Felipe Castelblanco, Borrachero Dreams (Brugmansia Versicolor, Tabanok), 2024, Fotografie
© Felipe Castelblanco, im Rahmen des Forschungsprojekts „Plants_Intelligence“

Natürlich schön und intelligent?
Faszination Pflanze

Das Museum Sinclair-Haus versammelt in der Gruppenausstellung „Unter Pflanzen“ bis zum 17. August künstlerische Positionen, die zu einer Neubewertung von Pflanzen als wahrnehmungs- und empfindungsfähige Wesen anregen. Nach diesem Ausstellungsbesuch blickt man auf das Pflanzenreich mit anderen Augen.

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Es ist ein warmer Frühlingstag und über dem strahlend blauen Himmel von Bad Homburg ziehen Amseln ihre Kreise. Ihr Gesang klingt wie ein Vorbote der sonnigsten Zeit des Jahres. Beim Betreten der Ausstellung „Unter Pflanzen“ im Museum Sinclair-Haus zwitschern immer noch Vögel. Fast könnte man meinen, ein paar davon hätten sich in die Räumlichkeiten verirrt. Tatsächlich handelt es sich jedoch um Hängepflanzen, die von dem Künstler*innenduo Scenocosme in eine interaktive Soundinstallation verwandelt wurden und die Besucher*innen unmittelbar dazu anregen, die Ausstellung mit allen Sinnen wahrzunehmen. In großen Buchstaben steht die Aufforderung an der Wand, die Pflanzen anzufassen. Sobald die Fingerkuppen das Grün berühren, ertönt der Vogelgesang. Das Kunstwerk unterstreicht damit gleich zu Beginn die These der Ausstellung, die an zwei Ausstellungskapiteln entlang verhandelt wird: Pflanzen werden hier als empfindungsfähige, vernetzte Lebewesen gesehen.

Scenocosme, Akousmaflore
Image via scenocosme.com

Berührungspunkte zwischen Mensch und Natur

In welchen Wechselbeziehungen stehen Mensch und Umgebung? Eine mögliche Antwort auf diese Frage bietet die avantgardistische Regisseurin Maya Deren, deren Schaffensphase vor allem in die 1940er-Jahre in New York fällt. In der Videoarbeit „A Study in Choreography for Camera“ von 1945 lässt die Künstlerin den Tänzer Talley Beatty durch vier verschiedene Natur- und Kulturräume tanzen: Wald, Wohnung, Museum und Landschaft. Dabei sind alle Szenen so zusammengeschnitten, dass der tanzende Körper jene vier Räume durchschreitet. Befindet sich der Fuß in einem Moment noch im Wald, so kommt er im nächsten bereits auf dem Fußboden einer Altbauwohnung auf. Derens Schwarz-weiß-Stummfilm verdeutlicht den Zusammenhang von Kultur- und Naturräumen, die in ihren Eigenschaften unterschiedlicher nicht sein könnten und doch alle miteinander sowie mit dem Körper des Tänzers verbunden sind.

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Die Künstlerin Kiki Smith greift wiederum das Thema der Metamorphosen auf. Ihre frühen Arbeiten sind geprägt von gesellschaftlichen Debatten der 1980er-Jahre, beispielsweise über AIDS. Später beschäftigt sie sich intensiv mit dem weiblichen Körper. Anfang der 1990er-Jahre begann Smith zudem, sich vermehrt mit Umwelt und Natur als schützenswerten Raum auseinanderzusetzen. Die Bronzefigur „FLOWER HEAD 2“ aus dem Jahr 2012 ist halb Gesicht, halb Blume. Während der Kopf dem menschlichen Antlitz eindeutig zugeordnet werden kann, ragen an der Stelle der Haare, dem Ohr, den Wangen und dem Kinn große Blütenblätter heraus. Die geschlossenen Augen der Skulptur vermitteln Harmonie, Ruhe und den Einklang zwischen Mensch und Natur. Mit ihren radikalen Darstellungen des menschlichen Körpers – verletzlich, vergänglich und biologischen Prozessen ausgeliefert – verweist die Künstlerin auf den Menschen, der, so wie der Titel der Ausstellung suggeriert, „Unter Pflanzen“ agiert.

Kiki Smith, Flower Head 2, 2012
© the artist, Image via fr.de

Pflanzen als Wahrnehmungs- und Handlungsträger

Die Videos der Interview-Serie „Plant Conversation“ sind im Rahmen des Forschungsprojekts „Plants_Intelligence. Learning Like a Plant“ (2022-2025) von Yvonne Volkart, Felipe Castelblanco, Julia Mensch und Rasa Smite entstanden, realisiert wurden sie am Institut Kunst Gender Natur Basel der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW. Dem Booklet der Ausstellung zufolge fragt das Forschungsprojekt „aus der Perspektive der Kunst, ob die Anerkennung vegetabiler Formen von Intelligenz zu anderen Methoden der Wissensgenerierung, des Zusammenlebens, der Züchtung und letztlich zu neuen, ‚intelligenten‘ Formen der Pflanzen und Agrarkultur führt“. In einem Interview spricht der Landwirt und Zoologe Hardlo Vallejo über den Amazonas und seine Farm „Jungla Amazónica“ im Südwesten Mexikos, auf der er Pflanzen des Amazonas anbaut. Die Pflanzen seien lebendig, so der Forscher. Sie wurden auf Erde gepflanzt, die nicht mit den richtigen Mineralien ausgestattet ist. Mit der Zeit bauen die Pflanzen das Ökosystem und damit auch die Erde, die sie brauchen, jedoch eigenständig auf. Sie reagieren auf ihre Umgebung und arbeiten miteinander, um sich gegenseitig am Leben zu erhalten. Seine Farm bezeichnet er als ein „kleines demonstratives Projekt“, das dem Wandel von einer kolonialen Kultur zu einer amazonischen Kultur diene.

Weiße Blumen mit grünen Blättern vor dunklem Hintergrund.
Rasa Smite und Raitis Smits, Solarceptors. Flower as Antenna and Attractor, 2024/25, VR-Installation (Studie)
© Rasa Smite & Raitis Smits, im Rahmen des Forschungsprojekts „Plants_Intelligence“
Illustration einer Pflanze mit rosa- und grünlichen Blättern und einem zarten Stängel.
Julia Mensch, Field Drawings, Kiwicha Aroma (Tilcara), Kreuzberg, 2024, Zeichnung
© Julia Mensch, im Rahmen des Forschungsprojekts „Plants_Intelligence“
Felipe Castelblanco, Borrachero Dreams (Brugmansia Versicolor, Tabanok), 2024, Fotografie
© Felipe Castelblanco, im Rahmen des Forschungsprojekts „Plants_Intelligence“

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Präsent ist der Amazonas auch in anderen Werken: In einem abgedunkelten Raum im oberen Stockwerk verhandelt Felipe Castelblanco die Allianzen von Heilpflanzen und Menschen im Amazonasgebiet anhand einer Installation, die aus zwei Filmen, einer Stoffblume und einem Naturquarz besteht. Für das Werk arbeitet er mit einem Netzwerk von indigenen Filmschaffenden zusammen, deren partizipatives Filmemachen dem Ausdruck ökologischer Gerechtigkeit dient. Oft greifen sie dabei auf das Wissen von Heiler*innen und Landverteidiger*innen zurück, die erläutern, inwiefern Pflanzen durch ihren Geruch, die Art der Einnahme oder ihre medizinische Wirkung Informationen weitergeben.

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Fast wie ein Baby, das man behutsam an seinem Körper trägt und in den Armen hält, zeigt die Fotografie „Die Erde halten“ eine männlich gelesen Person mit einem weißen Hemd, die ein Häufchen Erde hält. Die Arbeit von Lois Weinberger, der ein österreichischer Künstler war und maßgeblich die Debatte um „Kunst-Natur“ ab den 1990er-Jahren mitbestimmte, wirft mit simplen wie zärtlichen Mitteln die Frage auf: Wie behandeln wir die Erde, auf der wir leben?
Eine einfache Frage, die sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht.

„Unter Pflanzen“ zeigt auf zwei Etagen und in zwei Kapiteln einerseits die Vielfalt von Pflanzen und fordert die Besucher*innen heraus, sich genauer auf sie einzulassen, sie zu studieren und in den verschiedensten Formen und Darstellungen zu begegnen. Andererseits ergründet die Show die Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeiten, also pflanzliche „Intelligenz“, die in der Wissenschaft kontrovers diskutiert wird. Eines steht fest: Die Natur im Bad Homburger Schlossgarten sieht man nach dem Ausstellungsbesuch durch andere Augen an.

Lois Weinberger, Die Erde halten, 2010, Fotografie
© Courtesy the artist and Galerie Krinzinger / Photo Paris Tsitsos

Unter Pflanzen

Museum Sinclair-Haus (Bad Homburg v. d. Höhe)
bis 17. August 2025

Weiterlesen auf dem SCHIRN MAG

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