Dschungel-Abenteuer, Reisen in die Fremde und animalische Verwandlungen. Die SCHIRN zeigt herausragende Filme im Zeichen der Herbstausstellungen.

In Anlehnung an „König der Tiere. Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika“ sowie „Wildnis“ zeigt die SCHIRN vom 15.-18. August 2018 drei herausragende Spielfilme und ausgewählte Künstlerfilme. Das SCHIRN MAG stellt sie vor.

Grizzly Man (2005, 103 min., OmU)

Werner Herzog gehört zur einer Generation von Filmemachern, die es, wie Francis Ford Coppola etwa auch, im Dienste des Kinos in die Wildnis zog. Herzogs Dschungelklassiker „Aguirre, der Zorn Gottes“ und „Fitzcarraldo“, beide mit dem diabolisch-genialen Klaus Kinski in der Hauptrolle, haben auch wegen der spektakulären Dreharbeiten Filmgeschichte geschrieben. Im Dschungel geschahen unvorstellbare Dinge: Das Schiff aus „Fitzcarraldo“ wurde tatsächlich über den Berg gehievt; Eingeborene sollen Herzog angeboten haben, so erklärte der Regisseur selbst, den wahnsinnigen Kinski zu töten; es gab Verletzte, etwa durch Piranha- und Schlangenbisse (einem peruanischen Arbeiter wurde mit der Kettensäge der Fuß abgesägt, um die Verbreitung des tödlichen Gifts zu vermeiden).

Die Wildnis ist ein Topos, der sich durch das Schaffen des Autorenfilmers zieht. In vielen Filmen, auch in seinen Dokumentarfilmen, erzählt Herzog von Menschen in menschenunfreundlicher, natürlicher Umgebung und von an Wahnsinn grenzender Besessenheit. Auch die Tragödie des Tierschützers Timo­thy Tread­well, den er in seinem preisgekrönten Dokumentarfilm „Grizzly Man“ porträtiert, ist purer Herzog-Stoff: Der Tierschützer lebte 13 Sommer mit Grizzlybären in Alaska in ihrem natürlichen Lebensraum, bevor er und seine Freundin von einem Bären getötet und teilweise gefressen wurden.

Herzog lässt neben dem Videomaterial von Tread­well, aus dem sein Film zu großen Teilen besteht, Zeitzeugen, Freunde und Gegner des Tierschützers zu Wort kommen. Nach und nach zeichnet der Regisseur das Psychogramm eines manischen Bärenliebhabers, dessen Passion er zu ergründen sucht und für den er unübersehbar Sympathien hegt. Herzog geht es dabei nicht um die rein dokumentarische Aufarbeitung, sondern um eine künstlerisch-philosophische Auseinandersetzung mit Tread­wells Manie und dem Verhältnis von Mensch und Natur. Und, typisch Herzog, gibt er als Erzähler Erblicke in sein eigenes Seelenleben. Ein famoser und aufschlussreicher Film, der zugleich die Grenzen des Dokumentarfilms auslotet.

Grizzly Man, Copyright: Lions Gate Films Inc
Grizzly Man, Copyright: Lions Gate Films Inc
Der Fluss war einst ein Mensch
(2011, 83 min.)

Jan Zabeil erzählt in seinem Spielfilmdebüt vom Sichverlieren in der Fremde. Ort des Geschehens ist der afrikanische Okavango-Sumpf, in den es einen jungen deutschen Schauspieler, gespielt von Alexander Fehling, verschlägt. Mit Neugierde und Abenteuerlust saugt er die Eindrücke der neuen Umgebung auf. Als er am Ufer eines Flusses einem alten Fischer begegnet, schließt er sich ihm an und begleitet ihn auf seinem Holzboot in die tiefste Wildnis. „Hier ist das Haus der Tiere“, erklärt der Afrikaner einmal, „Wir sind auf ihrer Insel.“ Dann stirbt der Mann plötzlich, einfach so, und der Deutsche ist auf sich alleine gestellt an diesem Ort, dessen Natur, Kultur und Geografie er nicht im Geringsten kennt.

Der Fluss war einst ein Mensch, Copyright: Filmgalerie 451

TRAILER

Der Fluss war einst ein Mensch

„Der Fluss war einst ein Mensch“ ist eine kleine Sensation. Ohne Drehbuch und mit einem kleinen Team reiste Zabeil nach Botswana, um vor Ort seine Geschichte zu finden, beinahe ebenso verloren wie sein Held. Der erlebt eine existenzialistische Tour de Force. In langen, teils dokumentarisch wirkenden Einstellungen, fast gänzlich ohne Dialoge, zeigt Zabeil die Odysse des überforderten Deutschen. Aus dessen Faszination für das Unbekannte werden Entsetzen und Ohmacht, die Natur wird zum menschenfeindlichen Terrain ganz im Geiste Werner Herzogs.

Orientierungsloses Herumirren durch Sümpfe und Wasser, schließlich ein zivilisationsfernes Dorf, das dennoch keine Heilung bringt – Jan Zabeil bricht mit den Klischeebildern Afrikas. Keine schnöde Afrikaexotik oder falschen Anbiederungen, das Fremde bleibt fremd. Gerade dadurch spricht Zabeil dem Kontinent eine Autonomie zu, die man so selten im Kino sieht. Dabei kann er sich voll und ganz auf seinen Hauptdarsteller Alexander Fehling verlassen, der die Figur des Verlorenen mit all ihren mentalen und emotionalen Aggregatzuständen bravourös spielt.

Der Fluss war einst eiN Mensch, Copyright: Filmgalerie 451
Wild
(2016, 88 min.)

Die junge Ania (Lilith Stangenberg) lebt zurückgezogen in einer Plattenbauwohnung, trottet durch den tristen Alltag in der wolkenverhangenen Plattenbausiedlung in Halle-Neustadt und arbeitet für ihren unsympathischen Boss Boris. Der Großvater liegt im Sterben, von den Eltern keine Spur. Die Gefühlslage ist ein düsteres Grau in Grau, bis zu einer schicksalhaften Begegnung mit einem Wolf. Da passiert etwas mit Ania – vielleicht ist es Liebe auf den ersten Blick, vielleicht bloß Faszination. Jedenfalls nimmt eine spannende Verwandlung ihren Lauf: Die eigentlich schüchterne Frau rangelt plötzlich mit dem Wolf, entdeckt eine ungehemmte sexuelle Seite in sich und legt peu à peu die zivilisatorischen Ketten ab, sie verwildert zusehends.

Nicolette Krebitz findet für diese prozesshafte Verwandlung bedrohliche und faszinierende Bilder. Das Erstaunlichste an dem Film ist allerdings Lilith Stangenberg. Diese zierliche Frau tanzt mit dem (realen!) Wolf – im Interview erklärt Krebitz, dass Stangenberg für den Umgang mit dem Tier großen Respekt vom Team geerntet hat – und spielt die Tierwerdung packend mit vollem Körperseinsatz. Eine durch die Leinwand fast schon spürbare Energie wird freigesetzt auf diesem Weg der Hauptfigur zur animalischen Explosion.

Anders als beim thematisch verwandten Aussteigerdrama „Into the Wild“ von Sean Penn folgt Anias Metamorphose keiner ideologisch aufgeladen Motivation. Wo sich Penns überidealistischer Christopher McCandless bewusst gegen den Materialismus entscheidet und als Mensch in der Natur überleben will, legt Ania in „Wild“ aus einer instinktiven Sehnsucht nach animalischer Freiheit alles Menschliche ab. Es ist ein Ausbrechen aus der neoliberal vorgeheuchelten Freiheit, von der Krebitz in „Wild“ auch erzählt, und zwar bis zur letzten Konsequenz. Wo Etikette, kulturelle und gesellschaftliche Restriktionen keinen Einfluss mehr haben, wartet schon die Wildnis.

Wild, Copyright: Heimatfilm
Wild, Copyright: Heimatfilm
Ausgewählte Künstlerfilme

In „There is a happy land further awaay“ (2015, 20 Min.) verarbeitet der Londoner Künstler Ben Rivers sein Filmmaterial der Vulkanlandschaft des abgelegenen südpazifischen Inselstaates Vanuatu, welche Anfang 2015 vom Zyklon Pam verwüstet wurde. Ein gespenstisches Dokument eines Ökosystems, das unwiderruflich verändert wurde.

Die Videoarbeit „The Trip“ (2011, 34:28 Min.) von Marcus Coates dokumentiert eine Unterhaltung im Krankenhaus zwischen dem Künstler und dem todkranken Patienten Alex H., für den Coates nach genauen Anweisungen in den Amazonas-Regenwald gereist ist, um den Menschen vor Ort spezifische Fragen zu stellen. Bei seinem Reisebericht nach der Rückkehr verlässt sich Coates allein auf seine Erinnerung, um die bereits vorhandene Vorstellungen seines Gesprächspartners zu bereichern.

Ben Rivers, There is a Happy Land Further Awaay, Image via lux.org.uk

Marcus Coates, The Trip, Filmstill

Marie Voigniers Film „Hinterland“ (2009, 49 Min.) portraitiert das Freizeitresort „Tropical Island“, das sich auf einem ehemaligen Flugplatz der sowjetischen Luftstreitkräfte in Brandenburg befindet. Voigniers erzählt sowohl die Geschichte des Ortes als auch vom Traum und der Sehnsucht nach Urlaub in fernen Ländern.