Anlässlich der kommenden Ausstellung „We never sleep“ zeigt die Schirn drei Filmklassiker, die dem Mythos des Geheimagenten auf die Spur gehen – und der Realität gefährlich nahe kommen.

Das Open-Air-Kino­pro­gramm der SCHIRN steht ganz im Zeichen der kommen­den Spionage-Ausstel­lun­g WE NEVER SLEEP. Glaubt man dem französischen Filmkritiker André Bazin, so können wir das Kino als Fenster zur Welt interpretieren. In dieser Vorstellung zeigt uns der Film also nicht eine künstliche Welt – eine Leinwand ähnlich der Bildenden Kunst, wie andere Filmkritiker das Medium beschrieben –, sondern verschafft  den Zuschauerinnen und Zuschauern vielmehr Einblick in eine bestimmte Lebensrealität. Folgt man diesem Bild, so werden sie stets zu Voyeuren, schauen sie doch, selbst ungesehen, anderen bei ihrem Treiben zu.

Im Genre der Agenten- bzw. Spionage-Filme mag dieser Sachverhalt nun noch eine Spur vertrackter werden, so schauen wir doch den Abhörspezialisten („Das Leben der Anderen“ und „The Conversation“) unbemerkt zu, oder werden in Staatsgeheimnisse und Verschwörungen eingeweiht („Alphaville“), und wissen meist noch mehr, als die Agenten selbst. Das Genre selbst wurde stark von Fritz Langs „Spione“ aus dem Jahr 1928 geprägt. Hier taucht schon vieles auf, was einem in unzähligen Filmen danach immer wieder begegnet: Verfolgungsjagden, agententypische Gadgets, hochmoderne Schaltzentralen, Agenten mit einer Nummer als Deckname und die Verführung als Mittel zum Zweck. Das klassische Gut-Böse-Schema wird in den folgenden Jahren immer weiter aufgebrochen, moralische Zweifel und Identitätsfragen rücken zunehmend in den Vordergrund – in aktuellen James Bond-Filmen erscheint so der Arbeitgeber der Spione, der eigene Geheimdienst oder gar der eigene Staat, zum größten Feind mutiert. 

Das Leben der Anderen (Florian Henckel von Donnersmarck, 2006)

In seinem 2006er-Spielfilmdebüt inszeniert Florian Henckel von Donnersmarck in einer Mélange aus Spionagefilm, Liebes- und Politdrama die Auswirkung der obsessiv durchgeführten Spitzeltätigkeiten der Staatssicherheit in der DDR. Der linientreue Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler (Ulrich Mühe) wird durch eigenes Zutun mit einem sogenannten „operativen Vorgang“ beauftragt – er soll belastendes Material gegen den bekannten Theaterschriftsteller Georg Dreyman (Sebastian Koch) zusammentragen.

Kurzerhand wird die Wohnung des Künstlers verwanzt, die Nachbarn eingeschüchtert und ein Überwachungszentrum in einer Dachgeschosswohnung eingerichtet. Doch dann das Novum: im Laufe der Abhörmaßnahmen entwickelt der geschätzte Abhörspezialist Empathie für Dreyman und dessen Geliebte Christa-Maria Sieland (Martina Gedeck). Im weiteren Verlauf wandelt sich die Rolle des bedrohlichen Voyeurs immer weiter zu der des stillen, allwissenden Beschützers seiner Opfer vor genau jenem Unglück, dessen Ursprung er selbst überhaupt erst darstellte.

Alphaville (Jean-Luc Godard, 1965)

In finsterer Dunkelheit erreicht Lemmy Caution (Eddie Constantine) in seinem ebenso dunklen Ford Galaxie die Metropole Alphaville. Unter dem Namen Ivan Johnson, Reporter der Zeitung Figaro-Pravda, bucht er sich in einem Hotel an. Was niemand ahnt: Lemmy Caution, oder auch Nummer 003, ist ein Geheimagent, der aus den aufsässigen Regionen am Rande der Galaxie nach Alphaville gekommen ist, um den verschollenen Agenten Henry Dickson aufzuspüren. Oder ist er gekommen, um Professor von Braun zu töten, Erfinder und Mastermind hinter Alpha 60, einem Supercomputer, der die ganze Stadt durch Sprach- und Denkverbote unter diktatorischer Kontrolle hält?

Jean-Luc Godard kreierte 1965 mit „Alphaville“ keinen klassischen Agentenfilm, vielmehr ein Meta-Konglomerat aus Film noir, SciFi-Dystopie und Spionage-Film mit Orwell‘schen Anleihen. Eddie Constantine, der 1953 bereits die Rolle der schon in den 1930er Jahren erfundenen Agentenfigur Lemmy Caution im französischen Film „La môme vert-de-gris“ mit großen Erfolg mimte, läuft durch eine zukünftige Gegenwart, in der Emotionen und Poesie verboten sind, Kinosäle zu Exekutionskammern umfunktioniert wurden und von Künstlern der Suizid verlangt wird. Tödlicher Ernst oder schelmenhaftes Bänkelstück? Wie gewohnt bei Godard: all das, und noch viel mehr. Kino schlechthin, könnte man sagen.  

Jean-Luc Godard, Alphaville (Filmstill), 1965, Image via amazon.com

The Conversation (Francis Ford Coppola, 1974)

Francis Ford Coppolas Film von 1974 trägt bereits im Titel, was seinen Protagonisten Harry Caul (Gene Hackman) an den Rande des Wahnsinns bringen wird: ein einzelnes Gespräch. Der freiberufliche Abhörspezialist erhält von einem wohlhabenden Klienten den Auftrag, besagte Konversation zwischen einer Frau und einem Mann auf dem belebten Union Square in San Francisco am helllichten Tag aufzunehmen. Eine technische Herausforderung, die nur mithilfe von mehreren Mikrofonen realisiert werden kann. Als Caul sich daran macht, aus den verschiedenen Aufnahmen ein klar verständliches Gespräch zusammenzuschneiden, gerät er immer mehr in den Bann der Unterhaltung. Die Worte scheinen klar verständlich, nur dem Sinn der Unterhaltung kann Caul nicht auf die Schliche kommen. Warum beauftragte sein Klient den Mitschnitt, warum klingt die Frau so besorgt? Caul gerät immer tiefer in einen Abwärtsstrudel aus Obsession, Paranoia und Wahn.

Nur kurze Zeit bevor Richard Nixon 1974 schlussendlich als Präsident der USA zurücktrat, war „The Conversation“ erstmals auf den US-amerikanischen Kinoleinwänden zu sehen. Naturgemäß wurde Coppolas Film über den Abhörspezialisten als Reaktion auf den Watergate-Skandal gedeutet. Tatsächlicher Haupteinfluss, wie Coppola nicht müde wurde zu betonen, war viel eher Michelangelo Antonionis Film über die Grenzen von Wahrnehmung und Realität gewesen, der bereits 1966 erschienen war: „Blowup“. Man sieht und hört eben nur, was man zu wissen glaubt - so wurde  der kunstvolle, genresprengende Film vielleicht selbst zum Lehrstück dessen, was er seinen Protagonist Harry Caul hinsichtlich Wahrnehmung durchleben ließ.

OPEN AIR KINO: WE NEVER SLEEP

19. – 21. AUGUST, 20 UHR

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