Jovana Reisinger sinniert über die Untätigkeit im Werk von Cosima von Bonin – ist sie ein Zeichen von Luxus, Verwahrlosung, oder am Ende doch eine viel sinnstiftendere und bereicherndere Tätigkeit als man ihr gemeinhin zutraut?
Die Untätigkeit hat in der kapitalistischen Leistungswelt einen schlechten Ruf. Sie gilt als luxuriös, als Zeichen der Verwahrlosung oder der nicht sehr optimierten Selbstaufgabe. Das ist ähnlich wie mit dem Schlaf, der an sich ganz unbrauchbar im verwertungslogischen Sinne ist, da er lediglich der geistigen und körperlichen Regeneration dient und sich keiner weiteren Produktivität unterziehen lässt. Doch wenn der Schlaf schon keine weitere Funktion im Herstellungsgebot übernehmen kann, so kann wenigstens alles um ihn herum durchkapitalisiert werden: Von Pillen, Masken, Aromadiffuser, Kissen, Decken, Tropfen, Sprays, Apps bis hin zu Übungen, Ratgebern, Leuchten, usw. mangelt es nicht an Angeboten, den Schlaf besser, tiefer, geiler und im Idealfall kürzer zu gestalten.
Die Untätigkeit jedoch, entzieht sich diesem Prinzip. Sie kommt in ihrer Gleichzeitigkeit schon fast einer widerständigen Geste gleich. Denn sie setzt voraus, dass man sich in einem Wachzustand und bei Bewusstsein befindet und absichtlich keiner Aufgabe, keiner Anforderung, keiner Produktion nachgeht – obwohl man könnte. Es einem also nicht an Energie, Kraft, Wissen oder Zeit mangelt, sondern vielleicht an Interesse, Lust oder Spaß. Absichtlich bedeutet auch, sich den Konsequenzen (Unproduktivität = Faulheit) gewiss zu sein, sich ihrer anzunehmen, oder sie im Ernstfall auszuhalten. Außerdem benötigt man für die Untätigkeit nichts, sie lässt sich nicht verbessern, sie wird schlichtweg beschlossen und gemacht. Gut wären dafür ein stabiler Untergrund und bequeme Möbel, aber man kann in allen möglichen Varianten untätig sein.
Die Absicht hinter der Untätigkeit
Natürlich liege ich gerade im Bett. Ich liege da, alle Viere von mir gestreckt, auf Salbei-Matcha-grüner Bettwäsche, in einer friedvollen, aufgebenden Pose auf dem Rücken und denke nach. Die Augen sind geschlossen, es ist nichts zu hören, außer das Vogelgezwitscher. Ich nenne das ‚Recherche‘. Ich erleide derzeit keine Schmerzen (keine Menstruation, keine Verspannungen), habe keine Gelüste oder anderweitige Beschwerden. Ich hätte auch einiges zu tun, eine schier endlose Aufgabenliste und ein ordentlicher Anforderungskatalog warten schon. Aber nichts da. Statt aufzustehen und etwas zu schaffen, drehe ich mich um, auf den Bauch und strecke dabei meine Gliedmaßen so von mir, als würde ich versuchen, alle Enden des Bettes zu greifen. Ich erinnere mich an Cosima von Bonins „OPEN YOUR SHIRT PLEASE 6“: Ihre Schweine, die da liegen, neben übergroßen Handschellen, Seesternen und mit ihren kleinen Rucksäcken auf den Rücken.
Ich würde zwar niemals freiwillig außerhalb einer Extremsituation (wandern) einen Rucksack tragen (das unterliegt modischen Gründen), aber als ich sie in der Ausstellung der SCHIRN so da liegen sah, verspürte ich umgehend den Drang, nicht nur meine Arbeit, sondern auch mich niederzulegen und es ihnen gleich zu tun. So wie jetzt. Schauen Sie mich an, hier liegt eine Künstlerin und tut nichts, wie frech. In beiden Fällen (Schweine und ich) gilt die Untätigkeit direkt als ein künstlerischer Ausdruck. Einerseits wird sie in Cosima von Bonins Werk verkörpert, andererseits verkörpere ich sie als im Liegen nichts erschaffende Künstlerin. Allerdings ist beides kein Grund zur Verärgerung, so sind wir uns doch längst einig, dass Nichtstun ein wichtiger Aspekt des kreativen Schaffens ist (daher also doch ein Teil des Arbeitsprozesses, der geltend gemacht werden kann).
In Cosima von Bonins Ausstellung finden sich noch viel mehr Zeichen der friedvollen Untätigkeit – und das im direkten Widerspruch. Wie verhält es sich schließlich mit „MISSY MISDEMEANOUR #2“, dem Huhn auf der Rakete? Es hat sich bereits erbrochen, und sieht auch sonst nicht gerade wie eine aktive und enthusiastische Lenkerin aus. Eher wirkt es, meiner Interpretation nach, wie draufgesetzt und nicht unbedingt glücklich über die auferlegte Aufgabe (die Arbeit als eine Raketen-Flugbegleiterin).
Direkt über-sympathisch finde ich wiederum den Wal auf der Schaukel: „MAE DAY VII“. Das hübsche und edle Halstuch umgebunden, die cute Clutch daneben abgestellt, verharren die Augen im (frivolen oder erschöpften) Schlafzimmerblick, dabei wird nicht einmal gewippt oder eine andere Anstrengung unternommen, etwas zu erleben. Und auch Miss Piggy im Leopardenlook hängt in „MARATHON, QUE LE FUCK VERSION“ nur nutzlos (an der Wäscheleine) herum, ganz so wie der übergroße Bikini einen Raum weiter. So einen trage ich übrigens gerade, also einen Bikini, keinen Leopardenlook, wobei ich auch den gut fände. Bevor ich mich ins Bett warf, lag ich bereits stundenlang auf einer Badewiese, was lediglich beweist, wie ernst ich die ‚Recherche‘ nehme und dass man, unter bestimmten Voraussetzungen einerseits immer arbeitet und andererseits alles als Arbeit deklarieren kann.
Nichtstun als kreativer Prozess
Im Leben einer freischaffenden und selbstständigen Künstlerin verschwimmen die Grenzen der Freizeit und der Arbeit ohnehin permanent, sie zerfließen und sind bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Mir scheint, je persönlicher die künstlerische Auseinandersetzung, je mehr aus dem eigenen Leben geschöpft wird, umso unmöglicher wird die Trennung der Arbeit vom Rest. Das kann entweder der größte Luxus, oder die absurdeste selbstausbeuterischste Falle sein.
Auch ich habe die Selbstverwirklichungsidee offensichtlich längst verinnerlicht und mein Leben danach ausgerichtet, nur konnte ich mir dabei gute Schlupflöcher erschaffen. Mein liebstes: Das Aneignen des Klischees der faulen, tagein, tagaus in Kaffeehäusern und Bars abhängenden Künstler*innen, die auf der Suche nach Inspiration das Leben leben müssen. Wo sollen schließlich sonst die Ideen so herkommen? So ist es nur logisch und konsequent: Nichtstun als sinnstiftende und bereichernde Tätigkeit. Als (ein) Kern der Arbeit. Daher bleibe ich noch ein wenig liegen und verkünde, ganz im Sinne der Notiz auf einem der Daffy Duck Werke: „Next Week we’ve got to get organized.“ Aber diese Woche werden wir noch etwas faulenzen.