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Tag und Nacht

25.09.2013

3 min Lesezeit

Die deutschen Graffiti-Pioniere Loomit und Peter Michalski berichteten in der SCHIRN von ihren Reisen nach Brasilien auf den Spuren des Graffiti.

Detektivisch gingen die beiden vor, als sie Anfang der 90er-Jahre die Welt bereisten, um das Graffiti anderer LĂ€nder zu entdecken und ihre eigenen Bilder zu streuen. Die Informationen zu dieser Zeit vor dem Internet waren rar und „man musste einfach losfahren, um zu sehen, was woanders passiert“. Sie hatten nur ein Foto eines Graffitis aus SĂŁo Paulo in einem Hip-Hop Magazin gesehen, bevor sie 1999 nach Brasilien reisten, um dort von der blĂŒhenden Graffitikultur ĂŒberwĂ€ltigt zu werden. Nicht nur fasziniert von der poetischen Bildsprache der Grafiteiros SĂŁo Paulos, sondern gleichwohl irritiert von der breiten Akzeptanz der farbenprĂ€chtigen Bilder unter der Bevölkerung, malte Loomit damals mit den KĂŒnstlern Speto, Herbert Baglione, Tinho und Os GĂȘmeos großformatige Bilder – und das mitten in der Stadt und am hellichten Tag: „Das ist Brasilien, alles ist möglich.“

„Loomit malt genauso viel illegal, wie ich legal – nĂ€mlich fast gar nicht“, so startet Peter Michalski seine ErzĂ€hlungen ĂŒber Pixação, der brasilianischen Form des Tagging. „Nach der fotorealistischen Phase des Graffiti und der Vielzahl der in alle Richtungen gedrehten Buchstaben im „Style Writing“, das wir in Europa, Amerika, Australien, Neuseeland sahen, dachten wir 1999, das Graffiti wĂ€re an seinem Ende angelangt.“

Brasilien hingegen eröffnete einerseits mit den farbenprĂ€chtigen Murals der Grafiteiros und anderseits mit der schwarzen Runenschrift der Pixadores vollkommen neue Perspektiven. Der Begriff „piche“ kommt von Teer und ist das Material, mit dem die meist aus den Favelas stammenden Jugendlichen nicht nur die DĂ€cher ihrer HĂ€user reparieren, sondern ihre Gangnamen und Pseudonyme auf die Fassaden der brasilianischen MegastĂ€dte anbringen. Und das in Höhen, die klar machen „dass man hier fĂŒr das Graffiti sein Leben riskiert."

Die Pixadores sind nachts unterwegs, planen ihre „Letterattacken“ in Treffen. Im Gegensatz zum farbenfrohen Graffiti sind sie unter den BĂŒrgern verpönt und werden politisch verfolgt, doch scheinen die aus den Brennpunkten der Stadt kommenden Jugendlichen nicht viel zu verlieren zu haben. Der Gegensatz in der Wahrnehmung beider urbaner Interventionen wird insbesondere dann deutlich, wenn die Stadtverwaltung Pixação entfernt, das auf ein Mural der Gaffiteiros aufgebracht ist und damit die ungestörte Sichtbarkeit auf das Graffiti wiederherstellt.

Doch vielmehr als diese politische Dimension interessiert Michalski die Typographie des Pixação. Die mit der jeweiligen Architektur korrespondierenden Buchstaben bestehen aus dĂŒnn aufgetragenen, vertikal ausgerichteten Linien. Die daraus entstehenden Wörter hingegen betonen die Horizontale. Die Variation der Ă€ußert abstrahierten und reduzierten Buchstaben grenzt die jeweilige Crew auch im Schriftbild von der anderen ab.

In ihrem von unzĂ€hligen Anekdoten gespickten Vortrag, der die liebevolle Detailtreue, die poetischen Figuren und die Lebensfreude und Gastfreundlichkeit der brasilianischen Szene genauso berĂŒhrte wie ihre politische Dimension, die tiefgreifenden Probleme des Landes, schwelgen Loomit und Peter Michalski in Erinnerungen. In ihrer formalen und inhaltlichen Konsequenz nahmen und nehmen die brasilianischen Grafiteiros noch heute enormen Einfluss auf die globale Graffiti-Szene.Â