Die SCHIRN widmet ab dem 24. Juni 2022 dem Schweizer Künstler Ugo Rondinone die erste große Überblicksausstellung in Deutschland. Ein erster Einblick.

 „LIFE TIME“ präsentiert vom 24. Juni bis 18. September 2022 zentrale Gemälde, Skulpturen und Videoarbeiten des Schweizer Künstlers Ugo Rondinone, der international zu den bekanntesten seiner Generation zählt. In seinen Werken verleiht er alltäglichen Dingen und Phänomenen eine poetische Dimension. Ein Baum, eine Uhr, die Sonne oder ein Regenbogen – mittels Wiederholung, Isolation oder Reduktion setzt er sie in seinen charakteristischen, stets minimalistisch bespielten Räumen in einen neuen Kontext und schafft atmosphärische Stimmungsbilder.

Nur für die SCHIRN gruppiert er rund 80 seiner Arbeiten zu neuen Konstellationen und Abfolgen. Diese einmalige Installation erstreckt sich über die gesamte Länge der Galerie, in die Rotunde und auf das Dach. Auch ortsspezifische Arbeiten hat der Künstler entwickelt wie „curved standing landscape with entry door“, eine monumentale Skulptur aus Erde. Speziell für die Ausstellung haben auch hunderte Kinder Mondbilder gezeichnet, die als eigene Installation zu sehen sind – der „weltweit größte Nachthimmel“ entsteht.

Themen, die Rondinones Werk seit 30 Jahren prägen

 „LIFE TIME“ verbindet wesentliche Themen, die Rondinones Werk seit 30 Jahren prägen: Zeit und Vergänglichkeit, Tag und Nacht, Realität und Fiktion, Natur und Kultur. Zentral für das Schaffen des Konzept- und Installationskünstlers sind das serielle Prinzip und die transmediale Variation von Motiven. Immer wieder greift er auf die Ikonografie der Romantik zurück und webt sie ein in ein dichtes Geflecht aus Kunstgeschichte, Literatur und Popkultur. Der Ausgangspunkt seines multimedialen Œuvres ist die Transformation der Außenwelt in eine subjektive, emotionale Innenwelt. Er entwirft Erfahrungsräume, in denen Raum und Zeit im individuellen Rhythmus des Wahrnehmens verschwinden und die Betrachter*innen selbst Teil der Installationen werden.

Die Betrachter*innen werden selbst Teil der Installationen

Ugo Rondinone, flower moon, 2011, © Ugo Rondinone, Courtesy der Künstler und Gladstone Gallery, New York und Brüssel, Foto: Stefan Altenburger Photography, Zürich

Schon von Weitem sind die zwei auf dem Dach befestigten, geschwungenen Wörter „life time“ zu sehen. Die großen Leuchtbuchstaben in Regenbogenfarben, auf die sich auch der Ausstellungstitel bezieht, sollen als Kunst im öffentlichen Raum so viele Menschen wie möglich erreichen. Die Regenbögen bei Rondinone behandeln Themen wie Tag und Nacht, Homosexualität, Freiheit und Toleranz sowie bei „life time“ die eigene Lebenszeit und die überdauernde Präsenz eines Kunstwerkes.

Zeit ist auch Thema bei der sechs Meter hohen Skulptur „flower moon“ im Mittelpunkt des öffentlich zugänglichen Außenbereichs der Rotunde: Der weiß emaillierter Aluminiumabdruck eines 2000 Jahre alten Olivenbaumes bestimmt die zylindrische Architektur des Ortes und ist Ausdruck einer Erinnerung, die im Kontext des Universums unbedeutend gering erscheint. An der Verglasung des Rotundenrundgangs haftet eine mit weißer Farbe gemalte Ziegelsteinwand: Nur durch die durchsichtigen Fugen kommt Licht herein und unterbricht so den für die Rotunde charakteristischen Aus- bzw. Einblick.

Ugo Rondinone, life time (Rendering), 2019, © Ugo Rondinone, Courtesy der Künstler und Studio Rondinone
Der Hauptteil der Ausstellung durchzieht in fünf Bereichen die gesamte Galerie der Schirn

Es entspinnt sich eine Erzählung, die dem Übergang von der Nacht in den Tag folgt, von der Dunkelheit ins Licht. Der erste und dunkelste Raum umfasst Arbeiten aus vier Werkserien. Der auf dem Boden liegende Clown ist Teil einer Gruppe von acht Clownfiguren, die gemeinsam den Titel „if there were anywhere but desert.“ nach einem Gedichtband von Edmond Jabès tragen. Alle sind Abgüsse realer Personen. Der in der Schirn präsentierte Clown trägt die Maske des als traurig und melancholisch geltenden Pierrots und verweist auf dessen romantische Phase in der Commedia dell’Arte.

Umgeben ist die Skulptur von großformatigen Sternenbildern, bei denen Rondinone wie in vielen seiner Arbeiten mithilfe von Sand und Steinen archetypische Phänomene aufgreift. Ergänzt werden Clown und Sternenbilder durch eine schwarze, den Rest der Welt ausschließende Holztür sowie eine aus Gummi gefertigte Maske. „Moonrise“ lehnt sich an Masken der in Alaska lebenden Indigenen Yupik-Bevölkerungsgruppe an, die sich in ihrer spirituellen Lebensweise nach den Mondphasen richtet.

Speziell für die Schirn entwickelte Arbeiten

Im nächsten, von Brauntönen dominierten Raum findet sich nun die zu Beginn erwähnte ortspezifische Skulptur „curved standing landscape with entry door“: Die monumentale Wand aus einem speziellen Erdgemisch wölbt sich wie ein senkrecht gekipptes Stück natürlichen Bodens entlang der gebogenen Rotunden-Architektur. Auch hier spiegeln sich Grundprinzipien Rondinones, ein Stück der draußen liegenden Umwelt wird nach innen geholt und Realität so zur Fiktion, Natur zu Kunst.

Ugo Rondinone, if there were anywhere but desert. 0., 2000, Privatsammlung Schweiz, Courtesy der Künstler und Galerie Eva Presenhuber, Zürich und New York, Foto: Stefan Altenburger
Ugo Rondinone, erstermärzzweitausendundneun, 2009, © Ugo Rondinone, Courtesy der Künstler und Galerie Eva Presenhuber, Foto: Stefan Altenburger Photography, Zürich

Auf dem Boden sitzen 14 lebensgroße Abgüsse von nackten Tänzerinnen und Tänzern. Abgewandt, in sich versunken und mit reduzierten individuellen Merkmalen erhalten sie eine anonyme universale Identität und erinnern in ihrem passiven Ausdruck an Rondinones Clowns. Die sakrale Anmutung des Ausstellungsraumes wird durch drei runde Farbglasfenster unterstrichen, die eine Verbindung zur Außenwelt bilden und von denen eines direkt in die Wand der Schirn eingelassen ist. Sie bestehen aus konzentrischen Kreisen mit zwölf römischen Ziffern und ähneln so einer Uhr. Ohne Zeiger sind sie jedoch ihrer Funktion enthoben, vermitteln vielmehr Zeitlosigkeit und verweisen auf die Bewegung des Lichts und der Erde.

Die Fragen nach dem Verhältnis von Kultur und Natur, Beständigkeit und Vergänglichkeit, von Innen und Außen setzen sich in der großen, aus drei Werkgruppen bestehenden Installation im folgenden Raum fort. Hier weisen fünf amorphe graue Steinskulpturen deutliche Bezüge zur klassischen Moderne auf, etwa zu Arbeiten von Henry Moore oder Auguste Rodin. Angelehnt an sogenannte chinesische Gelehrtensteine, als deren Urheberin die Natur selbst gilt, stellen sie eine Verbindung zwischen geistiger und natürlicher Welt her.

Fragen nach dem Verhältnis von Kultur und Natur, Beständigkeit und Vergänglichkeit, von Innen und Außen

Ergänzt werden sie durch schwarz-weiße Zeichnungen auf mit Gips grundierten Leinwänden. Mehrheitlich sind es Fensterstudien, die wie Skizzen realer Szenerien wirken und Intimität und Privatheit suggerieren. Verstärkt werden diese Aspekte durch eine Serie direkt auf die Ausstellungswände geschriebener Gedichte. Im Gegensatz zu formal ähnlichen Graffiti oder Wandgemälden muss man beim Lesen der „poems“ sehr nah herantreten. Es entsteht eine intime Situation zwischen Werk und Betrachter*in. Die mit einem Durchgang versehene Wandinstallation „far away trains passing by“ aus weißen Holzbrettern kündigt den Wechsel in den nächsten Ausstellungsbereich an.

Ugo Rondinone, we run through a DESERT on burning feet, all of us are glowing our faces look twisted and shiny., 2008, © Ugo Rondinone, Courtesy der Künstler und Galerie Eva Presenhuber, Zürich und New York, Foto: Stefan Altenburger
Ugo Rondinone, nude (xxxx), 2010, © Ugo Rondinone, Courtesy der Künstler und Gladstone Gallery, New York und Brüssel, Foto: Stefan Altenburger Photography, Zürich

Den vierten Raum taucht die Filminstallation „it’s late and the wind carries a faint sound as it moves through the trees (…).“ in blaues Licht. Sie besteht aus zwölf Sequenzen, die auf sechs Leinwänden in Endlosschleife präsentiert werden. Bereits durch diese Anordnung nimmt sie das Motiv der endlosen Wiederholung alltäglicher menschlicher Handlungsabläufe auf. Eine Frau betritt unablässig einen dunklen Raum. Ein Mann bewegt stetig einen Vorhang hin und her.

Von Nacht zu Tag, von Dunkelheit ins Licht

Acht „pure sunshine“-Werke lassen den letzten Raum der Ausstellung in Gelb erstrahlen. Die auch als Mandalas oder Target-Paintings bekannten kreisrunden Bilder erzeugen mit vibrierenden Konturen den Eindruck von Bewegung und reihen sich so in die Tradition der Op-Art ein. Die Schneemaschine im Raum verweist auf die immer wiederkehrenden Motive von Gestern und Heute, von Tag und Nacht, Sommer und Winter. Tagsüber schneit es ruhig und leise weißes Papierkonfetti, das nachts immer wieder in die Maschine gefüllt wird, damit der Kreislauf am nächsten Morgen von Neuem beginnen kann. Abschließend finden sich auf dem Boden aufgereihte Bronzeskulpturen in Form von Äpfeln und Birnen. Sie repräsentieren den Stillstand, einen eingefrorenen Moment in einem Lebenszyklus, der so die Vergänglichkeit des einzelnen Objekts unterstreicht.

Ugo Rondinone, fünfundzwanzigstermaizweitausendundzwölf, 2012, © Ugo Rondinone, Courtesy der Künstler und Galerie Eva Presenhuber, Zürich und New York

Ugo Rondinone. LIFE TIME

24. Juni – 18. September 2022

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