Sind Künstlerinnen und Künstler besonders kreativ wenn es ums Kochen geht? Dieses Mal in der Patchwork-Küche des Künstlertrios zwischen Tischlandschaften, Ottolenghi und Meißner Porzellan.

Alice Waters, Köchin und Mitgrün­de­rin des berühm­ten kali­for­ni­schen Slow-Food-Restau­rants Chez Panisse, beschreibt die Bezie­hung zwischen Kochen und Kunst folgen­der­ma­ßen: „Die instink­tivste und buch­stäb­lichste Verbin­dung, die wir herstel­len, ist die mit unse­rem Essen… Der Akt des Kunst­schaf­fens und der des Kochens stim­men in vieler­lei Hinsicht über­ein, sie sind beide reak­tiv und krea­tiv, sie imitie­ren sich gegen­sei­tig und passen sich einan­der an.“ 

Exis­tiert demnach eine Verbin­dung zwischen dem, was in den Ateliers von Künst­le­r*innen passiert, und dem, was in ihren jewei­li­gen Küchen vor sich geht? Finden sich zwischen Töpfen und Tellern Bezüge zu ihrem Werk und ihrer Persön­lich­keit wieder? Sind Künst­ler*innen beson­ders krea­tiv, wenn es um den alltäg­li­chen Akt des Kochens geht? Anhand von Fotos und Bestands­auf­nah­men ihrer Küchen sowie Anek­do­ten rund um ihre Essens­ge­wohn­hei­ten geben wir Einbli­cke in die kuli­na­ri­schen Lebens­wel­ten bekann­ter Künst­le­r*innen. 

Immer wieder packt das Geschwisterpaar Ramin und Rokni Haerizadeh gemeinsam mit Hesam Rahmanian die Sehnsucht nach den Gerichten und Geschmäckern ihrer Heimat Iran. Seit elf Jahren lebt das Künstlertrio in Dubai im Exil, über tausend Kilometer Luftlinie von ihrer Herkunftsstadt Teheran entfernt. Sie siedelten 2009 in die Vereinigten Arabischen Emirate über, nachdem die gesellschaftskritischen Arbeiten der zwei Brüder über eine Gruppenausstellung in der Londoner Saatchi Gallery in den Fokus der iranischen Regierung gerieten und sie von Familie und Freunden vor einer Rückkehr in den Iran gewarnt wurden. Hesam Rahmanian, ein Freund aus der Jugendzeit, folgte den beiden kurz darauf nach Dubai, und seitdem leben, arbeiten und kochen die drei gemeinsam unter einem Dach.

In der bunten, geräumigen Küche ihres Hauses im Stadtteil Al Barsha brodelt täglich etwas auf dem Herd. Oft sind es traditionell persische Gerichte wie gefüllte Auberginen, Linseneintöpfe, Couscous oder Safran-Hähnchen, deren würzige Aromen das offene Wohn- und Esszimmer durchfluten. Als Kind stand Rokni häufig in der Küche seiner Großmutter, beobachtete sie beim Kochen und schaute mit ihr Kochsendungen, wobei sie lautstark die Fernsehköche anspornte, doch bitte an Tempo zuzulegen. Zu Hause studierten die Brüder mit großem Interesse erst die Abbildungen und mit fortschreitender Lesekompetenz auch die Rezepte des Kochbuchklassikers „Honar-e Aashpazi“ („Die Kunst des Kochens“) der Iranerin Roza Montazemi. Heute steht bei den Künstlern nicht Montazemi im Regal, sondern Yotam Ottolenghi, der mit seiner kreativen israelischen Fusionsküche eine Referenz für ambitionierte Hobbyköche weltweit geworden ist.

Im Hause Rahmanian-Haerizadeh treffen unerwartete Elemente aufeinander: Sie spicken klassische Gerichte aus dem Iran mit lokalen Gewürzen und variieren sie mit Zutaten, die für die persischen Küche ungewöhnlich sind. So kreiert das Kollektiv neue, radikal persönliche Gerichte, ein Patchwork ihrer kulinarischen und kulturellen Erfahrungen. Die starke Präsenz der indischen Küche in ihrer Wahlheimat Dubai spielt dabei ebenso eine Rolle wie die von der Mutter geerbten Faszination für die britische Hefe-Würzpaste Marmite, mit der die Haerizadeh-Brüder schon als Kinder in ihren Pausenbroten konfrontiert wurden.

Auch die extremen klimatischen Bedingungen am persischen Golf haben auf dem Speiseplan des Trios Spuren hinterlassen. Seit sieben Jahren bereitet Rokni täglich um fünf Uhr morgens einen Saft aus Koriander, Gurke, Ingwer und Zitronensaft zu, der nach ayurvedischen Prinzipien eine kühlende Wirkung haben soll. Darüber hinaus sind viele kreative Abweichungen von Standardrezepten aus der Motivation heraus geboren, eine gesündere Version ihrer Lieblingsgerichte zu entwickeln. Den klassischen Tahchin, ein Safran-Reiskuchen, bereitet Ramin zum Beispiel mit Quinoa zu – ein radikaler Schritt, wenn man bedenkt, dass Reis als Herzstück der persischen Küche gilt.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Haerizadeh und die zwei Rahmanian-Brüder aus den verschiedensten Inspirationsquellen schöpfen, um ihre kulinarischen Collagen zu kreieren, erinnert stark an ihre künstlerischen Praxis. Hier vereint das Künstlerkollektiv spielerisch kunsthistorische Referenzen und Popkultur, persönliche Lebensgeschichte und beißende Gesellschaftskritik. In ihren Ausstellungen treffen Malerei, Poesie, Performance und Skulptur aufeinander, um eine raumgreifende, vielschichtige Narration zu bilden. Der großzügige Einsatz von leuchtenden Farben und Mustern in ungewöhnlichen Kombinationen erzeugt dabei eine starke visuelle Anziehungskraft – ein Phänomen, das man auch innerhalb ihrer vier Wände beobachten kann.

Von der Kücheneinrichtung bis hin zum selbstbemalten Esstisch findet man im ganzen Haus Querverweise. Die drei leben in einer Art permanenten Künstlerresidenz, in der Werk und Alltag fließend ineinander übergehen. Gearbeitet wird überwiegend im Esszimmer, wo sie mittags einfach umgedrehte Teller zum Schutz der Farbe auf die noch nassen Bilder stellen, um Platz für den dampfenden Eintopf zu machen. Sogar das tägliche Decken des Tisches wird zum kreativen Akt: Sie bauen aufwendige Tischlandschaften, bei denen Speisen, Geschirr und Blumengestecke eine durchdachte Gesamtkomposition bilden, die sie „instant installations“ nennen. Auf Tischen und Anrichten verteilte Obstschalen setzen Farbakzente, die je nach Saison variieren, inspiriert von der japanischen Ikebana-Kunst.

Die umfangreiche Geschirrsammlung der Künstler ist ein eigenes Kapitel wert: Hier sind von Meissner Porzellantellern mit zarten Blumenmotiven über Künstlereditionen, wie dem „Seder Plate“ von Nicole Eisenman, und traditionell marokkanischem Geschirr bis hin zu Jubiläumstellern des britischen Königshauses die unterschiedlichsten Stile vertreten. Als künstlerisches Medium tauchen Teller immer wieder in ihrem Werk auf: Ob handbemalt und auf ein Stahlgestell montiert, wie in der Skulptur „Alluvium, March–June 2020“ (in der aktuellen Schirn-Ausstellung zu sehen) oder in Form einer Tapete, auf der Schnappschüsse von Essensresten auf Tellern mit dem Antlitz von Queen Elizabeth humorvolle Kompositionen bilden.

Kochen ist für Rokni, Hesam und Ramin Ausdruck ihrer kulturellen Identität, kreativer Akt und fester Bestandteil ihres Zusammenlebens. Seit sieben Jahren essen sie jede Mahlzeit gemeinsam, oft in Begleitung von Freunden oder Künstler*innen, mit denen sie kollaborieren. Wie im Iran üblich, kochen sie immer ein paar Portionen mehr als nötig, falls unerwarteter Besuch auftaucht.

Um die passenden Zutaten für ihre Familienrezepte zu finden, nehmen die drei auch mal eine längere Strecke auf sich. Im Supermarkt des iranischen Krankenhauses, eine halbe Autostunde von ihrem Haus entfernt, finden sie fast alles, was ihr Herz begehrt, von getrockneten Kräutern über Käsesorten aus dem Nordwesten Irans bis hin zu speziellen Trockenfrüchten. Persisches Brot kaufen sie bei einem iranischen Bäcker in ihrer Nachbarschaft. Nur das populäre Nan-E Barbari, ein traditionelles Fladenbrot mit Rillen, ist in Dubai partout nicht aufzufinden. Abhilfe schafft die Mutter von Ramin und Rokni, die das Brot haufenweise gefroren in ihrem Koffer mitbringt, wenn sie zu Besuch kommt. Dann wird sie kurzzeitig zum vierten Mitglied des Kollektivs, näht Stoffe für Skulpturen zusammen, malt, zeichnet und hilft bei den Vorbereitungen für anstehende Ausstellungen. Ihre einzige Bedingung dafür: jeden Tag bekocht zu werden.

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