SCHIRN Questionnaire:
Amna Elhassan

Ein Blick nach vorne – ein Blick zurück. Unsere Autorin Theresa Weise stellt ausgewählten Künstler*innen, die eigens für die SCHIRN ROTUNDE eine ortsspezifische Arbeit geschaffen haben, dieselben 10 Fragen: Von Lieblingskunstwerken und -texten, über Routinen im Studio, bis hin zu Gedanken zur künstlerischen Praxis und neuen Projekten. Diesmal mit Amna Elhassan.

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Die sudanesische Künstlerin Amna Elhassan (*1988, Khartum) widmet sich in ihren Werken den Verflechtungen von Erinnerung, Gewalt und Heilung, wobei ein besonderes Augenmerk auf den Lebenserfahrungen von Frauen im Sudan und der Diaspora liegt. Durch die Verbindung von Medien wie Malerei, Druckgrafik und Installation sowie Duft und Klang entstehen so zutiefst persönliche und politisch aufgeladene Kunstwerke. Nach ihrer Ausstellung in der SCHIRN-Rotunde 2022 spricht Elhassan nun mit dem SCHIRN MAG über die Weiterentwicklung ihrer Praxis, über aktuelle und künftige Projekte.

In ihren figurativen Gemälden löst sie klassische Sichtweisen ganz bewusst auf. Immer wieder richtet die Künstlerin den Blick auf die Gesichter von Frauen, findet Ausdrucksformen, die das Gewicht allzu oft übersehener Geschichten tragen.

Auch fangen ihre Malereien die subtile Schönheit flüchtiger Momente ein: Blicke, Gesten und Szenen aus dem Alltagsleben, die von Fürsorge, Solidarität und gegenseitiger Unterstützung erzählen. Dies aber sind keine beiläufigen Aspekte – es sind Akte des Überlebens. Indem Elhassan den Fokus auf den Alltag richtet, überhöht sie den stillen Widerstand, der verwurzelt ist in Ritualen, in der Gemeinschaft, im Dasein selbst.

In ihren zuletzt entstandenen Arbeiten erweitert die Künstlerin die eigene Praxis, erkundet den Bereich der Duft- und Sinnesinstallationen und vertieft so ihre Auseinandersetzung mit Ritualen und Erinnerung.

Über ihr vielfältiges Kunstschaffen reflektiert sie nicht nur die aktuelle Krise im Sudan, sie leistet ebenfalls einen Beitrag zu einer breiter geführten Debatte über die Sichtbarkeit von Frauen, über kulturelles Gedächtnis und Politiken der Repräsentation. Elhassans Kunst würdigt diejenigen, die 2018 die Sudanesische Revolution angeführt haben, bewahrt und verbreitet ihre Geschichten angesichts der Gefahr, in Vergessenheit zu geraten.

Moderne Galerie mit bunten Wandmalereien und einer Reihe farbiger Eimer und Behälter auf dem Boden.
Amna Elhassan, basis e.V., Installationsansicht
Foto: Nathalie Zimmermann

Wann hast du dich zum ersten Mal als Künstlerin bezeichnet?

Amna Elhassan

Das war während der Revolution, die sich 2019 im Sudan vollzog. Die Revolution gab mir ein Gefühl von Freiheit und Hoffnung, Träume, die ich immer schon hatte. Es war eine Zeit des Erwachens – nicht nur in politischer, auch in persönlicher Hinsicht. In diesem Jahr begann ich, mehr Kunstwerke mit Freund*innen und online auf Instagram zu teilen. Ich konnte spüren, wie sich etwas veränderte: Meine Arbeit wurde von vielen gesehen und akzeptiert. Damals fasste ich den Entschluss, mich ganz der Kunst zu widmen. Ich erkannte, dass ich nur Künstlerin sein konnte.

Allerdings hatte sich die Erkenntnis, dass ich Künstlerin bin, schon viel früher gezeigt. Ich war 16 und bereitete mich gerade auf die Bewerbung um einen Studienplatz an der Universität im Sudan vor, als mein Vater zu mir sagte: „Du bist eine Künstlerin, Amna.“ Dieser Augenblick ist mir stets in Erinnerung geblieben. Mein Vater – von Beruf Bauingenieur – hatte schon immer die Seele eines Künstlers. Seine Leidenschaft für Inneneinrichtung, Architektur und Malerei prägte das kreative Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin. In vielerlei Hinsicht erkannte er die Künstlerin in mir, bevor ich es selbst tat.

Zwei farbenfrohe Gemälde: eines zeigt eine singende Frau, das andere ein Brautpaar mit Blumen.
Amna Elhassan, basis e.V., Installationsansicht
Foto: Nathalie Zimmermann
Bunte Plastikspielzeuge türmen sich kreativ auf einer schwarzen Box vor einer hellen Wand.
Amna Elhassan, basis e.V., Installationsansicht
Foto: Nathalie Zimmermann

Wie sieht denn ein Tag in deinem Atelier aus?

Amna Elhassan

Mein erstes Atelier befand sich im Haus meiner Familie in Khartum. Sie überließ mir ein Zimmer, damit ich mich als Künstlerin etablieren konnte, und mein Vater half mir dabei, es als Atelier herzurichten. Das waren schöne Tage. Damals arbeitete ich etwa sieben Stunden täglich, und es blieb mir noch Zeit für meine Familie.

In meiner aktuellen Ausstellung „Resonance of Absence“, die bei basis e.V. Frankfurt zu sehen ist, zeige ich auch eine Aufnahme meines Ateliers in Khartum, nachdem es im Krieg beschädigt worden war. Angehörige der RSF (Rapid Support Forces) hatten die Einrichtung zerstört und meine Kunstwerke übermalt. Nachdem die Sudanesischen Streitkräfte die Kontrolle über Khartum übernommen hatten, kehrte mein Cousin in unser Stadtviertel zurück und schickte mir Fotos, die die Schäden an meinem Wohnatelier zeigten.

Seit April 2024 nutze ich ein neues Atelier bei basis e.V. Mein Tagesablauf hängt davon ab, wie intensiv ich mit Projekten beschäftigt bin. Meist aber beginne ich um 9 Uhr und arbeite bis 17 Uhr, mit einer Mittagspause gegen 12 Uhr. Manchmal kommen auch Besucher*innen zu mir ins Atelier – Freund*innen, Künstlerkolleg*innen, Kurator*innen und Galerist*innen.

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Zu deiner SCHIRN-Ausstellung 2022: Was waren die zentralen Elemente deiner künstlerischen Praxis? Und wie würdest du deine heutige Kunstpraxis beschreiben?

Amna Elhassan

In der SCHIRN habe ich an Gemälden und Druckgrafiken gearbeitet und die großformatige Wandmalerei „December“ gestaltet – bis heute das größte Kunstwerk, das ich je geschaffen habe. Gerade beschäftige ich mich mit einer umfassenderen Bandbreite künstlerischer Medien. Während meiner Zeit als Gastdozentin an der HFBK Hochschule für bildende Künste Hamburg hatte ich Gelegenheit, Studierende zu beobachten, die sich mit verschiedenen Bereichen der Kunst auseinandersetzten, was unglaublich inspirierend war.

Zurzeit arbeite ich mit Klang, Duft, Skulptur und Installation. In meiner aktuellen Ausstellung bei basis e.V. habe ich meine eigene Praxis um diese sensorischen Elemente erweitert, sodass meine Arbeiten das Publikum auf immersivere und vielschichtigere Weise ansprechen.

Amna Elhassan. Deconstructed Bodies – In Search of Home, Installationsansicht
© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2022, Foto: Norbert Miguletz
Buntes Wandgemälde hinter Glas, zeigt eine stilisierte Figur mit Sonnenbrille und lebhaften, farbigen Details.
Amna Elhassan. Deconstructed Bodies – In Search of Home, Installationsansicht
© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2022, Foto: Norbert Miguletz
Buntes Wandgemälde in einem modernen Raum mit Glaswänden und Personen im Vordergrund.
Amna Elhassan. Deconstructed Bodies – In Search of Home, Installationsansicht
© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2022, Foto: Norbert Miguletz

Woher weißt du, dass ein Werk fertig ist?

Amna Elhassan

In der Malerei fühlt sich ein Werk abgeschlossen an, wenn es farblich ausgereift ist, wenn die Idee eine Ausdrucksform angenommen hat, mit der ich zufrieden und von der ich überzeugt bin. Wobei es aber nicht immer notwendig sind, voll und ganz zufrieden zu sein. Denn wenn ich ein Werk immer wieder betrachte, kann es schwierig werden, zu einem objektiven Urteil zu kommen. Daher finde ich es auch so wichtig, mit Vorausplanung und in Etappen zu arbeiten. Erreiche ich dann die letzte Etappe meines Arbeitsplans, so ist das ein Signal für die Fertigstellung des Werkes.

Welche Metaebene verbindet deine Arbeiten?

Amna Elhassan

Von zentraler Bedeutung für mein Werk ist die Menschlichkeit. Ich beschäftige mich vor allem mit den Erfahrungen von Frauen und Kindern und empfinde eine tiefe Zuneigung für ganz gewöhnliche Menschen. Mit meiner Gemeinschaft verbindet mich ein starkes Gefühl der Leidenschaft und Zugehörigkeit. Daher ist die spirituelle Dimension auch immer in meiner Arbeit gegenwärtig – sie spiegelt die Emotionen, Beziehungen und Werte, die meine Welt prägen.

Moderne Kunstgalerie mit bunten Bildern und einem halbtransparenten Vorhang in einem lichtdurchfluteten Raum.
Amna Elhassan, basis e.V., Installationsansicht
Foto: Nathalie Zimmermann
Zwei lebendige Gemälde an weißen Wänden in einem minimalistischen Raum, mit Sicht auf einen Durchgang.
Amna Elhassan, basis e.V., Installationsansicht
Foto: Nathalie Zimmermann

Was ist deine schönste Erinnerung im Zusammenhang mit Kunst?

Amna Elhassan

Da sind so viele schöne Erinnerungen, die sich mit Kunst verbinden. So verspüre ich jedes Mal Aufregung und Freude, wenn ich ein Werk abschließe. In besonderer Erinnerung ist mir die Fertigstellung von „December“ in der SCHIRN-Rotunde – das war ein wunderbarer Moment. Auch das Reisen und Kennenlernen verschiedener Kulturen über die Kunst schenkten mir viele unvergessliche Erinnerungen. Besondere Bedeutung haben für mich die Tage, die ich zusammen mit meinem Mentor Hatim Koko im Khartoum Art Training Centre verbracht habe, wo ich Zeichnen und Malen studierte. Doch meine schönste Erinnerung ist wohl die Zeit, als ich mein erstes Atelier im Haus meiner Familie eingerichtet habe, mit ihrer vollen Unterstützung. Das war ein tolles Gefühl.

Welches Kunstwerk hat dich in deinem Leben am stärksten beeinflusst?

Amna Elhassan

Ich denke, ich wurde von vielen Künstler*innen und Werken beeinflusst, nicht unbedingt von einem oder einer einzigen. In der Druckgrafik haben mich die sudanesischen Künstler*innen Mohammed Omar Khalil und Dar Alnaim inspiriert. In der Malerei und in Bezug auf Farbe lasse ich mich von den Werken meines Mentors Hatim Koko sowie von Salah Elmur, Kamala Ibrahim Ishaq, Jordan Casteel und Tschabalala Self anregen.

Die Verwendung von Duft in meiner Arbeit ist beeinflusst von Azza El Siddique und den Dufttraditionen, die im Leben sudanesischer Frauen verwurzelt sind. Ich erinnere mich auch, dass Jessica Stockholders Umgang mit Materialien mein Denken über Skulptur und Installation geprägt hat. Und während meines Lehrauftrags 2022 an der HFBK hat mich die Arbeit der Studierenden dazu inspiriert, neue Medien und Techniken zu erkunden.

Künstliche Installation in einer Ecke mit Schüssel, Heizgerät, Steinen und Sand.
Amna Elhassan, basis e.V., Installationsansicht
Foto: Nathalie Zimmermann
Bunte Behälter stehen vor einem Kunstwerk in einer minimalistischen Galerie.
Amna Elhassan, basis e.V., Installationsansicht
Foto: Nathalie Zimmermann

Welchen Text (Gedicht, Essay, Roman usw.) sollten wir alle irgendwann einmal lesen?

Amna Elhassan

Dieser Tage kommt mir oft das Zitat „Am Ende reisen wir alle allein “ aus Tayeb Salihs Roman Zeit der Nordwanderung in den Sinn. Seit 2023 bin ich viel auf Reisen – meist allein und unter schwierigen Umständen –, bedingt durch die Vertreibung nach dem Krieg im Sudan.

Ich liebe es, die Werke von Tayeb Salih zu lesen. Eines meiner Lieblingsbücher ist Sains Hochzeit. Es schildert in sehr anschaulicher Weise das ländliche Leben im Sudan. Wann immer ich große Sehnsucht nach meiner Heimatstadt Shambat Elhilla habe, greife ich auf seine Bücher zurück.

Ich finde, jeder und jede sollte Tayeb Salih lesen. Er ist bekannt für seine Schilderungen kultureller Konflikte zwischen Ost und West. Seine Werke spüren sehr intensiv dem Trauma nach, das durch die europäische Moderne zur Kolonialzeit erlitten wurde.

Welche Ausstellung wirst du als Nächstes ansehen und an welchem Projekt arbeitest du aktuell?

Amna Elhassan

Es gibt viele Ausstellungen, die ich in Frankfurt besuchen möchte, besonders aber freue ich mich darauf, zu sehen, was Henrike Naumann und Sung Tieu für den deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2026 präsentieren werden. Derzeit bin ich in einem Postgraduiertenstudium an der HfG Offenbach eingeschrieben. Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf künstlerischen Produktionen, die sich mit Gewalt gegen Frauen in Zeiten von Krieg und Konflikten befassen.

Wenn du unbegrenzte Ressourcen hättest, welche Art von Kunstwerk würdest du dann gerne realisieren?

Amna Elhassan

Im Augenblick macht mir die Bildhauerei große Freude. Ich würde sehr gerne ein Denkmal im Sudan gestalten und es allen sudanesischen Frauen widmen, die während des Krieges Opfer von Gewalt waren. Ich stelle mir vor, dass es am Nilufer stehen würde – ein Denkmal, das genauso kraftvoll und überwältigend ist wie jenes, das ich für die SCHIRN geschaffen habe.

Zwei rahmende schwarz-weiße Kunstwerke, die stilisierte Figuren auf Stühlen zeigen.
Amna Elhassan, basis e.V., Installationsansicht
Foto: Nathalie Zimmermann

SCHIRN MAG QUESTIONNAIRE

Solange die SCHIRN-Rotunde aufgrund des temporären Umzugs der SCHIRN nach Bockenheim unbespielt bleibt, nutzen wir den Moment, um einige der schönsten Rotundenprojekte Revue passieren zu lassen und zugleich auch aktuelle Ausstellungen der Künstler*innen in den Blick zu nehmen. Mit dem SCHIRN MAG QUESTIONNAIRE stellt unsere Autorin Theresa Weise allen Künstler*innen dieselben 10 Fragen: Von privaten Einblicken in Lieblingskunstwerke und -texte über Gedanken zur künstlerischen Praxis in der SCHIRN-Rotunde und aktuellen Ausstellung bis hin zu dem Moment, als das erste Mal der Satz „Ich bin Künstler*in“ gefallen ist: Die Fragen lassen tief blick und geben Aufschluss über Privates und Praxis der Künstler*innen.

Amna Elhassan – Resonance of Absence

basis e.V.
Frankfurt
23. Mai – 3. August 2025