Wie man aus der Not eine Tugend macht: Man wählt ein Kunst­werk aus, nimmt drei Alltagsgegenstände und kreiert damit einen Instagram-Hype!

Es begann am 14. März 2020 mit einer Knolle Knoblauch, einem Tischläufer und einem Tuch. Und ist heute mit fast 250.000 Followern bei Instagram und 42.000 Beiträgen unter dem gleichnamigen Hashtag das Musterbeispiel für einen viralen Selbstläufer: Tussen Kunst en Quarantaine (Zwischen Kunst und Quarantäne). Seit eineinhalb Monaten ist der Instagramkanal online, der als zufällige Idee im Homeoffice der Amsterdamerinnen Anneloes Officier und Floor de Weger entstand. Das Prinzip ist denkbar einfach: Man wählt ein Kunstwerk aus, nimmt sich drei Dinge zur Hand, die man sowieso in seinem Haushalt hat, und stellt damit das gewählte Werk nach.

Sich selbst als Kunstwerk zu inszenieren war schon im 18. Jahrhundert ein beliebtes Vergnügen. Lady Emma Hamilton etwa stellte in ihrem Haus in Neapel bevorzugt klassische Kunstwerke und Gemälde alter Meister nach, war sie doch von einer Fülle schöner Artefakte umgeben. Auf ihren berühmt-berüchtigten Dinnerparties unterhielt sie ihre Gäste, indem sie die Posen der Charaktere berühmter Mythen und Geschichten einnahm und mit den Originalen zu verschmelzen schien. Die Aufführungen wurden als „Attitudes“ (Attitüden) bekannt und waren so sensationell, dass sie europaweit in aller Munde waren. Diese „Tableaux Vivants“ sind allerdings keine Solodarbietungen, sondern eine Gruppenaktivität.

Sie wurden zu einem zentralen szenischen Gestaltungsmittel auf Theaterbühnen, höfischen und bürgerlichen Festen. Nicht zuletzt enthalten auch die Aufführungen der weltberühmten Oberammergauer Passionsspiele zahlreiche lebende Bilder aus dem Alten Testament. Anzüglicher und sensationeller wurden die Tableaux Vivants zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich nackte Darstellerinnen und Darsteller in Revuen präsentierten. Die nackten Körper wurden jedoch nur geduldet, solange sie sich nicht bewegten - manchmal heiligt das Mittel eben den Zweck.

Bis heute sind lebende Bilder, vor allem lebende Statuen, populär. Man denke an die Straßenkünstler in den Metropolen, die sich als Denkmäler verkleidet haben oder an Walking Acts auf Festivals, Messen oder auch in der SCHIRN. Der Reiz besteht im ungewöhnlich langen Verharren in einer regungslosen Pose, das hin und wieder und vor allem überraschend in einer Interaktion mit dem Publikum unterbrochen wird.

Doch wie war das mit dem Knoblauch und der Instagram-Challenge? Als erstes Werk stellte Anneloes Officier Jan Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ mit den oben genannten Utensilien - Knoblauch, Tischläufer und Tuch - nach und verschickte das Foto per Messenger an ihre Freunde. Auf die Begeisterung der Freunde folgte die Zustimmung ihrer Follower auf ihrem privaten Instagramprofil und so stand der Entschluss schnell fest, der Idee einen eigenen Account zu widmen. Die tausenden Einsendungen demonstrieren, dass auch in häuslicher Quarantäne und Selbstisolation jeder kreativ werden kann.

Längst sind große Museen und Ausstellungshäuser weltweit auf die Challenge aufmerksam geworden und fordern ihre Follower und virtuellen Besucherinnen und Besucher zum Nachstellen der eigenen Sammlungsbestände auf. Besonders beliebt: Alte Meister, Frida Kahlo, René Magritte und „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“, gerne auch abstrakt und auf ungewöhnliche Weise präsentiert. Zwar halten sich mittlerweile nur noch die wenigsten Nachahmer an die „3-Dinge-Regel“, da sie die Imitation ihrer Werke bis ins kleinste Detail professionalisieren; der Freude beim Scrollen durch den Feed tut dies aber keinen Abbruch, bringen liebevoll eingebrachte Elemente wie die in Corona-Zeiten omnipräsente Klopapierrolle doch noch eine zusätzliche Ebene in das Foto.