Afterwork mit Clownsfiguren und Raumfahrzeugen. Der Kunstverein Ebene B1 zeigt Ausstellungen in einer Frankfurter S-Bahnstation.

Durch die zugige B-Ebene der Frankfurter S-Bahnstation Taunusanlage eilen Angestellte. Sie kommen aus den nahegelegenen Bürotürmen und möchten in den Feierabend, nach Hause. Nur wenige nehmen von den Vitrinen und Schaukästen Notiz, die mit teils ausladenden, farbintensiven, mitunter rätselhaften Objekten bestückt sind. An einem Durchgangsort wie diesem vermutet man schließlich keine zeitgenössische Kunst.

„Wir haben uns hier für zwanzig Jahre verpflichtet“, sagt Peter Wöste, Vorstand des Kunstvereins Ebene B1 Taunusanlage. Der 2017 gegründete Verein hat sich das Ziel gesetzt, zeitgenössische Kunst in den öffentlichen Raum zu integrieren. Jährlich sind mehrere nichtkommerzielle Ausstellungen von Künstlern aus Frankfurt und der Rhein-Main-Region geplant. Perspektivisch sollen auch überregionale Positionen hinzukommen. Inhaltliche Vorgaben setze der Kunstverein nicht, sagt Wöste. „Wir sind offen für alle Ideen.“

Täglich passieren etwa 30.000 Menschen die Station, schätzt Peter Waldner, ebenfalls Vorstand des Kunstvereins. Wer sich auf die beiden derzeit laufenden Ausstellungen einlassen möchte, sollte jedenfalls Zeit und Geduld mitbringen – und entdeckt dann auch in einer großen Vitrine eine Tafel, auf der das Wort „Kasachstan“ prangt. Der in Zentralasien gelegene, mit 2.724.900 Quadratkilometern flächenmäßig neuntgrößte Staat der Erde hat Heide Weidele zu einer neuen Werkgruppe inspiriert. „Kasachstan ist für mich so fremd wie für jeden, der sich damit nicht beschäftigt hat“, sagt die seit 1971 in Frankfurt lebende Künstlerin.

Ich habe damals angefangen, die Welt anders zu sehen.

Heide Weidele
Heide Weidele, Kasachstan, Ausstellungsansicht, Foto: Gerhard T. Baier

Im Zuge ihrer Recherchen zu Raumfahrt und Astrophysik stieß sie auf den Weltraumbahnhof Baikonur. Er befindet sich auf kasachischem Territorium. Von dort startete 1957 auch „Sputnik“, ein sowjetischer Satellit, der als erster künstlicher Flugkörper die Erdumlaufbahn erreichte.

Die tech­no­iden Formen erinnern an Satelliten und Raumfahrzeuge

Und Heide Weidele erinnert sich noch heute an den Start des Satelliten: „Ich habe damals angefangen, die Welt anders zu sehen.“ Für ihre Ausstellung bildet der Gegensatz zwischen der weitläufigen kasachischen Steppe und dem Weltraumbahnhof eine inhaltliche Klammer. Weidele hat Objekte geschaffen, deren technoide Formen Assoziationen zu Raumsonden und -fahrzeugen zulassen. In ihrem Atelier im Frankfurter Stadtteil Oberrad habe sie einen Fundus aus Plastikteilen, die sie immer wieder neu zusammensetze, berichtet die Künstlerin.

Heide Weidele, Kasachstan, Ausstellungsansicht, Foto: Gerhard T. Baier

Tatsächlich sind bei näherer Betrachtung Waschmittelflaschen, Kanister und Schläuche als Bestandteile der Objekte zu erkennen. Ihre leuchtenden Farben bringen sie zum Teil schon mit. Manchmal hilft die Künstlerin mit Lichtspots und Neonröhren nach. In vier kleineren Schaukästen hat Weidele kostbar anmutende Fundstücke platziert, die sie als „Meteoriten“ bezeichnet. In Wirklichkeit stammen sie aus der Kunststoffproduktion. Die Künstlerin hat die Stücke mit fiktiven, wissenschaftlich anmutenden Beschriftungen versehen.

Eine unheimliche Präsenz haben auch die Skulpturen von Franziska Kneidl. Die ebenfalls aus Frankfurt stammende Künstlerin bespielt die Vitrinen im zweiten Zugangsbauwerk der S-Bahnstation Taunusanlage. „Als Erstes die Clowns“ lautet der Titel ihrer Ausstellung, die nun verlängert wurde. Dafür hat Kneidl größere Fetzen Kunststofffolie bemalt, besprüht und anschließend so arrangiert, dass sie an Kleiderentwürfe oder menschliche Figuren erinnern. Oft tragen die Figuren angedeutete rote Nasen, was sie in die Nähe von Clowns rückt. Einige Figuren liegen, scheinbar zusammengesunken, im Eck, andere werden stehend präsentiert.

Franziska Kneidl, Als Erstes die Clowns, Ausstellungsansicht, Foto: Peter Waldner

„Es sind unterschiedliche Charaktere, die aus Malerei bestehen“, sagt die Künstlerin. Und die verbindet sie mit Bildhauerei. In einer Vitrine sind die clownsähnlichen Skulpturen so nah an der Glasscheibe aufgestellt, dass der Betrachter ihnen unmittelbar begegnet. Die Figuren sind ambivalent, wirken zugleich schön und bedrohlich. Sie fesseln den Betrachter. So kann es passieren, dass man doch länger hier verweilt und schließlich seine S-Bahn in den Feierabend verpasst.

Franziska Kneidl, Als Erstes die Clowns, Ausstellungsansicht, Foto: Timotheus Buettner