Im ersten Lockdown haben die Frank­fur­ter Künst­ler Il-Jin Atem Choi und René Schohe das Projekt „dada­coin“ ins Leben geru­fen. Ein Gespräch über den Wert der Kunst, NFT und Kritik in Zeiten von Bitcoins.

Im Rahmen der jüngsten Entwicklungen in Kunst und Kryptographie, Bitcoin und Corona-Pandemie haben die Frankfurter Künstler Il-Jin Atem Choi und René Schohe das Projekt „dadacoin“ ins Leben gerufen. Im Gespräch erklärt Il-Jin Atem Choi was es damit auf sich hat, was Digitaler Dadaismus bedeutet und was das ganze mit den viel besprochenen NFTs zu tun hat.

Matthias Ulrich: Wie kam es zu dem dadacoin-Projekt?

Il-Jin Atem Choi: Seit 2020 April/Mai, durch Corona mehr oder weniger veranlasst, habe ich aktiv den Bitcoin-Kurs verfolgt und mit der YouTube-Recherche begonnen: Was ist Bitcoin? Wie funktioniert Bitcoin? Was ist der Unterschied zwischen Bitcoin und Blockchain? Das ist nicht mehr als Grundwissen, aber was mich vor allem daran interessiert, ist das Soziale. Eine Blockchain erscheint mir zunächst wie ein dezentrales Buch, Buch wie Buchhaltung. Transaktionen werden darin beschrieben, wem gehört was, zu welchem Zeitpunkt, und wieviel von einer bestimmten Währung wird transferiert? Eine Blockchain ist gewissermaßen vergleichbar mit einem herkömmlichen Konto, das auf zahlreichen Computern weltweit und dezentral vorliegt.

René Schohe, Künstlerporträt Il-Jin Atem Choi, 2021, Courtesy the artists

In anderen Worten, handelt es sich um eine alternative Währung des Digitalen?

Bitcoin ist die erste digitale Währung, die jemals durchdacht konzipiert wurde. Es ist, so Saifedean Ammous, Autor von The Bitcoin Standard, sogar die härteste Währung überhaupt, die jemals in der Geschichte der Menschheit entwickelt wurde, härter als Gold. Und wieso ist das so? Bitcoin ist limitiert auf 21 Millionen Bitcoins, das heißt, dass die Menge zu keinem Zeitpunkt künstlich erhöht werden kann, inflationssicher quasi. Das große Problem bei digitalen Währungen vor Bitcoin hieß: Double Spending, also die Möglichkeit der unlimitierten Vervielfältigung. In Sachen Währung bedeutet dies, dass ein Betrag x, der von A nach B geht, dann auch noch nach C überwiesen wird, und so weiter.  Und Bitcoin hat das Problem durch ein Puzzle gelöst (lacht), eine kryptografische Aufgabe. Jedem Transfer liegt ein solches Puzzle zugrunde und kann von allen verifiziert werden. Ein Missbrauch würde die Blockchain erkennen und das Geschäft verhindern, das nennt man Proof of Work. In der Tat ist es nicht ganz einfach zu verstehen, wie genau ein Double Spending von einem Puzzle verhindert wird.

Seitens der Kunst heißt der aktuelle Hype NFT, auf Deutsch: Nicht austauschbare Token (non fungible token). Kurz gesagt ist das ein Kunstwerk, das als digitales Dokument existiert. Wie funktioniert bei einem solchen Kunstwerk das Problem des Double Spending?

Ein solches Kunstwerk kann grundsätzlich unendlich oft existieren, was aber nur einmal existiert, ist das digitale Zertifikat oder die digitale Spur, dass jemand dieses Werk gekauft hat. Mein beliebtestes Beispiel ist NBA Top Shot. Ein kurzer Clip des Basketballspielers LeBron James hat als NFT hier beispielsweise 100.000 USD erzielt, während der gleiche Clip zuvor einige Millionen Mal auf YouTube angeschaut worden ist. Und der einzige Unterschied liegt eben in dem digitalen Zertifikat.

Es ist [...] die härteste Währung über­haupt, die jemals in der Geschichte der Mensch­heit entwi­ckelt wurde, härter als Gold.

Il-Jin Atem Choi

Ich sehe darin einen gewissen Widerspruch, wenn nämlich einerseits die neuen Möglichkeiten mit digitaler Kunst in überall einsehbaren Plattformen die Liberalisierung ihrer Produktion als auch Distribution und Vermarktung vorantreiben, schließlich aber andererseits nur ein Zertifikat den Unterschied zwischen dem originären und dem reproduzierten Werk markiert.

Ich sehe darin einen gewissen Rückschritt, nämlich zurück zur Konzeptkunst der 1960er Jahre, wo ein Sol LeWitt genauso einerseits mit Zertifikat und andererseits ohne ein solches existieren kann, ohne dass es sich um ein anderes Kunstwerk handelt. Die Neuheit besteht in der Unmöglichkeit des Betrugs, die von der Blockchain gewährleistet wird. „Du behauptest, du hast das Zertifikat, dann wird das sehr schnell von allen in der Blockchain bestätigt oder genau nicht, wenn das Zertifikat einer anderen Person gehört.“ Eine weitere Neuheit ist, dass NFTs hauptsächlich auktioniert werden, weil nur darüber und über die Möglichkeit ihres Verkaufs die Produktion solcher digital zertifizierten Kunstwerke überhaupt erst entsteht.

Wie also kann ein Bild, was auf Instagram gepostet wird, in einem nächsten Schritt zu einem Kunstwerk avancieren?

Dazu muss einfach das Bild (oder Video, Audio, andere Medien) auf entsprechenden Plattformen, wie etwa Rarible, Foundation, SuperRare oder Nifty Gateway, hochgeladen werden. Die Anlage eines Accounts dort verlangt normalerweise keine Anmeldegebühren. Sobald die Bilder dort erscheinen, können sie auch potentiell verkauft werden. Anders als bei kommerziellen Kunstgalerien, verlangen die Plattformen hierbei keine weiteren Provisionen.  Auch gehen manche Anbieter noch einen Schritt weiter, wenn etwa ein Kunstwerk d* Besitzer*in wechselt, in der Regel zu einem höheren Preis als ursprünglich, dann erhält d* Künstler*in von dem Gewinn erneut einen Prozentsatz. Und das ist tatsächlich etwas Positives, sag ich mal.

Il-Jin Atem Choi, Kunst mit Ächsel 4, 2021, Courtesy the artist

Das Beispiel des Künstlers Beeple, von dem eine Arbeit bei Christie’s (auf der Plattform Nifty Gateway) für knapp 70 Mio. Dollar verkauft wurde, wer verdient daran und wieviel?

[Pause] Das weiß ich nicht. Aber ich nehme an, dass alle drei Beteiligten, Christie’s,der Künstler und die digitale Plattform, daran verdienen. Und wenn die traditionelle Kunstkritik das besagte Werk von Beeple im Nachgang regelrecht verreißt, bezeichne ich das persönlich gerne als „Das Imperium schlägt zurück“. Zu Recht, denke ich, denn das Werk hat keinen größeren Wert und Qualitätsanspruch als ein Kunstwerk im Erstsemester an einer Kunstakademie. Und das macht Sinn für mich, wenn die hohen Standards, die die Kunstwelt errichtet hat in Sachen Qualität und Integrität, zum Einsatz kommen und alte Territorien verteidigt werden. Jedoch wird das auf die Künstler*innen jener Plattformen keinen Einfluss haben, weil das ein anderer Markt ist, nämlich ein Entertainment-, Star- und Brandmarkt, ein Influencer*innen-Markt, in dem die Kunstwelt keine große Rolle spielt.

Andererseits kann man ja den Eindruck bekommen, dass alles, was bisher die Kunst regiert hat, von der Produktion über die Präsentation bis hin zum Verkauf inklusive ihrer jeweiligen Autoritäten, in Frage gestellt wird. Und, dass alleine die Anzahl der Likes oder der Aufrufe in digitalen Plattformen von kaum einer herkömmlichen Ausstellung erreicht werden… Lass uns aber endlich über „dadacoin“ sprechen, ein Kunstprojekt von dir und René Schohe.

Die Zusammenarbeit mit René begann in der Corona-Zeit, als ich eine Ausstellung seiner Bilder für den Frankfurter Ausstellungsraum fffriedrich kuratiert habe. Die Ausstellung, die genau zu Beginn des allerersten Lockdowns eröffnet werden sollte, hat aber niemand gesehen! Diese und andere Absurditäten hat uns dann dazu veranlasst, den „Digitalen Dadaismus“ auszurufen. In einer Art Epiphanie stand der dadacoin vor uns, ein fungibler, kryptografischer Token also. Und wir fragten uns, ob neben dem monetären Wert von Kunst und dem Kunstwerk an sich nicht noch eine weitere Instanz existieren sollte, die als der inhärente Wert eines Kunstwerks gesehen werden kann. Kunstwerke, die zum Beispiel nie gezeigt werden oder nie auf dem Markt landen, aber dennoch existieren. Die Stelle dieses inhärenten Werts nimmt der dadacoin ein. Und mit dieser Idee gründeten wir die dadacoin technologies GmbH als ein Start-Up-Unternehmen, im Sinne des künstlerischen Entrepreneurships. Mit Dada allgemein assoziieren wir die Einheit von Kunst und Leben, diese Erweiterung, die heute beispielsweise mit künstlerischem politischem Aktivismus vollends kunstfähig geworden ist.

In einer Art Epipha­nie stand der dada­coin vor uns, ein fungi­bler, kryp­to­gra­fi­scher Token.

Il-Jin Atem Choi

Ist dadacoin ausschließlich für Kunst und Kunstwerke da?

dadacoin ist kein NFT, sondern setzt geradezu auf die Austauschbarkeit. dadacoin richtet sich ausschließlich an Künstler*innen. Konkret heißt das, einzelne Künstler*innen leisten einen dadacoin-Beitrag, das ist ein selbstgewählter poetischer, dadaistischer, aphoristischer Satz. Es kann ein Slogan sein, ein Ausstellungstitel, eine Lebensweisheit, ein Titel für ein Kunstwerk oder ein Dialog, auf jeden Fall was Geschriebenes. Diese Beiträge werden in der dadabibel gesammelt und darauf haben Besitzer*innen von dadacoins Zugriff. Der zweite Beitrag der Künstler*innen liegt im sogenannten Selbstschätzungswert, der eine fiktive Arbeit auf Papier im A4-Format subjektiv preislich bewertet. In meinem Fall läge dieser Wert momentan bei zirka 150 Euro, weil das ein Preis ist, mit dem ich happy wäre. Wie bei Bitcoin ist auch dadacoin ge-hard-capped, auf eine bestimmte Anzahl limitiert, und bei dadacoin liegt die maximale Anzahl bei 4141.

Wenn ich mal zusammenfassen darf: Euer Projekt besteht aus Textbeiträgen, die für Besitzer*innen von dadacoins ersichtlich sind. dadacoin ist ausschließlich für Künstler*innen…

Beim Machen ja, kaufen kann jede*r.

Ich kaufe aber doch Kunstwerke, beispielsweise eine Zeichnung von Dir.

Richtig. Auf der Seite dadacoin.com soll man eine Arbeit im Gegenwert entsprechender Menge von dadacoins erwerben können. Je nach aktuellem Wert des dadacoins, beispielsweise 1 dadacoin = 1.500 Euro, wären das bei einem Preis von 150 Euro 0,1 dadacoins.

Aber ich könnte das doch auch ohne die Plattform so machen, die Künstler*in fragen, was das Werk kostet, überweisen und dann gehört die Arbeit mir.

In der Krypto-Welt muss man zuerst investieren, denn in einem ersten Schritt gilt es zunächst die 4141 dadacoins zu kreieren („diggen“) und auch zu verkaufen. Parallel dazu arbeiten wir daran, die Plattform für Künstler*innen zu öffnen, so dass sie dort ihre Arbeiten zeigen und verkaufen können. Einer der Vorteile ist der, dass Künstler*innen bei einem Verkauf immer sofort bezahlt werden und dies durch die Ethereum-Blockchain gesichert ist. Was ich noch nicht erwähnt habe, dadacoin basiert technisch auf Ethereum, was die zweitgrößte Kryptowährung in Sachen Marktkapitalisierung nach Bitcoin ist.

[Pause] Außer für das Diggen, also das Kreieren eines dadacoins, das ausschließlich Künstler*innen vorbehalten ist, wollen wir auch Nicht-Künstler*innen aufnehmen. Wenn nämlich der Status eines dadacoinpro erreicht wird, was den Besitz von mindestens 10 dadacoins bedeutet, kann beim sogenannten Relevanz-Index mitgewählt werden. Beim dadacoin relevance index soll es sich um ein Meta-Ranking handeln, das einem Hybrid aus allen bekannten Künstler*innen-Rankings entspricht und von den dadacoinpros geprüft und geändert werden kann. Das ist aber noch nicht ganz ausgereift. Momentan ist es so, dass wir für uns anerkannte, als professionell arbeitend verstandene Künstler*innen einladen, generell am dadacoin Ökosystem mitzumachen (sei es bei der iterativen Gruppenausstellung „Digitaler Dadaismus“, dem Tausch eines Kunstwerkes gegen dadacoins oder der Teilnahme am dadacoin digging).

Einer der Vorteile ist der, dass Künst­ler*innen bei einem Verkauf immer sofort bezahlt werden und dies durch die Ethe­reum-Block­chain gesi­chert ist.

Il-Jin Atem Choi
Il-Jin Atem Choi, Kunst mit Ächsel 5, 2021, Courtesy the artist

Ihr, das sind René und du.

Genau. Was für uns relevant ist, das ist der Anspruch, wirklich bildende*r Künstler*in zu sein.

Das ist etwas, wenn ich das richtig verstehe, was bei NFT absichtlich vermieden wird, weil es um eine Liberalisierung, um eine Demokratisierung der Kunst geht.

Der wesentliche Unterschied zu NFT ist es, die Rolle der Künstler*innen zu stärken. In der Kunst gibt es ausgesprochen viele Gatekeeper, und bis auf wenige Ausnahmen sind alle, eben auch bei NFT, keine Künstler*innen. Und das ist bei dadacoin genau umgekehrt, nämlich radikal umgekehrt, die Gatekeeper sind hier ausschließlich Künstler*innen.

Wie die Secession… Liegt hier nicht die Gefahr, dass nur bestimmte Netzwerke aktiviert werden und Diversität verhindert wird?

Wir versuchen, das durch zahlreiche dezentrale Elemente zu lösen, durch Weiterempfehlungen beispielsweise oder durch hoffentlich bald viele Anfragen, die von Künstler*innen an dadacoin gerichtet werden. Am Ende können alle daran teilnehmen und davon profitieren.

dadacoin

Digitaler Dadaismus von und für Künstler*innen

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