About Time: Mit der Künstlerin Klaudia Schifferle
18.11.2025
8 min Lesezeit
Klaudia Schifferle ist nicht nur Musikerin, sondern auch Malerin, Bildhauerin, Texterin und Zeichnerin. Ein Gespräch in ihrem 70. Lebensjahr über Figuren und Material, Bildtitel als Poems und warum die Frauenpunkband keine Lust hatte, immerzu Fragen über Feminismus zu beantworten.
„Ich gebe meinen Bildern gern noch einen Refrain mit auf den Weg“
Klaudia Schifferle
Liebe Frau Schifferle, 1977 haben Sie gemeinsam mit einer Freundin KLEENEX gegründet, bis heute die bekannteste Schweizer Post-Punk-Band mit internationalem Erfolg. Zu diesem Zeitpunkt gab es gerade seit sechs Jahren das Frauenstimmrecht im Land. Wie hat sich das damals angefühlt als junge Punkmusikerin in der Schweiz?
Klaudia Schifferle
Ich konnte als Mädchen sehr frei und wild aufwachsen und habe mich immer für Musik interessiert, acht Jahre Ballettstunden gehabt und frühe Bühnenauftritte. Darum war dies damals ein sehr lustvoller Entscheid mit meiner Freundin Lislot Ha, spontan die Frauenband KLEENEX zu gründen.
Haben Sie sich als feministisch definiert? Oder gab es andere Zuordnungen, die wichtig waren?
KlauDia Schifferle
Ich bin und war immer feministisch unterwegs.
Die Band entstand Ende der 1970er-Jahre, in einer anderen Phase des Feminismus, vor allem, was die Schweiz betrifft. Als Frauenpunkband waren wir damals sehr auffällig und haben uns „extra“ nicht explizit als Feministinnen erklärt. Wir wollten für unsere Musik wahrgenommen werden und nicht dauernd die Fragen der Journalist*innen über das Frausein, den Feminismus, beantworten. Wir wollten handeln, unsere Musik spielen. Im englischen Sprachraum wurde unsere Musik damals bereits offener und wir normal als Band wahrgenommen.
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Welche Rolle hat die Musik in Ihrer künstlerischen Praxis gespielt – waren das voneinander getrennte Sphären, ist das zusammengeflossen?
Klaudia schifferle
Manchmal waren dies getrennte Räume, manchmal gleichzeitige und oft spielten und spielen alle Sparten miteinander und ineinander. Oft vermischen sie sich und es entstehen für mich spannende neue Inhalte.
Sie sind dann erst nach Mailand und 1991 in ein Bergdorf im Tessin gezogen, seit 2002 wohnen Sie wieder in Zürich. Wie haben diese sehr unterschiedlichen Orte Ihre Arbeit beeinflusst?
Klaudia schifferle
Natürlich beeinflussten mich die verschiedenen Orte, wo ich gelebt und gearbeitet habe. In Zürich erlebte ich meine Kindheit und die frühen Jahre als Künstlerin. Mit 17 Jahren entschied ich mich für diese Reise, Künstlerin zu sein. Mailand war die erste große Stadt, wo ich allein, in einem für mich neuen Sprachraum und einem riesigen Atelier arbeiten konnte. Das war eine große Befreiung für mich, mir selbst und meiner Arbeit in einer neuen Tiefe zu begegnen. Danach habe ich zwölf Jahre ziemlich abgelegen in einem großen Haus im Tessin im Wald gelebt. Das war spannend und intensiv für meine Arbeit. Plötzlich in dieser schönen, subtropischen Natur zu sein. Dies hat meine Sinne und meine Wahrnehmung verfeinert.
Viele Ihrer Bilder, Grafiken, Skulpturen drehen sich im weiteren Sinne ums Menschsein, unter den spezifischen und oft komplizierten Bedingungen, in denen sich das eben abspielt. Gesichter, Köpfe und Fratzen kommen häufig vor. Das ist ein sehr großes und zugleich sehr konkretes Thema. Wie hat sich das für Sie herauskristallisiert?
Klaudia schifferle
Zu Beginn meiner Arbeit, in den 1970er-Jahren, waren es die Fotografie und kleine Texte, comicartige Zeichnungen. Dann ab 1979 kamen die ersten Lack- und Gouache Malereien, Zeichnungen dazu. Diese Arbeiten waren eher abstrakt, eine Art Zeichen. Es entstand ein eigenes Vokabular. Dann kam das Figürliche, das Körperliche dazu. Thema: als Mensch hier leben. Die Gefühle, Ausdruck finden für die Energien der aktuellen Zeit. Es gab größere figürliche Phasen, dann eher wieder abstraktere.
Wichtig war und ist mir immer die Auswahl des Materials für die Arbeitsphase, welches energetisch mit der aktuell wahrgenommenen Zeit korrespondiert. Auch in einem poetischen Sinne!
Apropos Poesie: Ihre Bilder tragen teils sehr prägnante Titel. Welche Rolle spielen die für die jeweilige Arbeit?
Klaudia schifferle
Titel sind für mich oft kleine Poems. Sie fallen mir während der Arbeit in meinen Geist. Oft kommen sie bereits vor dem Erscheinen des Werks, kreisen in mir und werden dringlich. Oder ich gebe den Skulpturen und Bildern einfach noch einen guten Refrain mit auf den Weg.
Diese Gesprächsserie dreht sich nicht zuletzt um Zeitverläufe, und wie sich das eigene Arbeiten mit verschiedenen Lebensphasen verändert. Wie war das, mit 70 Jahren zum ersten Mal auf der Art Basel vertreten zu sein – und dann auch mit recht frühen Arbeiten?
Klaudia schifferle
Über die diesjährige Präsentation an der Art mit meinen frühen 80er-Jahre-Werken habe ich mich sehr gefreut!
Ich war aber nicht zum ersten Mal auf der Art Basel vertreten. Ich hatte bereits in den frühen 1980er-Jahren eine Einzelpräsentation. Ich denke, das war so 1982, 1983… Diese Präsentationen wurden damals anders genannt. Ich weiß nicht mehr, wie sie hießen. Und 2011 hatte ich eine größere Einzelpräsentation bei der Galerie Ammann Fine Art.
Hat man die größte Schweizer Kunstmesse aus der Zürcher Subkultur kommend eigentlich so ein bisschen argwöhnisch beäugt, oder war das spannend? Heute scheint es da fast nurmehr pure Affirmation zum Kunstmarkt zu geben.
Klaudia schifferle
Dies hat sich verändert, stimmt schon. Alles hat sich sehr verändert. Ich persönlich habe das nicht argwöhnisch angeschaut. Mir war früh bewusst, dass dies ein wilder Ritt ist – mit der Kunstwelt! Ebenso wie im verrückten Musikbusiness. Polaritäten eben.
In diesem Sommer haben Sie in München ganz neue Arbeiten auf Regenbogenpapier gezeigt. Nehmen wir noch einmal Farbe und Material, neben der Figur: Da passiert ja viel, auch sehr Unterschiedliches, wenn man sich Ihre Arbeiten aus mehreren Jahrzehnten anschaut.
Klaudia schifferle
Ich arbeite seit über 50 Jahren an meinem Werk. Materialien sind mir wichtig und geben Ausdruck zur jeweiligen Zeit. Da sie in sich aus vielen kleinsten Teilen bestehen, eine Energie tragen und sie ausstrahlen. Es geht um die Berührung, Sinnlichkeit, den Geruch und die Optik. Für eine neue Arbeitsphase wähle ich neue Materialien. So ist es für mich spannend, lustvoll und herausfordernd.
Das Figürliche ist nicht in allen Werken von mir verschwunden. Sie tauchen immer wieder auf. Im Moment mehr in den Skulpturen, wenn auch in reduzierter Form. Und in meinen, seit 2020 entstehenden Spraybildern. Ich arbeite an vielen verschiedenen Werkgruppen weiter. Den Figürlichen ebenso wie den Abstrakteren. Die Arbeiten entstehen zeitlich nicht linear. Oft gibt es Pausen und sie werden dann wieder neu aufgegriffen.
Was treibt Sie aktuell um?
KLaudia schifferle
Ich habe in den letzten beiden Jahren an vielen Ausstellungen teilgenommen und freue mich gerade über einen Zeitraum, wo ich mich ganz meinen neuen Werken widmen kann. Im Moment sind dies vor allem Skulpturen, Spraybilder und neue Papierarbeiten.
Und spielt die Musik eigentlich noch eine Rolle, im Atelier oder außerhalb?
Klaudia schifferle
Jetzt komponiere ich an kleinen Songs, nehme Beats auf und schreibe Texte. Die Musik wird mein Leben und meine Arbeit immer begleiten.
