the artist

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