Ein plötzlicher Bruch mit allem Gesehenen: Die Arbeiten aus René Magrittes „Période vache“ sollten irritieren und stellen gleichzeitig eine Zäsur im Werk des Künstlers dar.

1948 schuf René Magritte in kurzer Zeit 30 Gemälde und Gouachen, die vollkommen anders waren als alles was er bisher geschaffen hatte: „La Période vache“. Es ist ein plötzlicher Bruch mit all den Prinzipien, die Magritte sich selbst gesetzt hat. Furios stemmt er sich mit diesem künstlerischen Ausbruch nicht nur gegen die im damaligen Paris vorherrschende Auffassung von qualitätsvoller und moderner Malerei. Auch richtete sich diese Provokation gezielt gegen die Pariser Surrealisten um den Dichter André Breton.

Doch zurück zum Anfang: Paris war zu der Zeit nicht nur das Zentrum der Kunstwelt, sondern auch der surrealistischen Bewegung. Bereits seit den 1920er-Jahren stand Magritte in engem Kontakt mit André Breton und dem Kreis, der den Dichter umgab. Magritte ging 1927 für drei Jahre als zentraler Künstler der belgischen Surrealisten nach Paris. Sein dreijähriger Aufenthalt war jedoch nicht sonderlich von Erfolg gekrönt. Obwohl seine Anerkennung international gewachsen war, wurde sein Werk in Paris nicht entsprechend gewürdigt. Die Pariser Kunstkreise ermüdeten Magritte und er kehrte zurück nach Brüssel.

Surrealismus in praller Sonne

Dort entstand nach drei Jahren, inspiriert von der Malerei Auguste Renoirs, eine neue Werkgruppe und ein Manifest. „Le Surréalisme en plein soleil“ (Der Surrealismus in praller Sonne) propagiert eine neue, vom Licht dominierte Malerei. Die belgischen Surrealisten kritisierten damit die Pariser Surrealisten und deren Hang zum Düsteren. Breton reagierte mit Ablehnung und Kritik auf das Manifest und den neoimpressionistischen Stil, was wiederum dazu führte, das sich die Beziehung zwischen den beiden weiter verschlechterte.

MAGRITTE. DER VERRAT DER BILDER, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2017, Foto: Alexander Englert
MAGRITTE. DER VERRAT DER BILDER, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2017, Foto: Norbert Miguletz

1948 bekam Magritte die Einladung in der Pariser Galerie du Faubourg auszustellen. Er sah das weniger als Chance in Paris zu reüssieren, sondern vielmehr als eine Möglichkeit sich mit einem Paukenschlag für die desillusionierende Zeit in Paris zu revanchieren. In diesem Kontext schuf er eine Werkgruppe, die er als „La Période vache“ bezeichnete. „Vache“ bedeutet nicht nur „Kuh“, sondern auch so viel wie „gemein“. Eine „vacherie“ ist ein übler Streich. Das französische Wort hat einen aggressiven, derben Charakter.

Dramatisch groteske Physiognomien

Die Arbeiten dieser Gruppe sind weder motivisch noch stilistisch ein einheitliches Ensemble. Viel eher bilden sie ein Flickwerk aus Stilzitaten anderer Künstler, Rückgriffe auf das eigene Werk und Versatzstücken aus der populären Bildkultur wie Karikaturen und Comics. Magritte übernimmt zum Beispiel die grotesken Physiognomien eines James Ensor und steigert sie noch einmal dramatisch. Oder entlehnt die farbigen Ornamente eines Henri Matisse, die er dann zu einem tapetenhaften Dekor entwertet. Er parodiert damit überkommene kulturelle Werte und ästhetische Normen und distanziert sich von dem innovationslüsternen Kunstbetrieb.

MAGRITTE. DER VERRAT DER BILDER, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2017, Foto: Norbert Miguletz
MAGRITTE. DER VERRAT DER BILDER, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2017, Foto: Norbert Miguletz

Auch schöpft er aus eignen früheren Bildern und macht sich dadurch zum Karikaturisten seiner selbst. Dennoch sind die Bilder der „Période vache“ fast das Gegenteil zu seinen sonst für ihn typischen Bildern, die kühl, präzise und naturgetreu gemalt sind. Ihnen liegt immer ein konzeptionelles Kalkül zugrunde. Die „vache“-Bilder dagegen sind bunt, flächig, schnell gemalt und von einer plötzlichen Direktheit und Spontaneität. Mit dieser Hinwendung zu einem kruden, spielerischen und bewusst „schlechten“ Malen reflektiert Magritte nicht nur sein eigenes Schaffen, sondern die Malerei generell.

Schatten als einzige Wahrheit

Diese Werkgruppe entstand aus Magrittes Überlegungen zu Platons Höhlengleichnis. Das Gleichnis handelt davon, wie Menschen, die in einer Höhle leben und festgebunden sind, nur die Schatten von Objekten sehen, die von einem fernen Feuer an die Höhlenwand projiziert werden. Von dem Ausgang der Höhle wissen und sehen sie nichts. So nehmen die Gefesselten die Schatten als ihre einzige Wahrheit wahr. Käme einer von ihnen frei, so würde er geblendet vom Licht der Sonne und verwirrt, nichts von seiner Außenwelt für real halten, abgesehen von dem was er kennt: ihrer Schatten. Erst peu à peu würde er die Erzeuger der Schatten als Wirklichkeit erkennen. Mit den Bildern der „Période vache“ will Magritte den Effekt imitieren, der eintritt, wenn jemand die Höhle verlassen hat und die Wirklichkeit wie Irrsinn wahrnimmt. Auf diesem Gleichnis begründet Magritte auch sein Manifest mit dem er den Surrealismus reformieren will und ruft die anderen Surrealisten dazu auf, die Höhle zu verlassen.

René Magritte, La Condition Humaine, 1935, Öl auf Leinwand, 54 x 73 cm, Norfolk Museums Service (accepted by HM Government in lieu of tax and allocated to Norwich Castle Museum & Art Gallery) © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Die Ausstellung war gezielt als Provokation geplant und als Angriff auf das Pariser Publikum. Sie erbrachte den kalkulierten Misserfolg. Kein einziges Bild wurde verkauft. Die Presse reagierte abweisend und das Publikum war entrüstet. Die Pariser Surrealisten distanzierten sich. Zu Magrittes Lebzeiten wurde nur ein einziges Bild aus dieser Periode ein weiteres Mal ausgestellt. Für Händler und Historiker stellte diese Werkgruppe einen irritierenden Fremdkörper in einem ansonsten enorm widerspruchsfreien Oeuvre dar. Die Werkgruppe hätte auch das Bild eines Künstlers gestört, der seit Beginn der 1960er-Jahre primär als Wegbereiter der Pop-Art und der Konzeptkunst rezipiert wurde. Erst mehr als 30 Jahre nach ihrem Entstehen begann – mit der Kölner „Westkunst“-Ausstellung 1981 – eine schleichende Neurezeption und Würdigung der bis dahin vergessenen Bilder.