SCHIRN Questionnaire:
Amna Elhassan
09.07.2025
10 min Lesezeit
Ein Blick nach vorne – ein Blick zurück. Unsere Autorin Theresa Weise stellt ausgewählten Künstler*innen, die eigens für die SCHIRN ROTUNDE eine ortsspezifische Arbeit geschaffen haben, dieselben 10 Fragen: Von Lieblingskunstwerken und -texten, über Routinen im Studio, bis hin zu Gedanken zur künstlerischen Praxis und neuen Projekten. Diesmal mit Amna Elhassan.

Wann hast du dich zum ersten Mal als Künstlerin bezeichnet?
Amna Elhassan
Das war während der Revolution, die sich 2019 im Sudan vollzog. Die Revolution gab mir ein Gefühl von Freiheit und Hoffnung, Träume, die ich immer schon hatte. Es war eine Zeit des Erwachens – nicht nur in politischer, auch in persönlicher Hinsicht. In diesem Jahr begann ich, mehr Kunstwerke mit Freund*innen und online auf Instagram zu teilen. Ich konnte spüren, wie sich etwas veränderte: Meine Arbeit wurde von vielen gesehen und akzeptiert. Damals fasste ich den Entschluss, mich ganz der Kunst zu widmen. Ich erkannte, dass ich nur Künstlerin sein konnte.
Allerdings hatte sich die Erkenntnis, dass ich Künstlerin bin, schon viel früher gezeigt. Ich war 16 und bereitete mich gerade auf die Bewerbung um einen Studienplatz an der Universität im Sudan vor, als mein Vater zu mir sagte: „Du bist eine Künstlerin, Amna.“ Dieser Augenblick ist mir stets in Erinnerung geblieben. Mein Vater – von Beruf Bauingenieur – hatte schon immer die Seele eines Künstlers. Seine Leidenschaft für Inneneinrichtung, Architektur und Malerei prägte das kreative Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin. In vielerlei Hinsicht erkannte er die Künstlerin in mir, bevor ich es selbst tat.


Wie sieht denn ein Tag in deinem Atelier aus?
Amna Elhassan
Mein erstes Atelier befand sich im Haus meiner Familie in Khartum. Sie überließ mir ein Zimmer, damit ich mich als Künstlerin etablieren konnte, und mein Vater half mir dabei, es als Atelier herzurichten. Das waren schöne Tage. Damals arbeitete ich etwa sieben Stunden täglich, und es blieb mir noch Zeit für meine Familie.
In meiner aktuellen Ausstellung „Resonance of Absence“, die bei basis e.V. Frankfurt zu sehen ist, zeige ich auch eine Aufnahme meines Ateliers in Khartum, nachdem es im Krieg beschädigt worden war. Angehörige der RSF (Rapid Support Forces) hatten die Einrichtung zerstört und meine Kunstwerke übermalt. Nachdem die Sudanesischen Streitkräfte die Kontrolle über Khartum übernommen hatten, kehrte mein Cousin in unser Stadtviertel zurück und schickte mir Fotos, die die Schäden an meinem Wohnatelier zeigten.
Seit April 2024 nutze ich ein neues Atelier bei basis e.V. Mein Tagesablauf hängt davon ab, wie intensiv ich mit Projekten beschäftigt bin. Meist aber beginne ich um 9 Uhr und arbeite bis 17 Uhr, mit einer Mittagspause gegen 12 Uhr. Manchmal kommen auch Besucher*innen zu mir ins Atelier – Freund*innen, Künstlerkolleg*innen, Kurator*innen und Galerist*innen.
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Zu deiner SCHIRN-Ausstellung 2022: Was waren die zentralen Elemente deiner künstlerischen Praxis? Und wie würdest du deine heutige Kunstpraxis beschreiben?
Amna Elhassan
In der SCHIRN habe ich an Gemälden und Druckgrafiken gearbeitet und die großformatige Wandmalerei „December“ gestaltet – bis heute das größte Kunstwerk, das ich je geschaffen habe. Gerade beschäftige ich mich mit einer umfassenderen Bandbreite künstlerischer Medien. Während meiner Zeit als Gastdozentin an der HFBK Hochschule für bildende Künste Hamburg hatte ich Gelegenheit, Studierende zu beobachten, die sich mit verschiedenen Bereichen der Kunst auseinandersetzten, was unglaublich inspirierend war.
Zurzeit arbeite ich mit Klang, Duft, Skulptur und Installation. In meiner aktuellen Ausstellung bei basis e.V. habe ich meine eigene Praxis um diese sensorischen Elemente erweitert, sodass meine Arbeiten das Publikum auf immersivere und vielschichtigere Weise ansprechen.



Woher weißt du, dass ein Werk fertig ist?
Amna Elhassan
In der Malerei fühlt sich ein Werk abgeschlossen an, wenn es farblich ausgereift ist, wenn die Idee eine Ausdrucksform angenommen hat, mit der ich zufrieden und von der ich überzeugt bin. Wobei es aber nicht immer notwendig sind, voll und ganz zufrieden zu sein. Denn wenn ich ein Werk immer wieder betrachte, kann es schwierig werden, zu einem objektiven Urteil zu kommen. Daher finde ich es auch so wichtig, mit Vorausplanung und in Etappen zu arbeiten. Erreiche ich dann die letzte Etappe meines Arbeitsplans, so ist das ein Signal für die Fertigstellung des Werkes.
Welche Metaebene verbindet deine Arbeiten?
Amna Elhassan
Von zentraler Bedeutung für mein Werk ist die Menschlichkeit. Ich beschäftige mich vor allem mit den Erfahrungen von Frauen und Kindern und empfinde eine tiefe Zuneigung für ganz gewöhnliche Menschen. Mit meiner Gemeinschaft verbindet mich ein starkes Gefühl der Leidenschaft und Zugehörigkeit. Daher ist die spirituelle Dimension auch immer in meiner Arbeit gegenwärtig – sie spiegelt die Emotionen, Beziehungen und Werte, die meine Welt prägen.


Was ist deine schönste Erinnerung im Zusammenhang mit Kunst?
Amna Elhassan
Da sind so viele schöne Erinnerungen, die sich mit Kunst verbinden. So verspüre ich jedes Mal Aufregung und Freude, wenn ich ein Werk abschließe. In besonderer Erinnerung ist mir die Fertigstellung von „December“ in der SCHIRN-Rotunde – das war ein wunderbarer Moment. Auch das Reisen und Kennenlernen verschiedener Kulturen über die Kunst schenkten mir viele unvergessliche Erinnerungen. Besondere Bedeutung haben für mich die Tage, die ich zusammen mit meinem Mentor Hatim Koko im Khartoum Art Training Centre verbracht habe, wo ich Zeichnen und Malen studierte. Doch meine schönste Erinnerung ist wohl die Zeit, als ich mein erstes Atelier im Haus meiner Familie eingerichtet habe, mit ihrer vollen Unterstützung. Das war ein tolles Gefühl.
Welches Kunstwerk hat dich in deinem Leben am stärksten beeinflusst?
Amna Elhassan
Ich denke, ich wurde von vielen Künstler*innen und Werken beeinflusst, nicht unbedingt von einem oder einer einzigen. In der Druckgrafik haben mich die sudanesischen Künstler*innen Mohammed Omar Khalil und Dar Alnaim inspiriert. In der Malerei und in Bezug auf Farbe lasse ich mich von den Werken meines Mentors Hatim Koko sowie von Salah Elmur, Kamala Ibrahim Ishaq, Jordan Casteel und Tschabalala Self anregen.
Die Verwendung von Duft in meiner Arbeit ist beeinflusst von Azza El Siddique und den Dufttraditionen, die im Leben sudanesischer Frauen verwurzelt sind. Ich erinnere mich auch, dass Jessica Stockholders Umgang mit Materialien mein Denken über Skulptur und Installation geprägt hat. Und während meines Lehrauftrags 2022 an der HFBK hat mich die Arbeit der Studierenden dazu inspiriert, neue Medien und Techniken zu erkunden.


Welchen Text (Gedicht, Essay, Roman usw.) sollten wir alle irgendwann einmal lesen?
Amna Elhassan
Dieser Tage kommt mir oft das Zitat „Am Ende reisen wir alle allein “ aus Tayeb Salihs Roman Zeit der Nordwanderung in den Sinn. Seit 2023 bin ich viel auf Reisen – meist allein und unter schwierigen Umständen –, bedingt durch die Vertreibung nach dem Krieg im Sudan.
Ich liebe es, die Werke von Tayeb Salih zu lesen. Eines meiner Lieblingsbücher ist Sains Hochzeit. Es schildert in sehr anschaulicher Weise das ländliche Leben im Sudan. Wann immer ich große Sehnsucht nach meiner Heimatstadt Shambat Elhilla habe, greife ich auf seine Bücher zurück.
Ich finde, jeder und jede sollte Tayeb Salih lesen. Er ist bekannt für seine Schilderungen kultureller Konflikte zwischen Ost und West. Seine Werke spüren sehr intensiv dem Trauma nach, das durch die europäische Moderne zur Kolonialzeit erlitten wurde.
Welche Ausstellung wirst du als Nächstes ansehen und an welchem Projekt arbeitest du aktuell?
Amna Elhassan
Es gibt viele Ausstellungen, die ich in Frankfurt besuchen möchte, besonders aber freue ich mich darauf, zu sehen, was Henrike Naumann und Sung Tieu für den deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2026 präsentieren werden. Derzeit bin ich in einem Postgraduiertenstudium an der HfG Offenbach eingeschrieben. Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf künstlerischen Produktionen, die sich mit Gewalt gegen Frauen in Zeiten von Krieg und Konflikten befassen.
Wenn du unbegrenzte Ressourcen hättest, welche Art von Kunstwerk würdest du dann gerne realisieren?
Amna Elhassan
Im Augenblick macht mir die Bildhauerei große Freude. Ich würde sehr gerne ein Denkmal im Sudan gestalten und es allen sudanesischen Frauen widmen, die während des Krieges Opfer von Gewalt waren. Ich stelle mir vor, dass es am Nilufer stehen würde – ein Denkmal, das genauso kraftvoll und überwältigend ist wie jenes, das ich für die SCHIRN geschaffen habe.
