ANY ist Künstlerin, ihre Motive Schwarze Menschen. Im Interview erzählte sie, warum ihre Kunst auch immer ihre eigene Geschichte erzählt, was sie inspiriert und wie sie zur deutschen Kunstszene steht.

ANY, deine Arbeiten sind sehr figurativ. Wen oder was möchtest du darstellen?

Meine Motive sind verschiedene Geschichten Schwarzer Menschen, verschiedene Momente ihres Lebens und gleichzeitig meines eigenen. Ich male auch manchmal Selbstporträts, um mich in meinen Kunstwerken „aufzuhalten“. Es gab eine Zeit, da habe ich oft Liebeskummer, Verlust und Distanz in meinen Bildern verarbeitet. Mit Distanz meine ich, dass ich als Motive Personen wie Künstler*innen gewählt habe, die in anderen Ländern lebten oder für mich nicht durch einen Konzertbesuch zugänglich waren.

Es hat mir gutgetan, mit meinen Bildern eine Art Abschluss für Liebeskummer und Verlust zu finden –  einen schönen Abschluss, den ich festhalten kann, der meine Gefühle darstellt und greifbar ist. Menschen zu malen beziehungsweise als Motive zu wählen, bedeutet für mich ein Gegenüber zu haben. Ein Gegenüber, das ich aus meiner eigenen Vorstellung erschaffe. Es sind keine idealen Menschen, meine Figuren sind abstrakt und entsprechen nicht der Wirklichkeit.

Welche Themen verarbeitest du in deiner Kunst und wessen Geschichte erzählen deine Bilder?

Meiner Bilder erzählen meine Geschichte: Die Geschichte einer Schwarzen Frau, die sich Menschen, die sie inspirieren, näher fühlen will – also malt sie. Sie liebt ihre Geschwister auf der ganzen Welt und findet es genauso wichtig, sie abzubilden und für immer festzuhalten, wie neue Fotografien von Momenten. Seit dem Sommer 2020 habe ich mich vor allem mit der Darstellung starker, friedlicher, glücklicher Schwarzer Menschen befasst. Der Mord an George Floyd und die damit zusammenhängenden Rassismustraumata wurden und werden bis heute in meinen Bildern verarbeitet. Ich möchte aber nicht, dass Betrachter*innen einzig und alleine davon ausgehen, dass ich von Rassismus geprägt meine Kunst schaffe.

Welche Herausforderungen stellen sich dir bei der Verarbeitung von Rassismus durch Kunst?

Überall da, wo unsere Lebensrealitäten von anderen dargestellt werden, fühlen sie sich nicht echt an. Diffamiert. Niemand stellt unser Leid, aber auch unsere Freunde, unsere Communities, unser Leben und uns selbst besser da als wir. Ich habe festgestellt, dass eine kahle Leinwand mit den Gesichtern Schwarzer Menschen zu bemalen, befreiend für mich ist. Ich fühle mich dadurch auch tiefer verbunden mit der Vielfalt von Lebensführungen Schwarzer Menschen. Ich denke, ich werde immer Figuren und Körper malen, es fühlt sich einfach richtig an. Mein letztes Kunstwerk heißt „safer space for black joy“ und ich glaube es spricht für sich. Dahinter stand der Gedanke während des „Black History Month’“ darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig Orte sind, an denen Schwarze Communities zusammenkommen können, sicher und befreit von stigmatisierenden Fremdbezeichnungen, von Exotisierung oder anderen Stigmata. Ich verfolge oft auch eine Politisierung mit meiner Kunst: Ich möchte, dass meine Motive erst genommen werden, dass die Menschen auf den Bildern gesehen und respektiert werden.

Welche (Schwarzen) Künstler*innen inspirieren deine Arbeiten?

Mich inspirieren nicht nur andere Maler*innen, mich inspirieren oft Songs von Musiker*innen. Oft arbeite ich mit Lyrics, um meinen Motiven eine Bedeutung, einen tieferen Kontext zu geben. French Montana inspirierte beispielsweise eines meiner Bilder. Es zeigt einen Mann Namens TaAyo (Instagram : taaylito). Das Lied und die Person haben so Vieles in mir ausgelöst, was ich auf eine Leinwand bringen wollte.

Darüber hinaus bin ich immer wieder von unterschiedlichen Dingen inspiriert: Künstler*innen, Fotografien, Bildern. Meine Bewunderung gilt Künstler*innen wie Jean Michael Basquiat oder Gabriel Sabino Bailey. Sehr prägend ist neben Shaquille-Aaron-Keith auch Torin Ashtun. Ashtun ist eine Schwarze Künstlerin, die mich vor allem dadurch inspiriert, wie sie sich selbst und ihre Kunst darstellt. Sie performt und es ist wundervoll, ihrem Prozess zu folgen. Sie filmt sich beim Malen, zeigt sich neben ihren Bildern und wird damit in meinen Augen zu einem Teil des Kunstwerks. Für mich war es auch immer wichtig, den Prozess meines Kunstschaffens zu dokumentieren, es gehörte für mich mit zum Endergebnis. Torin Ashtun zeigt mir, dass auch alles um mein fertiges Gemälde herum bereits Kunst ist – jeder Schritt, jede Bewegung und jeder Pinselstrich, auch der unfertige Teil eines Bildes. Ich bin die Kunst, oder ich kann sie sein.

Wie nimmst du die deutsche Kunst- und Kulturszene in Bezug auf Diversität und Anti-Rassismus wahr? Und wo verortest du dich in ihr?

Ich bewege mich kaum in der deutschen Kunstszene, da ich sie als weiß wahrnehme. Welches Museum besitzt heute keine gestohlenen Kunstwerke? Welches Museum zahlt Reparationen? Welches Museum hat öffentlich die historischen Fehler eingestanden und sich mit Schwarzen Communities auseinandergesetzt? Die wenigen Schritte, die ich in der deutschen Kunstszene gemacht habe waren schmerzhaft. Dazu ein Beispiel: Als der Kurator Martin Engler Herolds „Ziegeln****“ ausstellte, war der Protest groß. Als ich mich öffentlich zu dem Vorfall äußerte, bekam ich viele Nachrichten von weißen Menschen, die mit der Kunstfreiheit argumentierten. Solch eine Uneinsichtigkeit finde ich verwerflich, ich finde sie gefährlich und äußerst schmerzhaft. Denn dies zeigte mir, dass ich als Künstlerin, die Rassismus erfährt, weniger Wert bin als „die Kunstfreiheit“.

Kunst muss nicht wehtun und Traumata hochholen, damit weiße Menschen einen Anspruch auf „Kunstfreiheit“ erhalten können. Ich bin dankbar für die Räume, die innerhalb der weißen Kunstszene geschaffen werden. Dass ich hier bin und meine Stimme Platz findet, geschieht nur durch die Vernetzung Schwarzer Geschwister. Ich denke, es ist noch ein langer Weg bis wir von Diversität in der Kunstszene sprechen können, die nicht nur innerhalb einzelner Ausstellungen und Momente stattfindet. Mich selbst verorte ich dort, wo Kunst und Politik zusammengebracht werden. Ich möchte nicht Teil einer akademisierten Kunstkultur sein, sondern Kunst machen, die auch für marginalisierte Menschen zugänglich ist.