Im Frankfurter Ausstellungsraum SYNNIKA zeigen Dokumentarfilme und Zeichnungen, wie queere Menschen in einigen Ländern der arabischen Welt Diskriminierung und Repression trotzen.
„Für jene, die gleichgeschlechtlich lieben oder eine andere Genderidentität haben, ist das Leben in der arabischen Welt schwer“, heißt es im 2016 erschienenen „Atlas des Arabischen Frühlings“ der Bundeszentrale für politische Bildung. „Für sie gehören Stigmatisierung, Diskriminierung und Gewalt durch Staat, Gesellschaft und Familie zum Alltag“, schreiben die Autoren Shereen El-Feki und Georges Azzi weiter. Im aktuellen „Spartacus Gay Travel Index“ finden sich Länder wie Ägypten, Marokko und Jordanien im unteren Drittel der insgesamt 202 gelisteten Staaten.
Julian Volz möchte hinter die Zahlen und Stichworte blicken. „Was gibt es an queerer Kultur in der arabischen Welt?“, fragte er sich vor einiger Zeit. Die Region habe ihn schon immer interessiert, sagt der in Brüssel und Frankfurt lebende Politikwissenschaftler und Kurator im Videogespräch. Vor zwei Jahren begann er eine Recherche, die ihn unter anderem nach Beirut und Paris führte, wo Volz Künstler und Intellektuelle interviewte. Das Ergebnis ist eine Ausstellung mit dokumentarischen und künstlerischen Elementen.
Sie heißt „Mithly“ und ist im SYNNIKA, einem experimentellen Raum für Theorie und Praxis im Frankfurter Bahnhofsviertel, zu sehen. „Mithly“ sei das erste Wort für Homosexualität im Arabischen, das nicht beleidigend sei, sagt Volz. Das Wort gebe es erst seit etwa 15 Jahren. Neben der gegenwärtigen Situation queerer Menschen in der arabischen Welt interessierte ihn ein weiterer Aspekt. Schriftsteller wie André Gide (1869-1951) und Oscar Wilde (1854-1900) hätten mit ihren Büchern und Reisen dazu beigetragen, den „Orient“ in der westlichen Kultur als „exotischen“ Sehnsuchtsort für Schwule zu besetzen.
Der westliche Blick auf die queere Kultur in der arabischen Welt sei bis heute von „orientalistischen“ Fantasien überlagert, beklagt Volz. Über die französische Ausprägung dieses Blicks sprach er mit dem 1988 geborenen Soziologen und Autor Antoine Idier, der sich auf die Geschichte der französischen Homosexuellenbewegung spezialisiert hat. Das Interview ist Teil einer dokumentarischen Zwei-Kanal-Videoinstallation, die in der Ausstellung gezeigt wird. In dem etwa eineinhalbstündigen Film kommen überdies drei Künstler zu Wort, die individuelle Zugänge zu Geschichte und Gegenwart der queeren Kultur im arabischen Raum eröffnen.
So stellt der 1966 geborene libanesische Kurator und Video- und Installationskünstler Akram Zaatari die von ihm mitgegründete, in Beirut ansässige Arab Image Foundation, eine Sammlung zur Fotografiegeschichte der arabischen Welt, vor. Exemplarisch spricht er über die Aufnahmen des südlibanesischen Fotografen Hashem el Madani (1928-2017), in dessen Fotostudio auch Bilder sich im Schutz der Privatheit zärtlich berührender Männer entstanden. Der ebenfalls in Beirut lebende Fotograf und Filmemacher Mohamad Abdouni gibt „Cold Cuts“, ein Fotomagazin für die queere Kultur des Nahen Ostens, heraus.
In Volz‘ Videoinstallation präsentiert er Ausschnitte aus Adbounis Dokumentarfilm „ANYA KNEEZ. A Queen in Beirut“, der eine in der libanesischen Hauptstadt lebende Dragqueen porträtiert. Der marokkanisch-stämmige Pariser Schriftsteller, Journalist und Filmemacher Abdellah Taïa spricht unter anderem über seinen 2017 in Frankreich erschienenen, autobiografisch gefärbten Roman „Celui qui est digne d‘être aimé“. Das Buch handelt von einem jungen Marokkaner, der einen französischen Intellektuellen kennenlernt und mit ihm nach Paris zieht. Im Interview erwähnt Taïa auch die trotz aller Repression zu beobachtende Aufbruchsstimmung in der LGBTQI*-Szene Marokkos, die ihren Ausdruck in diversen queeren Social-Media-Stars findet.
Ein zweiter wesentlicher Teil der Ausstellung sind Zeichnungen des 1985 in der marokkanischen Hauptstadt Rabat geborenen, in Paris und Tanger lebenden Künstlers Soufiane Ababri. Die Inspiration für seine „bedworks“ betitelten, bunten Zeichnungen beziehe er, wie Ababri in einem Videointerview erzählt, aus eigenen Smartphone-Schnappschüssen, aber auch aus Filmen, Pornografie, Videoclips, Archivmaterial und Fotos. Er zeichne, um mit der französischen Tradition der Kunstausbildung zu brechen, die dieses Medium abwerte. Er arbeite außerdem bewusst im Bett. Die Tatsache, dass er zugleich Einwanderer, Homosexueller, Angehöriger einer postkolonialen Generation sei und dunkle Haut habe, ermögliche ihm einen anderen Blick auf die Dinge, sagt Ababri. Im SYNNIKA zeigt er homoerotisch aufgeladene Zeichnungen, die mal explizit, mal poetisch männliches Begehren und Sexualität umkreisen.
Über seine Erfahrungen in Teheran und Beirut sowie sein Verständnis queerer Kunst berichtet in einem weiteren Video von Julian Volz der 1988 geborene, in Paris lebende Maler Alireza Shojaian. Er denkt auch über Strategien der westlichen LGBTQI*-Bewegung nach und plädiert im Hinblick auf die arabische Welt dafür, einige Elemente zu übernehmen. Dass sich in der Region etwas tut, sieht auch Julian Volz: „Es gibt eine Emanzipationsbewegung.“ Es sei zwar nicht leicht für queere Menschen in der arabischen Welt. Aber: „Die Leute haben Lust, offen und selbstbewusst dazu zu stehen, ihre Kultur zu leben.“