LUKE FOWLER

Der 2012 für den Turner-Preis nominierte Luke Fowler ist bekannt für seine filmischen Porträts berühmter Persönlichkeiten, etwa des schottischen Psychiaters und Schizophrenie-Forschers Ronald D. Laing (1927-1989) oder des marxistischen Historikers und Mitbegründers der „Cultural Studies“ Edward Palmer Thompson (1924-1993). Fowlers Filme, die sowohl neu Gedrehtes und Archivmaterial als auch Interviews und Fotografien kombinieren, stehen in der Tradition des Dokumentarfilms und führen das Genre zugleich an seine Grenzen. Auch Sound spielt in Fowlers Arbeit eine zentrale Rolle. Er setzt ihn in seinen Filmen genauso analytisch und hermeneutisch ein wie sein Bildmaterial. Der in Glasgow lebende Künstler kann mit zahlreichen Ausstellungen aufwarten, darunter Einzelausstellungen in der Kunsthalle Zürich, der Serpentine Gallery in London, der Bergen Kunsthall in Bergen (Norwegen) oder dem Bielefelder Kunstverein.

MARINE HUGONNIER

Anthropologie und Philosophie beeinflussen die zwischen dokumentarischer Fiktion und Wahrheit oszillierenden Filme der in London lebenden Marine Hugonnier. Was gilt es zu sehen und was gilt es, dem Publikum vorzuenthalten? Mit diesen Fragen bewegt sich Hugonnier kritisch und selbstreflexiv im Sinne der Sichtbarmachung der Welt durch Film und auf den Spuren Godards oder des ethnografischen Filmemachers Jean Rouch. In ihrem letzten Film aus dem Jahr 2013, „Apicula Enigma“ (dt.: das Geheimnis der Biene), bezieht sie Stellung gegen die Instrumentalisierung von Tieren und die Vergleichbarkeit eines Bienenstaates mit der politischen Ordnung einer Gesellschaft. Dabei dekonstruiert sie die Mechanismen der Natur- und Tierdokumentationen und nähert sich anhand der technologischen Ressourcen des Kinos der tatsächlichen Ordnung eines Bienenstaates. Die in Frankreich geborene Marine Hugonnier stellte u. a. im britischen Gateshead, Seoul, Malmö und Bern aus.

MARINE HUGONNIER, APICULA ENIGMA, 2015

HEATHER PHILLIPSON

Wichtigster Arbeitsschritt der in London geborenen Heather Phillipson ist das Editieren bzw. Schneiden eines Films. Ihr Filmmaterial hingegen bezieht sie schlicht aus dem Internet oder dreht selbst kurze Filmsequenzen mit der Handkamera. Die Darstellung von Entscheidungen, die die Bilder miteinander verbinden, und die das ganze Werk, ob Film, Installation oder Text, widersprüchlich erscheinen lassen, gilt Phillipson als Beweis einer Realität, die nicht als Ziel, sondern als Ausgangspunkt Verwendung findet. „Kohärenz ist Tyrannei“, so Phillipson, die auch als Schriftstellerin arbeitet und deren künstlerische Arbeit aus der Sprache hervorgeht. Sprache dient in ihren Filmen als die Illusion eines roten Fadens wie auch als Irritation des Gesehenen, sodass aus der Addition von Stimme und Bild ein drittes Element hervorzugehen scheint.

HEATHER PHILLIPSON, A IS TO D WHAT E IS TO H, 2011

LORETTA FAHRENHOLZ

Loretta Fahrenholz‘ vielbeachteter Film „Ditch Plains“ ist 2013 in enger Zusammenarbeit mit der New Yorker Performancegruppe Ringmaster Crew entstanden. Mit an ihrer Kleidung befestigten Leuchtstoffröhren bewegen sich Tänzer durchs dunkle, vom Wirbelsturm Sandy zerstörte New York, durch verlassene Hotelflure und bevölkerte Hotelzimmer. Die verzogenen Stimmen evozieren in Kombination mit den Bewegungen eine digital anmutende und abstrakte Bildsprache, die Gewaltszenen andeutet und den Eindruck erweckt als würde sich etwas Inneres heftig nach außen kehren. Im Gegensatz dazu werden die Dialoge in „Implosion“ (2011) geradezu nüchtern vorgetragen. Bild und Wort scheinen nicht zusammen zu passen. Fahrenholz‘ filmische Arbeiten verbindet eine surreale und zugleich hyperreale Bühnensituation, in der die Schauspieler ihre vorgegebenen Rollen demonstrativ ausführen. Ihre Arbeiten waren bisher u. a. in der Kunsthalle Lüneburg, im ludlow38 New York und in den KW Berlin zu sehen.

LORETTA FAHRENHOLZ, MY THROAT, MY AIR, 2013

AGNIESZKA POLSKA

Die in Warschau lebende Künstlerin Agnieszka Polska (*1985) entwickelt mit ihren Filmen eine Form der Geschichtsschreibung, die den Einfluss von Erinnerungen und Zeit auf das kollektiv-gesellschaftliche Gedächtnis thematisiert. Für ihre Arbeiten ist die Bildende Kunst häufig der Ausgangspunkt.

In der Arbeit „Future Days“ (2013, 29 Min.) begegnen sich zum ersten Mal längst verstorbene Künstlerinnen und Künstler. So treffen etwa die Maler Bas Jan Ader und Paul Thek sowie die Bildhauerin Charlotte Posenenske als Kunstfiguren aufeinander. In Polskas Film wandern sie umher und entdecken plötzlich Spuren eines verschwundenen Kunstwerks des Land-Artist Robert Smithson mit dem Titel „Partially Buried Woodshed“ (1970). Das Verschwinden erscheint als vielschichtiges Leitmotiv dieses Films und lebt auf in der Frage nach dem Vergessen, das in unserem Gedächtnis situativ stattfindet. Polskas Arbeiten, die neben Film auch Fotografie umfassen, wurden bereits auf zahlreichen Biennalen gezeigt, zuletzt im Jahr 2014 in Sidney sowie in Einzelausstellungen im Belvedere in Wien (2012) oder im Nottingham Contemporary (2014).

AGNIESZKA POLSKA, “FUTURE DAYS, 2013

HANNA HILDEBRAND

In der Juni-Ausgabe der Veranstaltungsreihe DOUBLE FEATURE präsentiert die SCHIRN wieder eine Filmpremiere: „Helianthus Coco“ (2015, ca. 15 Min.) der 1978 in Italien geborenen Künstlerin Hanna Hildebrand. Der Titel spielt auf die aus der Sonnenblume (Helianthus) gewonnenen Inhaltsstoffe an, die in der Seifen- und Lebensmittelproduktion verwendet werden. In Hildebrands Filmen entwickeln sich Alltagssituationen zu fabelgleichen Geschichten und so handelt ihr neuer Film nur vordergründig von den Ingredienzen für Kosmetika oder Lebensmittel, die wir tagtäglich nutzen. Stattdessen sieht der Betrachter etwa die jeweiligen Situationen und Orte, in denen beispielsweise die Seife zur Hand genommen wird.

„Ich beobachte meine Umwelt ganz genau und irgendwann sehe ich in ganz banalen, alltäglichen Dingen das Besondere", erklärt Hildebrand ihre Arbeitsweise. Ähnlich wie in einem Rollenspiel fungieren die Protagonisten als das künstlerische Material, mit dem Hildebrand Gegebenheiten und Momente schafft, um die Schichten des menschlichen oder sozialen Verhaltens freizulegen. Im Anschluss zeigt Hildebrand ihren Lieblingsfilm „Ace in the Hole“ (1951, 111 Min.) des amerikanischen Regisseurs Billy Wilder. Erzählt wird die Geschichte des erfolglosen Reporters Charles Tatum. Skrupellos nutzt er sämtliche Möglichkeiten, um aus einem tragischen Unglück eine große Story zu machen und so seine vermeintlich letzte Chance zu ergreifen, doch noch ein angesehener Vertreter seiner Branche zu werden. Auf geradezu zynische Art und Weise rechnet Wilder hier mit den perfiden Praktiken der Boulevardpresse ab. Hanna Hildebrand, die in Frankfurt an der Städelschule studierte und dort Meisterschülerin von Tobias Rehberger war, gewann 2013 den Swiss Art Award. Nach Aufenthalten in Mexiko und Seoul lebt sie derzeit in Berlin.

GABRIEL LESTER

„The Last Smoking Flight“ (2008) ist der Beginn einer Trilogie von Gabriel Lester: Zwischen Wolken und Rauch, gefangen in einem kleinen Flugzeug, befindet sich eine Gruppe von Menschen auf der Reise ins Nirgendwo. Die Passagiere sind in sich gekehrt, verloren in ihren eigenen Gedanken, so wie das Flugzeug verloren ist in Raum und Zeit. Unabhängig vom Medium beschreibt der Niederländer seine Arbeitsweise als „cinematographisch“. Alle denkbaren Medien umfassend, will er Raum und Zeit besetzen, ohne dabei eindeutige Botschaften oder Ideen zu verkünden. Seine Arbeiten sollen vielmehr den Betrachter anregen, sich der Mechanismen und Komponenten seiner Wahrnehmung bewusst zu werden und sein Verständnis von der Welt sowie sein Verhältnis zur Welt zu überprüfen. Lesters Installationen und Filme waren auf zahlreichen Ausstellungen und Festivals international vertreten, wie beispielsweise auf der documenta 13 in Kassel, der Biennale Sydney und im Bonner Kunstverein.

GABRIEL LESTER

RILEY HARMON

Der junge US-Amerikaner Riley Harmon (*1987 in Oklahoma) greift mit seinen filmischen Arbeiten Fragen nach der eigenen Identität und Identifikation, nach Realität und Simulation auf. Er nimmt für seine Videoarbeiten unter anderem Bezug auf Hollywood-Filme, die er bearbeitet und verändert oder knüpft an Arbeiten anderer Künstler an. So nutzt Riley beispielsweise für „Quad“ (2011) die Performance „Quad“ (Quadrat) von Samuel Beckett, deren Choreografie er adaptiert und mit selbst designtem Sound versieht. Für sein Projekt „Passengers“ (2010 bis heute) ersetzt er etwa in Autofahr-Szenen aus Hollywood-Filmen einen der eigentlichen Protagonisten durch sich selbst. Er wird zum schweigenden Gegenpart seines vermeintlichen Gegenübers.

Dieses Spiel aus Realität, Fiktion und filmischer Montage beherrscht viele von Rileys Arbeiten, so auch seine jüngste Produktion „A Method for Blue Logic“ (2014, ca. 15 Min.), die er in der Schirn zeigen wird. Darin verschwimmen die Grenzen zwischen Dreharbeiten und Film, zwischen Schauspielern, Performern und realen Charakteren, zwischen Schein und Wirklichkeit. Nach einem Gespräch zwischen Kurator Matthias Ulrich und dem Künstler wird dessen Lieblingsfilm „The Itch Scratch Itch Cycle“ (1976, 8 Min.) präsentiert. In diesem Film des mexikanischen Philosophen, Schriftstellers und Regisseurs Manuel De Landa geht es um Eifersucht in all ihren tragikomischen Facetten.

RILEY HARMON, A METHOD FOT THE BLUW LOGIC, 2015

TAI SHANI

Tai Shani erzählt in ihren Videoarbeiten Geschichten, in denen sie genreübergreifend immer wieder das Selbst umkreist und es mit filmischen, literarischen und szenischen Adaptionen erweitert, befragt und kritisiert. Das Theater mit seinen Rollen, Kostümen und Bühnenbildern dient ihr als Vorlage für einen spezifischen Umgang mit Film, Performance und Musik. Die Filmemacherin lässt diese künstlerischen Ausdrucksformen ineinanderfließen, wobei jede dennoch singulär zum Ausdruck kommt. Häufig positioniert sie in ihren Werken archetypische und pseudohistorische Charaktere vor zumeist neobarocken Bildern. Für ihr gerade im Dreh befindliches Projekt „A City Of Women“ spannt die Künstlerin beispielsweise einen weiten Bogen bis ins Jahr 1405, in welchem die französische Schriftstellerin Christine de Pizan das proto-feministische Buch „Le Livre de la Cité des Dames“ geschrieben hat. In der Schirn stellt Shani den Film „The Vampyre“ (2015, 27 Min) aus ihrer Reihe „The Dark Continent“ vor. Schauplatz dieses keiner chronologischen Handlung folgenden Werks ist eine von Menschen und deren Zivilisationszeugnissen entleerte Erde, auf der sich die Hauptdarstellerin, ein weiblicher Vampir, schattengleich bewegt. Nach dem Künstlergespräch zeigt Shani Hans-Jürgen Syberbergs Film „Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König“ (1972, 140 Min). Es ist der erste Teil einer Trilogie, die sich mit deutschen Mythen beschäftigt. In einer Abfolge „Lebender Bilder“ vor gemalten Prospekten, wie sie zur Zeit Ludwigs II. populär waren, tritt Harry Baer – bekannt aus zahlreichen Filmen Rainer Werner Fassbinders – als Ludwig auf, der sich in Träumereien verliert.

Tai Shani hatte zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen u. a. im Barbican Centre, der Hayward Gallery und dem ICA in London.

TAI SHANI, THE VAMPYRE, 2015

SAMSON KAMBALU

Auf seinen Reisen durch Europa ist eine Serie von Kurzfilmen entstanden, die Samson Kambalu als „Nyau Cinema“ bezeichnet. Jeder dieser Filme dauert nicht länger als eine Minute, basiert auf ortsspezifischen spontanen Performances und spielt im urbanen Raum. Die Beschränkungen und Konventionen des alltäglichen Lebens werden in den Film-Aktionen spielerisch überschritten. Die Werke von Samson Kambalu zeichnen sich durch seine interdisziplinäre Praxis aus. Als Künstler, Filmemacher und Autor schöpft er aus den verschiedensten Bereichen und verbindet unterschiedliche Themen wie die moderne Kunstgeschichte, Stummfilm und südostafrikanische Traditionen. Kambalu studierte Kunst und Musikethnologie in Malawi, hat bereits zwei preisgekrönte Romane – „The Jive Talker” und „Uccello’s Vineyard” – veröffentlicht und ist mit seinen Arbeiten bei internationalen Ausstellungen vertreten, wie beispielsweise der Liverpool Biennial, dem Tokyo International Art Festival und bei „All the World’s Futures“ der Venedig Biennale 2015.

SAMSON KAMBALU, NYAU-CINEMA, 2015

ÉMILIE PITOISET

In ihren raumgreifenden Installationen und Videoarbeiten beschäftigt sich die französische Künstlerin Émilie Pitoiset mit den Möglichkeiten, Narrationen zu konstruieren, die sich zwischen Fiktion und Dokumentation bewegen. Hierbei werden die Grenzen der Wahrnehmung jedes Einzelnen auf die Probe gestellt. Dem Bedürfnis, zwischen Wahrheit und Illusion unterscheiden zu können, wird nicht entsprochen. In der SCHIRN präsentiert Pitoiset ihren Kurzfilm „The Third Party“ (2014, 5 Min.). Darin bewegen, tanzen und schreiten maskierte Menschen im Takt der Musik durch Büroflure, als handele es sich um einen unergründlichen Ritus einer Geheimgesellschaft. Im Anschluss zeigt die Künstlerin den Film „Holy Motors“ (2012, 115 Min.) ihres Landmanns Leos Carax. Denis Lavant spielt in der Hauptrolle einen Mann, dem es nur mühsam gelingt, zwischen verschiedenen parallelen Leben hin- und herzuspringen.

Pitoiset hat bereits in Gruppenausstellungen im Centre Pompidou Paris, im Palais de Tokyo Paris, im Forum d’art contemporain in Luxembourg und auch im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden ausgestellt.

ÉMILIE PITOISET, THE THIRD PARTY, 2014

MELANIE GILLIGAN

Düstere und verstörende Szenen bilden das Gerüst der Filme der in Toronto geborenen Künstlerin Melanie Gilligan. Gilligans Bildsprache setzt sich aus gefundenem und gedrehtem, aus animiertem und theatralisch inszeniertem Material zusammen. Ihre Arbeit dreht sich um Machtstrukturen, die in Form von technologischer, medizinischer oder politischer Innovationen eingeführt, körperlich eingeübt und manifestiert werden. Ähnlich einer TV-Serie bietet eine zumeist episodenhafte Struktur die Möglichkeit unterschiedlicher Perspektiven sowie deren Fortsetzung und Transformation. Gilligans mehrteilige Filmarbeit „The Common Sense“ (dt.: Der gesunde Menschenverstand, 2014/15) ist ein Science-Fiction-Film, der einen Blick auf das Nachleben der digitalen Netzwerke und der Kommunikation von Menschen wirft, so als ob es sich um eine Horrorfantasie handelte.

Die in New York und London lebende Melanie Gilligan stellte bereits im MoMA PS1, mumok in Wien, in der Chisenhale Gallery und der Tate Modern aus.