Der Verfall eines Versprechens
10.10.2025
4 min Lesezeit
Mit seriell gebauten Siedlungen wollte die DDR die Wohnungsnot beheben. In Potsdam blicken Künstlerinnen und Künstler auf die Faszination und die Schattenseiten des Plattenbaus.


Die Ausstellung zeigt, wie sehr Plattenbauten Künstlerinnen anregen und herausfordern
Die seit den 1970er-Jahren in der DDR und anderen Ländern des Ostblocks großflächig errichteten Plattenbausiedlungen standen anfangs für das Versprechen der sozialistischen Machthaber, erschwinglichen Wohnraum für möglichst viele Menschen zu schaffen. Nicht erst die gewalttägigen Ausschreitungen gegen das von Migranten bewohnte „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 führten das Scheitern auf der grünen Wiese errichteter, gleichförmiger Häuserblöcke vor Augen.
Der künstlerische Blick auf das Phänomen und Biotop Plattenbau steht im Fokus der vom Kunstkritiker Kito Nedo kuratierten Ausstellung „Wohnkomplex“. Mehr als passend erscheint der Ausstellungsort – das im ehemaligen DDR-Terrassenrestaurant „Minsk“ untergebrachte, seit 2022 von der Hasso Plattner Foundation betriebene DAS MINSK Kunsthaus.
Wie sehr Plattenbausiedlungen Künstlerinnen und Künstler anregten und herausforderten, zeigen Uwe Pfeifers in den 1970er-Jahren Halle/Saale entstandenen Gemälde. Nüchtern und präzise fängt er die unheimliche und anonyme Anmutung solcher Siedlungen ein. Hin und wieder schafft es Pfeifer jedoch, der zweckmäßigen Monotonie des Neubaugebiets einen Hauch von Romantik abzutrotzen, etwa wenn er einen Sonnenuntergang über den Plattenbaudächern ins Bild setzt. Sein inmitten von Platte und „Trabis“ angesiedelter „Kinderfasching im Neubauviertel“ lässt an die grotesken Karnevalsbilder des Belgiers James Ensor denken.



Biennale-Künstlerin Henrike Naumann fängt die krassen Widersprüche der Neunziger ein
Ganz und gar unsentimental blickt indes Henrike Naumann auf das Leben im Plattenbau in der Nachwendezeit. Ihre Rauminstallation „Triangular Stories (Amnesia & Terror)“ aus dem Jahr 2012 stellt zwei konträre jugendliche Lebenswelten gegenüber: Hier Raufasertapete und Einrichtung vom Möbeldiscounter, dort postmoderne Designobjekte und Stilzitate; auf der einen Seite „Reichskriegsflagge“ und Baseballschläger, auf der anderen Seite Party-Exzesse auf Ibiza.
Auf diese Weise fängt Naumann, die 2026 gemeinsam mit Sung Tieu den Deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale bespielen wird, die krassen Widersprüche der 1990er-Jahre zwischen „Baseballschlägerjahren“ und „Spaßgesellschaft“ ein. Der Sozialismus hatte abgewirtschaftet, „die Platte“ galt als Symbol des sozialen und baulichen Verfalls. Und auch wenn die Potsdamer Ausstellung streng auf die (ehemalige) DDR fokussiert bleibt: Die Bilder der täglich von russischen Raketen und Drohnen getroffenen Plattenbauten in ukrainischen Städten wollen dem Besucher dieser eindrücklichen Ausstellung nicht aus dem Kopf gehen.



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