Rot ist die Farbe der Liebe? Weit gefehlt. So mannigfaltig die Pigmente und Farbstoffe sind, so vielseitig wird die Farbe Rot in der Kunst eingesetzt. Unsere Top 10!

Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte ist Rot Teil unserer Farbpalette und bestimmt als Symbol für Macht, Liebe, Kraft, Aggression und Leidenschaft die visuelle Kultur. Rot zählt nicht nur zu den drei Grundfarben, sondern ist auch die erste Farbe, die der Mensch herstellen und reproduzieren konnte. Wir kennen Rot in zahlreichen Varianten und Pigmenten – von Ocker, Karmin, Zinnober bis zu Kardinal- und Scharlachrot. So mannigfaltig die Pigmente und Farbstoffe sind, so vielseitig wird die Farbe Rot in der Kunst eingesetzt. Unsere Top 10:

1. GILBERT & GEORGE

Für Gilbert & George ist Rot eine zentrale Farbe in vielen ihrer Werke. Die beiden stellen heraus, dass Rot überaus nützlich sei, da man es auf unterschiedlichste Arten verwenden könne: Um Gefahr, Liebe, Blut und Politik auszudrücken. Einzug in die Bilder finden immer wieder politische Themen, für deren Darstellung das Künstlerduo vor allem die Farben Schwarz, Weiß und Rot benötigt, wie sie in einem Interview verraten:

GEORGE: Und Rot ist sehr nützlich. Man kann es auf unterschiedlichste Arten verwenden: für Gefahr, für Liebe, für Blut, politisch …
GILBERT: Politisch, wie Propaganda. Wenn man ein Statement machen will, braucht man …
GEORGE: Schwarz, Weiß und Rot. [...]

Gilbert & George, CITY DROP, 1991, Courtesy of Gilbert & George
Gilbert & George, THEY SHOT THEM!, 2014, Courtesy of Gilbert & George
Gilbert & George, BEARDARY, 2016, Courtesy of Gilbert & George and Galerie Thaddaeus Ropac, London. Paris. Salzburg
2. Laura Wheeler Waring, Marian Anderson, 1944

Ruhig und anmutig steht Marian Anderson, eine der herausragenden Opernsängerinnen des 20. Jahrhunderts, in einem bodenlangen tiefroten Kleid auf der Bühne. Sie scheint geduldig darauf zu warten, nach dem Abebben des Applauses mit ihrer Gesangdarbietung beginnen zu können. Festgehalten wurde dieser Moment von der afroamerikanischen Künstlerin Laura Wheeler Waring, die für ihre Porträts von prominenten Afroamerikaner*innen aus der Zeit der Harlem Renaissance bekannt ist. 1939 wurde Marian Anderson in ein historisches Ereignis verwickelt, als die Daughters of the American Revolution ihren Auftritt in der Constitution Hall in Washington untersagten, weil sie Schwarz war. Keine geringere als First Lady Eleanor Roosevelt intervenierte und ermöglichte ihr ein Open-Air-Konzert am Lincoln Memorial, das von 75.000 Zuschauenden und von einem Millionenpublikum im Radio verfolgt wurde. Dieser Skandal weckte große Sympathien für Anderson und wurde zu einem Schlüsselmoment in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

Laura Wheeler Waring, Marian Ander-
son, 1944 © Estate of Laura Wheeler
Waring, Image via npg.si.edu

3. Raffael, Porträt von Kardinal Bibbiena, 1516

Bernardo Dovizi Bibbiena ist in diesem Portrait von Raffael in seiner offiziellen Kardinalskleidung zu sehen, bestehend aus einem weißen Gewand und dem kurzen Mozzetta-Umhang aus roter Seide. Die Farbe Rot spielt in der christlichen Ikonografie eine wichtige Rolle. Bereits im 11. Jahrhundert übernahm die römisch-katholische Kirche Rot als Farbe der Chorkleidung ihrer höchsten Würdenträger. Sie verwies auf die Bereitschaft, notfalls das eigene Blut für Christus und die Kirche hinzugeben. Rot ist die Farbe der Autorität, die von kirchlichen und weltlichen Herrschern getragen worden ist. König*innen zeigten schon im Mittelalter mit der Auswahl der Farbe ihr gottgegebenes Recht auf Herrschaft. So trug Karl der Große bei seiner Krönung rote Schuhe – und auch Papst Benedikt wird eine Schwäche für feines, rotes Lederschuhwerk nachgesagt… Nach dem Sturz der Monarchie wurde die Farbe übrigens von Revolutionär*innen auf der ganzen Welt aufgegriffen, um neue Freiheiten zu symbolisieren.  

Raffael, Retrato del cardenal Bibbiena, ca. 1516
4. Mark Rothko, Untitled (Red, Orange), 1968

Wie stellt man „das Erhabene“ dar? Mit seinen charakteristischen, großformatigen Malereien aus rechteckigen Farbfeldern, transportiert der abstrakte Expressionist Mark Rothko die Betrachtenden in eine andere Welt. Die sich überlagernden Pigmentblöcke in „Untitled (Red, Orange)“ scheinen in ständiger Bewegung zu sein, zu vibrieren, zu pulsieren – gleichzeitig ruft der vorherrschende Farbton Rot elementare Emotionen hervor. Rothkos Farb- und Formkompositionen zielen darauf ab, das Metaphysische, das Erhabene zu evozieren, indem die Betrachtenden in einer kontrollierten Umgebung mit der Leinwand kommunizieren und sich auf die Werke einlassen.

MARK ROTHKO, UNTITLED (RED, ORANGE), 1968, © 1998 Kate Rothko Prizel & Christopher Rothko [2021], ProLitteris, Zurich / Photo: Robert Bayer, Image via www.fondationbeyeler.ch

5. Louise Bourgeois, Red Room (Parents), 1994

Louise Bourgeois verhandelt in ihren „Cells“, einer Serie von architektonischen Räumen und Situationen, universelle Themen menschlicher Beziehungen, die sich vor allem auf die Gefühle Schmerz und Wut herunterbrechen lassen. Die „Red Rooms“ gehören zu den fesselndsten Arbeiten dieser Serie, da sie die Komplexität der Beziehung einer Tochter zu ihren Eltern unbeirrt darstellen: Sie navigieren durch die unruhige Verbindung von Intimität und Gewalt, von Schmerz und Sehnsucht.

Der „Red Room (Parents)“ besteht aus einem (Ehe)Bett, eigentlich ein Ort der Nähe und Intimität, das von zwei Marmorskulpturen flankiert wird. Eine Spielzeugeisenbahn und ein geschlossener Xylophonkasten erinnern jedoch auch an die Anwesenheit eines Kindes, dem auch das dritte Kissen mit der roten Stickerei „Je t‘aime“ zu gehören scheint. Über die Farbe Rot sagt sie selbst, dass sie ihre Lieblingsfarbe sei: „Sie ist gewalttätig. Es ist die Farbe des Blutes. Rot ist die Farbe der Scham. Rot ist die Farbe der Eifersucht. Rot ist die Farbe des Grolls. Rot ist die Farbe des Tadels.“ Es scheint keine geeignetere Farbe zu geben, um die Wut und Enttäuschung darzustellen, die Bourgeois als Kind erlitten haben muss.

Sie ist gewalttätig. Es ist die Farbe des Blutes. Rot ist die Farbe der Scham. Rot ist die Farbe der Eifersucht. Rot ist die Farbe des Grolls. Rot ist die Farbe des Tadels.

Louise Bourgeois

Louise Bourgeois, Red Room (Parents), 1994, Photo: Maximilian Geuter (c) The Easton Foundation / VEGAP, Madrid, Image via bourgeois.guggenheim-bilbao.eus

6. Chiharu Shiota, The Key in the Hand, 2015

Die Atmosphäre ist unwirklich, fast surreal. Ein Fadengeflecht aus 400km rotem Garn, jedes davon mit einem Schlüssel verbunden, durchzieht und beherrscht den japanischen Pavillon der Biennale 2015. In ihrer Installation „The Key in the Hand“ umhüllt die Künstlerin Chiharu Shiota vertraute Objekte und verwickelt die Betrachtenden (im wahrsten Sinne des Wortes) in einen diffusen Raum, in dem sie der Frage nach einer kollektiven Erinnerung nachgehen will. Shiota rief im Vorfeld dazu auf, ihr alte Schlüssel zu überlassen – die Ansammlung der insgesamt 50.000 ineinander verschlungenen Schlüsseln durchdringt den Raum und bündelt individuelle Erinnerungen zu einer Art globalem gemeinsamen Gedächtnis.

Warum Shiota die Farbe Rot wählte? Weil sie nicht nur für Blut, und damit für menschliche Beziehungen steht, sondern auch für die Verbindung einer Gesellschaft. Während ein einzelner roter Faden für das menschliche Auge zunächst unsichtbar erscheint, tritt er im Verbund mit weiteren roten Fäden stark heraus. Sind wir also in der Lage, ein einzelnes Stück zu erkennen, können wir auch die Gesamtheit betrachten – die im übertragenen Sinne das kollektive Gedächtnis symbolisiert.  

CHIHARU SHIOTA, THE KEY IN THE HAND, 2015, photo: Sunhi Mang, Image via www.chiharu-shiota.com

7. Henri Matisse, Intérieur à la fougère noire (Interior with Black Fern), 1948

„Intérieur à la fougère noire“ ist eines der letzten Bilder, die Henri Matisse malte, bevor er sich fast ausschließlich den „Papiers découpés“ zuwandte. Dieses Bild gleicht einem farbexplosiven Interiordream mit Pflanze, der auch heute bei Pinterest und Instagram großen Anklang fände. In dem Werk stehen verschiedene Farbzonen nebeneinander; die dominante rote Tapete mit ihrem geometrischen Muster sticht jedoch besonders heraus. Matisse arbeitete besonders gern mit dem leuchtenden Farbpigment Kadmiumrot, das für seine Farbechtheit bekannt ist. Er war der erste bekannte Maler, der es in seinen Werken einsetzte.

Fun Fact: Matisse versuchte erfolglos, Auguste Renoir davon zu überzeugen, Kadmiumrot zu verwenden. Obwohl die beiden eng befreundet waren, kehrte Renoir nach einem Versuch aber schnell wieder zu seinem vorherigen Pigment zurück.

HENRI MATISSE, INTÉRIEUR À LA FOUGÈRE NOIRE, 1948 (c) Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler, Image via www.fondationbeyeler.ch

8. Georgia O’Keeffe, Red Canna, 1924

„I paint because color is significant.“ Mit ihren extremen Nahaufnahmen schafft die US-amerikanische Künstlerin Georgia O‘Keeffe eine neue Art von modernem Stillleben, die ohne die Wiedergabe realistischer Details auskommt. Die Werkserie „Red Canna“ gehört den den frühesten abstrakten Blumendarstellungen und ist ein gutes Beispiel dafür, wie es O‘Keeffe gelingt, Naturphänomenen und Pflanzen eine monumentale Wirkung zu verleihen. O'Keeffe liebte die Gartenarbeit und ließ sich oft von einer bestimmten Blume inspirieren, die sie anschliessend vielfach malte. Die intensiven Rot- und Orangetöne sind lebendig und leuchtend – sie ergänzen sich auf einzigartige Weise und erzeugen in Kombination mit dem kalten Weiß eine besondere Atmosphäre.



Georgia O’Keeffe, Red Canna, 1924, Image via blog.singulart.com

9. Alexander Calder, Flamingo, 1974

Ein Knaller in Rot, der die kühlen grau-blauen Hochhauschluchten durchbricht: Alexander Calders „Flamingo“ auf dem Federal Plaza in Chicago. Auch wenn man in der monumentalen, 50 Tonnen schweren Stahlskulptur nicht sofort einen Flamingo ausmacht, kennen doch alle Chicagoans diesen unübersehbaren Eyecatcher im Zentrum der Stadt. Trotz seines immensen Gewichts wohnt der Skulptur eine Leichtigkeit inne, die der Strenge der sie umgebenden modernistischen Bürogebäude eine gewisse Ausgewogenheit verleiht – nicht zuletzt durch ihre markante Signalfarbe. 

Alexander Calder, Flamingo, 1974, Image via WikiCommons
10. Tamara de Lempicka, Madame Boucard, 1931

Metallische Glätte, überlange Gliedmaßen, geometrische Formen und atemberaubende Farbkontraste: In „Madame Boucard“ von 1931 zeigt Tamara De Lempicka eindrucksvoll, dass sie zurecht als einzige ernstzunehmende Malerin des Art déco bezeichnet werden kann. Sie experimentierte mit kühlen Farben und wusste ganz genau, wie man Frisuren, Juwelen, fließende Gewänder und Pelzstolen darzustellen hat, um die neue Frau der 1920er und 1930er Jahre zu portraitieren. Madame Boucard posiert wie eine Kurtisane der Renaissance, ihre rechte Brustwarze ragt unter dem Mieder aus Satin hervor. Der rote, ihren Körper umspielende Umhang strahlt so vieles aus: Macht, Erotik, Anziehungskraft und vor allem Unabhängigkeit.

 

Tamara de Lempicka, Madame Boucard, 1931, Image via artinwords.de

GILBERT & GEORGE. THE GREAT EXHIBITION

Nur noch bis 5. September 2021!

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