Was hat der Hype um NFTs mit religiösen Ritualen gemeinsam? Hinweise auf diese Frage bietet das Künstlerduo Studio Beisel in seiner aktuellen Ausstellung in der Kunsthalle Gießen.

Mit ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung St. Beisel, greifen Kajetan Skurski und Laurenz Raschke, aka Studio Beisel, die existenzielle Thematik von Leben und Tod auf und übertragen diese in die virtuelle Gegenwart. Schon seit der Gründung von Studio Beisel im Jahr 2015, bewegt sich das Künstlerduo fließend zwischen den Grenzen der Bildenden und Darstellenden Künste. In ihren Ausstellungen und Performances, die unter anderem im Frankfurter Kunstverein und auf dem Fast Forward Festival für junge Regie in Dresden zu sehen waren, treten sie zumeist als Performer auf, die in den Raum intervenieren und ihr Publikum zu Reaktionen verleiten.

Für ihre Ausstellung in der Kunsthalle Gießen intervenieren sie ebenfalls in den Ausstellungsraum. Das Ergebnis sind fünf begehbare Stationen, die – angeregt von ihrem Studium der Angewandten Theaterwissenschaften – vage an die aristotelische Dramenstruktur angelehnt sind. Besucher*innen werden zunächst in einen Warteraum geleitet, der den Transitbereich zwischen Diesseits und Jenseits kennzeichnet.

Eine Reise nach St. Beisel

In dieser ersten Station, die an die geschäftige Atmosphäre eines Flughafens erinnert, begegnen sie einer Wächterin, die ihnen einen Pilgerpass aushändigt und damit zur Pilgerreise berechtigt. Dieses kleine, wie ein Künstlerbuch gestaltete Büchlein übernimmt ab dann die Rolle eines zu Handlungen animierenden Begleiters. Von dem Pilgerpass angeleitet, – der seine Besitzer*innen unter anderem mit intimen Fragen über ihre Vergangenheit, Zukunft und Vorstellungen vom Tod konfrontiert – werden sie durch eine schwere hölzerne Tür in die zweite Station geführt.

Studio Beisel, Laurenz Raschke und Kajetan Skurski, 2021 © Studio Beisel

Der größte Raum der Ausstellung offenbart sich: Ein Geruch von Erde liegt in der Luft und es manifestiert sich eine karge, geradezu gespenstisch anmutende Landschaft. Dunkle Erde bedeckt ihren Boden, darauf ein einzelner Gartenstuhl und verlassener Einkaufswagen. Relikte des Alltags, die losgelöst von ihren menschlichen Nutznießer*innen ein nahezu ewiges Dasein fristen. Ein Trampelpfad führt zu einer vom Wetter gezeichneten Scheune. In ihr findet sich der Titel der Ausstellung wieder: Beisel heißt auf Jiddisch „Kegelbahn“ oder „Haus“. Das vorangestellte „Sankt“ von St. Beisel kennzeichnet wiederum etwas Heiliges. Mit der Wortneuschöpfung zeigen die Künstler, dass das Heilige oftmals im Profanem liegt. So ist auch die Scheune mehr als sie zunächst suggeriert.

Der Pilgerpfad führt ins Herz der Krypto-Kultur

Der Pilgerpfad führt seine Besitzer*innen nicht nur auf eine mentale Reise vom Diesseits ins Jenseits, sondern auch in das Herz der Krypto-Kultur. In augen-zwinkernder Anspielung auf das menschliche Verlangen, Spuren der eigenen Existenz für die Nachwelt zu hinterlassen, erhalten die Besucher*innen in der Scheune die Gelegenheit, an Aufnahmen von NFTs mitzuwirken. Eine Selektion dieser Aufnahmen wird anschließend von den Künstlern weiter bearbeitet und anlässlich der Finissage – dem Todestag der Ausstellung – im Rahmen einer NFT-Messe versteigert.

Studio Beisel, Untitled, 2021 © Studio Beisel
Studio Beisel, St. Beisel, Installationsansicht, 2021, Kunsthalle Gießen © Michél Kekulé

Die wettergegerbte Scheune avanciert in diesem Zusammenhang zu einem sakralen Ort, in dessen Inneren die finale Trennung von Geist und irdischem Körper vollzogen wird. Die vierte Station führt anschließend aus der Scheune heraus zur Gedenkstätte St. Beisel. Setzen Besucher*innen ihre Pilgerreise weiter fort, so ist die irdische Welt nur noch leicht verschwommen und verzerrt durch eine Folie sichtbar. Ungestört lässt sich das Treiben auf der anderen Seite verfolgen und man fragt sich: „Was folgt auf den Tod?“

Die performative NFT-Auktion kann als eine Annäherung an diese Frage begriffen werden. Doch worum handelt es sich bei NFTs eigentlich? Was sind ihre Verheißungen und Risiken und, wichtiger noch, welche Berührungspunkte bestehen zwischen dem Motiv der Pilgerreise und dem wachsenden NFT-Hype? NFT (Non Fungible Token) – zu dt. „nicht austauschbares Zeichen“ – beschreibt eine digitale Datei, die nicht kopierbar ist und 2014 erstmals in Gestalt von Kevin McCoys „Quantum (#1)“ Einzug in die Kunstwelt erhielt. Formal vielfältig, können NFTs einzelne Bilder und Videos sein, sowie Texte, Animationen, Collagen, oder auch reine Audiodateien (um nur einige Optionen zu nennen).

Studio Beisel, Untitled (NFT), 2021 © Michél Kekulé

Abgesichert wird ein NFT durch die sogenannte Blockchain, eine Art kollektiv einsehbares „Kontobuch”. Die darin enthaltenen Datenketten sind fälschungssicher und dokumentieren seine Besitzhistorie dauerhaft und unveränderlich. Die damit verbundene Kennzeichnung als Original im Handel, machen NFTs für ganz unterschiedliche Bereiche attraktiv, ganz gleich, ob in der Musik- und Gamingindustrie, dem Sport, oder der bildenden Kunst. Auf Online Plattformen können sie mit Krypto-Währungen erworben werden. Häufig ist dabei von einer Goldgräberstimmung die Rede. So versteigerte das Auktionshaus Christies die NFT-Collage „Everydays: The First 5000 Days“ des Künstlers Beeple für umgerechnet über 58 Millionen Euro. Der erste Tweet des Twitter-Gründers Jack Dorsey wurde hingegen für 2,9 Millionen US-Dollar verkauft.

Bedeutung, Hype und Hoffnung

Doch worin wurzelt der gegenwärtige Siegeszug der NFTs und welche Vorzüge hat er für die Kunst? Die Gründe für den Hype sind vielseitig. Der Kunsthistoriker Kolja Reichert verweist mit Nachdruck auf den Avantgardeanspruch, der von NFT-Künstler*innen und -sammler*innen postuliert werde, wenn diese „zum Sturm auf die angebliche Elite der Kunst und ihrer Gatekeeper“ aufrufen würden. Befürworter*innen berufen sich insbesondere auf ihr demokratisierendes Potenzial und die utopische Vorstellung, durch NFTs eine neue Kunstsphäre etablieren zu können – frei von tradierten Bewertungskriterien. Gegenstimmen betonen hingegen ihren gravierenden Energieverbrauch, das Fehlen jeglicher Bewertungsmaßstäbe und damit verbundene Risiko für Fehlinvestitionen sowie eine schnell wachsende Monopolbildung.

Studio Beisel, Untitled (NFT), 2021 © Studio Beisel

Es scheint ein zweischneidiges Schwert zu sein, das in Form von NFTs Einzug in die Kunstwelt erhält. Das Spiel ist eröffnet, doch ob sich die ersehnte Utopie tatsächlich realisieren lässt, bleibt ungewiss. Studio Beisel und die Kunsthalle Gießen wagen den Selbstversuch. Die NFTs der Besucher*innen avancieren zu Pforten in eine digitale Unsterblichkeit, deren Schwelle zum Todestag der Ausstellung bei der performativ gestalteten Messe übertreten werden kann. Käufer*innen sichern sich ebenso wie die Künstler ihr Nachleben im virtuellen Raum – und damit einen Funken der Unendlichkeit.

Und Erlöse uns von dem Bösen…

NFT- und sakrale Messe nähern sich an, wobei der sie vereinende Ritualcharakter erfahrbar wird und Fragen ihrer sozialen und ideologischen Funktion können nun gestellt werden. Denn Pilgerfahrt und Religion sowie NFT-Kult und -Messe begegnen sich in der kollektiv geteilten Hoffnung auf eine gerechtere, freiere und gewissermaßen endlose Zukunft. Studio Beisel inkorporiert das globale Phänomen der NFTs in St. Beisel und stellt damit in ironischer Anspielung auf dessen quasi-religiösen Hype Fragen seines langfristigen ökologischen und/oder ökonomischen Nutzens für die Kunst und Gesellschaft.

Studio Beisel, Untitled, 2021 © Studio Beisel
Finissage

NFT-Messe

9. Januar 2022, Kunsthalle Gießen

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