Ein Stadtspaziergang am Main: Verkehr, Fahr­rad­klin­geln, laute Passan­ten. Doch plötz­lich erklingt Chorgesang vom Wasser aus. Ein Blick auf Emeka Ogbohs neues Projekt in Frankfurt.

Wer am Wochenende in Frankfurt einen ausgediegenen Mainspaziergang macht und etwas Glück mitbringt, der könnte vielleicht Folgendes beobachten: Durch den üblichen Innenstadtlärm von fahrenden Autos, klirrenden Fahrradklingeln, sich lauthals unterhaltenden oder kichernden Passanten erklingt plötzlich vom Wasser her aus einiger Entfernung eine Gesangsstimme. Es gesellt sich eine weitere dazu, bis ein ganzer Chor einsetzt und schließlich ein lieblich klingender Choral erklingt. Wer sich die Zeit nimmt, die Schallquelle ausfindig zu machen, entdeckt dann womöglich ein langsam vor sich hintreibendes, in hoffnungsvollem Grün erstrahlendes Boot auf dem Main.

Gleich einer in alle Himmelsichtungen positionierten Chorgruppe ist es mit unzähligen Lautsprechern bestückt, aus denen die himmlisch anmutenden Schallwellen geduldig in die Stadtkakophonie gesendet werden. „This Too Shall Pass“, so der Titel der Klanginstallation, die der nigerianische Künstler Emeka Ogboh noch bis Anfang Oktober in Frankfurts Innenstadt präsentiert.

Emeka Ogboh beschäftigt sich mit der Allge­gen­wart von Klän­gen

In seinen künstlerischen Arbeiten beschäftigt sich Ogboh immer wieder mit der im Essay „Reading the Sonoric Landscape“ von Musikwissenschaftler Richard Leppert beschriebenen Allgegenwart von Klängen. In Stücken wie „Lagos-Oshodi“ (2011) oder „Lagos State of Mind“ (2012) wird der Stadtlärm bestehend aus Straßengeräuschen, technischen Geräten oder dem Stimmwirrwarr der Bewohner*innen der Metropole zu einem eigenen Instrument, in der Soundinstallation „Market Symphony“ (2015) verfrachtet Ogboh die Klangwelt eines weitläufigen Marktes in Lagos in die ansonsten verstummten Räume eines White Cubes.

Emeka Ogboh, Foto: Diana Pfammater, Image via www.thistooshallpass.site

Immer öfter auch beschäftigen sich seine Arbeiten expliziter mit Themen wie Migration und kultureller Identität: In seinem „The Song of the Germans (Deutschlandlied)“ (2015), präsentiert auf der Biennale in Venedig, ließ er die deutsche Nationalhymne von einem Chor afrikanischer Einwanderer in deren jeweiliger Landessprache singen, während auf der letzten Documenta ein eigens gebrautes Bier – aromatisiert mit Chili, Ingwer und Honig als Rückgriff auf migrantische Geschmackssehnsüchte – von den Besucher*innen goutiert werden konnte.

Für „This Too Shall Pass“ kommissionierte der Künstler bei der nigerianischen Poetin Nnenna Ihebom und dem ebenfalls nigerianischen Komponisten Jude Nwankwo die gleichnamige Hymne. In Vorbereitung hierauf hatte sich Emeka Ogboh mit den Schlagwörtern des Jahres 2020 auseinandergesetzt, auf die Ihebom wiederum in ihrem Text zurückgreift: Von Corona-Virus und Lockdown ist dort die Rede, Rezession und Zoom-Meetings. 

Aber auch andere prägende Themen des letzten Jahres wie Rassismus, BLM, Brexit, Verschwörungsideologien und natürlich Donald Trump spielen eine prominente Rolle. Die Hymne erinnert an Kirchenlieder und Spirituals und folgt in den Strophen so auch einem klassischen Call-and-Response-Schema, bis im Refrain der gesamte Chor die gleichwohl tröstliche wie auch diffizile Botschaft „This too shall pass“ in einer mehrstimmigen Homophonie erklingen lässt. Aufgenommen wurde das Stück sowohl auf Englisch, der nigerianischen Sprache Igbo als auch Deutsch, in Zusammenarbeit von Chören in Lagos und Frankfurt. Die Schlagwörter des Jahres 2020 übersetzte Emeka Ogboh parallel in Symbole, die er im Folgenden in Nigeria von traditionellen Igbo-Weberinnen in farbenfrohe Akwétè-Stoffe einweben ließ.  

Die Schlag­wör­ter des Jahres 2020 über­setzte Ogboh in Symbole

Die geheimnisvollen Symbole tauchen nun in der gesamten Frankfurter Innenstadt auf Plakaten auf und schmücken auch die Lautsprechergruppen, die den Choral in einer Covid-maßnahmenkonformen Weise als Schallwellen in die Metropole aussenden. Die Hymne wird am Wochenende auf dem Main in die Stadtlärm-Klangkulisse eingewebt, während man sie unter der Woche auch an der Fried-Lübbecke-Anlage oder aber – in sakralerer Atmosphäre – in der Dreikönigskirche hören kann. Dass die Botschaft „This Too Shall Pass“ auch ambivalente Untertöne enthält und nicht nur rein tröstlich zu verstehen ist, ist Emeka Ogboh dabei durchaus bewusst.

EMEKA OGBOH: THIS TOO SHALL PASS, FOTO: SANDRA DOELLER, Image via www.thistooshallpass.site

„Alles geht vorbei, nicht nur das Schlechte, auch das Gute. Nichts bleibt, wie es ist“, erklärte er unlängst in einem Interview. Und so scheinen auch die verschiedenen kulturellen Referenzen – die Traditionen der Igbo, ihre Akwétè-Stoffe, diverse Landessprachen, afrikanische wie europäische und übergeordnet kirchliche Chor-Traditionen – in „Nichts bleibt, wie es ist“ aufzugehen, indem Ogboh sie ineinander verwebt, zueinander in Bezug stellt, und hierdurch etwas Neues formt. Etwas, das von jedem einzelnen Mitwirkenden mitgeprägt wird und nie in einem finalen Zustand münden kann, sich stets im Austausch befindet. „This too shall pass“ bedeutet also auch: „Alles macht weiter“. Wie es einst beim Dichter Rolf Dieter Brinkmann so treffend hieß: „die Plakate, Bauzäune und Verbote machen weiter, […] die Innenstadt macht weiter, die Vorstädte machen weiter … Auch alle Fragen machen weiter, wie alle Antworten weitermachen.“

Alles geht vorbei, nicht nur das Schlechte, auch das Gute. Nichts bleibt, wie es ist

Emeka Ogboh
SCHIRN TIPP FRANKFURT

This Too Shall Pass

Bis 3. Oktober 2021, zum Projekt gehört ein umfangreiches Begleitprogramm, das auch Spaziergänge durch den Frankfurter Stadtraum und DJ-Sets mit dem Künstler umfasst

Programm & Infos zur Ausstellung