Von Produktionsbedingungen bis hin zu Ideologien: Kein Bild entsteht ohne Kontext. Dies machen die Künstlerinnen Sara Cwynar und Sophie Thun in einer Ausstellung auf ganz unterschiedliche Weise deutlich.

Wie ein Scanner fährt die Kamera über die Dinge und Abbildungen von Dingen, die sich auf transparenten Plexiglasbahnen vor ihr ausbreiten. Fährt ab, stockt zwischendurch, und am Ende der Warenpräsentation angekommen, fährt sie wieder zurück. Nach und nach tun sich weitere Ebenen auf, unter den Dingen liegt eine Etage mit zusätzlichen Dingen, das Präsentationskonstrukt wird komplexer, der Blick der Videokamera aber bleibt derselbe, fest in seiner Laufbahn verankert. 

Man will sie haben, die Objekte der schönen Warenwelt, die sich hier streng vertikal unter einem auftun, die als geschichtete und akkumulierte Bilder nochmals attraktiver werden, ohne so genau zu wissen, wozu sie überhaupt dienen sollen. Am Ende liegt eine Person, die sich später als die Künstlerin Sara Cwynar herausstellt, darunter, eingequetscht unter einer weiteren Plexiglas-Bahn.

Cwynar bringt das mensch­li­che Begeh­ren der Dinge in ihre Bilder 

Cwynar ist eine Meisterin darin, das menschliche Begehren der Dinge in Bilder zu bringen, die zugleich selbst Objekte des Begehrens werden. Ihre hoch artifiziellen Arrangements, von Collage oder Assemblage bis zur dreidimensionalen Konstruktion, rufen archaische Verhältnisse wach, die zugleich von der ganz akuten, hypermodernen Welt handeln, aus der heraus sie entstehen. Und doch muss man sich beim Anblick von Cwynars Arbeiten fragen: sind das hier tatsächlich bloß die Auswüchse des vielgeschmähten Spätkapitalismus mit all seinen Begleiterscheinungen, der unser fetischhaftes Verhältnis zum Objekt begründet, oder schauen wir hier einem viel tiefergehenden, eben archaischen Bedürfnis bei der Entfaltung zu, das ebensolche Verhältnisse erst hervorgebracht hat?

Sara Cwynar, Sahara, 2020, Courtesy the artist
Ausstellungsansicht Kunststiftung DZ BANK, 2021, Foto: Norbert Miguletz

In den USA werden die Arbeiten der 1985 geborenen Kanadierin in zahlreichen Magazinen und Ausstellungen gezeigt, auch im MoMA war sie schon zu sehen. Jetzt zeigt die Ausstellungshalle der Kunststiftung DZ Bank Arbeiten von Sara Cwynar und Sophie Thun in einer Doppelausstellung. Beide sind Preisträgerinnen des Förderstipendiums 2019/2020, dessen Ergebnisse pandemiebedingt erst in diesem Jahr präsentiert werden. Wenngleich beide Werke auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten – die prächtige, oft nostalgische Farbigkeit und das überlagernde Arrangement bei Cwynar, das nüchterne Schwarz-Weiß und der streng konzeptuelle, immergleiche Bildaufbau bei Thun –, so weisen sie doch starke Gemeinsamkeiten auf in ihrem kühnen Ansatz, die Umstände der Bildproduktion selbst sicht- und nutzbar zu machen.

Neue Bilder herzustellen, interessiert Thun eigentlich gar nicht

Dazu passt, dass Sophie Thun – die 1985 in Frankfurt geboren wurde, in Polen aufgewachsen ist und erst Malerei bei Daniel Richter in Wien studierte, bevor sie eine Dunkelkammer fand und sich ausschließlich der Fotografie widmete – gleich zu Beginn der Ausstellung erklärte: Bilder zu produzieren, also, neue Bilder herzustellen, interessiere sie eigentlich gar nicht besonders. Sie meint damit in dem Fall vor allem die Motive, die im Alltag für gewöhnlich mit dem Bild gleichgesetzt werden. Denn die Arbeit in der Dunkelkammer, mit analogem Material, führt sie bisweilen obsessiv aus.

Sara Cwynar, Red Rose II, 2020, aus der Serie: Marilyn, Courtesy the artist
Sara Cwynar, Hands, 2019 / 2020, Courtesy the artist

Sophie Thuns Bilder entstehen immer aus ganz konkreten, zwingenden Umständen (die sich die Künstlerin freilich oft selbst auferlegt): Für „All Things In My Apartment Smaller Than 8 x 10” hat sie jeden einzelnen Gegenstand ihrer Einzimmerwohnung ausbelichtet, der auf besagtes Format eines Großformatnegativs passt. Die so entstandenen Negative wurden dann wiederum als Fotogramm respektive Kontaktkopie ausbelichtet – am Rand eingefasst von den Händen der Künstlerin, die stets in unterschiedlichsten Versionen auf ihren eigenen Bildern auftaucht, wenn sie den Moment der Bildwerdung selbst dokumentiert. Über 600 einzelne Fotogramme hat Sophie Thun auf diese Weise angefertigt – eine Arbeit, die unter normalen Umständen, also ohne Förderung und vielleicht auch ohne Lockdown, der die Produktion in dem Fall begünstigte, „nie im Leben finanzierbar wäre“, wie sie erklärt. Analoge Fotografie ist teuer.

Thun bringt scherzhaft das Motiv des „Innenportrait“ aus Thomas Manns Zauberberg an, womit ein Röntgenbild der Protagonistin Madame Chauchat gemeint ist. In jedem Fall, sagt die Künstlerin, handele es sich hier um ihre bisher wohl persönlichste Arbeit. Man erfährt eine ganze Menge über die Urheberin dieser Bilder, die sich in Stapeln, fein sortiert nach Objektart, auf dem Boden der Ausstellungshalle ausbreiten. Es sind Bücher auf Polnisch, Deutsch und Englisch dabei, Notizzettel, Handschuhe, Krimskrams.

Sophie Thun, All things in my apartment smaller than 8x10", 2020, Courtesy the artist
Sophie Thun, All things in my apartment smaller than 8x10", 2020, Courtesy the artist
Sophie Thun, All things in my apartment smaller than 8x10", 2020, Installationsansicht Kunststiftung DZ BANK, 2021, Foto: Norbert Miguletz

Thun und Cwynar an die Seite gestellt wurden drei weitere Künstler*innen, die auf der Short List zum Förderstipendium standen und deren Ansätze sich grob ebenfalls als eine Sichtbarmachung von Umständen beschreiben ließen. Ob wir, die bildergefräßige Gemeinschaft, denn alle wieder ins Mittelalter zurückwollten, fragt Christina Lebert, Direktorin der Kunststiftung DZ Bank, beim Ausstellungsrundgang rhetorisch, aber durchaus dringlich gemeint. Kein Bild entsteht ohne Kontext, doch der benötigt, neben Zeit und Hingabe, auch eine räumliche Distanz. Alle Arbeiten eint ihr aufgeklärtes und aufklärendes Verhältnis zum Bild, das dann wiederum selbst recht bestechende Bilder hervorbringen kann.

Alle Arbei­ten eint ihr aufge­klär­tes und aufklä­ren­des Verhält­nis zum Bild

Wie bei dem Kölner Künstler Philipp Goldbach, dessen skulpturale Fotoarbeit aus 70.000 streng chronologisch gestapelten Dias aus dem Institut für Archäologische Wissenschaft der Universität Bochum verschiedene Assoziationen wachrufen könnte: an die Nullen und Einsen, die Dualität der Informationsverarbeitung, aber auch an die physische Mächtigkeit eines Bildarchivs, das hier als analoge Arbeit im Ausstellungsraum, andernorts als gigantische Serverfarm hinter den körperlosen Bilderströmen steht. Katarína Dubovská interessiert sich für die ganz unmittelbar physischen Qualitäten der Bilder, die tagtäglich in den Printmagazinen und Werbeprospekten aufwarten – im Atelier bearbeitet sie die bunten Schnipsel teils brachial, entzieht ihnen die Farbe und formt das, was übrigbleibt, zu großen Klumpen. So entstehen Gesteinsformationen aus entsättigtem Bildmaterial, ihrer Motive entledigt, denen sie hier nun noch die gewonnenen Farbextrakte zur Seite stellt.

Philipp Goldbach, Ins Universum der technischen Bilder (Vilém Flusser), 2020, aus der Serie: Mikrogramme, seit 2005. Abbildungsnachweis: Philipp Goldbach / VG Bild-Kunst, Bonn, Image via kunststiftungdzbank.de

Talisa Lallais Fotografien wiederum zeugen in diesem Sinne vielleicht am ehesten von den emotionalen Umständen, die unsere Bildersuchen begleiten. Oft handelt zeitgenössische Fotografie ja von ihren eigenen Täuschungen – Deep Fake, Propaganda, Klischees und falsche Vorstellungen, subtile bis brachiale Manipulation des Bildmotivs und seines Publikums. Lallais Arbeit macht keinen Unterschied zwischen gefundenen und selbst angefertigten Motiven, und sie schätzen die Vorstellung, die man sich von einem Ort macht, nicht geringer als tatsächliche Begebenheiten. 

Für „Autosole“ reiste die Fotokünstlerin 2019 entlang der „Grand Tour“ vom Gardasee in den Süden Italiens ins Land ihrer Vorfahren. Es ist eine Route, die schon Goethe und Heine beeindruckte: Majestätische Parkanlagen mit sattem Grün und rauschenden, künstlichen Wasserfällen, Strand und Vegetation, historische Stätten und sommerliches Flirren begleiten die Fotoreise. Alles durchdringt sich wechselseitig. Wo die eigenen Bilder beginnen und die der anderen aufhören, bleibt völlig offen.

Sophie Thun und Sara Cwynar

22. September 2021 bis 5. Februar 2022, Kunststiftung DZ BANK

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