In Frankfurt befindet sich das größte Gemälde von Marc Chagall, das jemals in Deutschland angekauft wurde – wo? Nicht etwa in einem Museum, sondern in der Oper Frankfurt. Wie das Gemälde dorthin gekommen ist, verrät die Kuratorin Ilka Voermann.

In Frankfurt befindet sich das größte Gemälde von Marc Chagall, das jemals in Deutschland angekauft wurde. Und nicht nur das! Das Werk ist auch die erste Arbeit, die Chagall für einen deutschen Auftraggeber nach 1945 anfertigte. Nun könnte man annehmen, dass ein allein aufgrund seiner enormen Größe von 2,50 x 4 Metern und des Entstehungskontextes so wichtiges Werk im Städelmuseum, oder in einem anderen Museum in Frankfurt bewahrt wird. Dem ist nicht so, denn das Gemälde mit dem Titel „Commedia dell’arte“ befindet sich im öffentlichen Raum – genauer gesagt im sogenannten Chagall-Saal der Städtischen Bühnen. Vielen Frankfurter*innen, die regelmäßig die Oper besuchen, ist das Gemälde gut bekannt, finden doch regelmäßig die Einführungen, aber auch andere Veranstaltungen im Chagall-Saal statt. Dort befindet sich das Gemälde seit 1991 und wird gemeinsam mit 14 faksimilierten Skizzen präsentiert.

Ansicht des Chagall-Saals während einer Premiere 2021, Foto; Tetyana Lux
Die abenteuerliche Geschichte der „Commedia dell’arte“

Wie das Gemälde aber nach Frankfurt gekommen ist, wissen vermutlich die Wenigsten. Und tatsächlich ist die Geschichte der „Commedia dell’arte“ abenteuerlich. Ursprünglich wollte der Frankfurter Kulturdezernent Karl vom Rath ein bereits existierendes Bild von Chagall für das Hauptfoyer der im Bau befindlichen Städtischen Bühnen ankaufen. Da die von ihm ins Auge gefassten Werke allerdings nicht mehr zur Verfügung standen, schlug ihm der Künstler vor, ein Bild eigens für den Standort in Frankfurt anzufertigen. Voraussetzung war für Chagall, dass er dafür nicht nach Frankfurt kommen müsse, sondern das Werk im südfranzösischen Vence, wo er damals wohnte, anfertigen könne. Diese Bedingung war für Chagall äußerst wichtig, hatte er doch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschlossen, nie wieder deutschen Boden zu betreten. Vom Rath erklärte sich mit dem Vorschlag einverstanden und musste nun die nötigen Gelder für den Ankauf beschaffen. Die Stadtverordnetenversammlung hatte dem Auftrag unter der Bedingung zugestimmt, dass die Mittel für die Ankaufssumme von 150.000 DM aus privaten Spenden generiert werden müssten. Durch großzügige Zuwendungen von Privatpersonen, Frankfurter Firmen und die Hilfe der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung, die heute Eigentümerin des Bildes ist, konnte die Summe aufgebracht werden.

Die vierzehn Skizzen, die zum Teil Alternativentwürfe und zum Teil vorbereitende Studien sind, wurden nachträglich hinzugekauft. Die Arbeit an dem Gemälde gestaltete sich für Chagall nicht einfach. Aufgrund ihrer enormen Größe zog er die Leinwand nicht auf einen Keilrahmen auf, sondern nagelte sie direkt auf die Wand seines Ateliers. Um auch die oberen Partien bearbeiten zu können, nutzte er Leitern oder ein kleines Gerüst. 

Kein „Opernbild“ im klassischen Sinne

Obwohl das Gemälde spezifisch für den Kontext der Oper in Frankfurt geschaffen wurde, ist es eigentlich kein wirkliches „Opernbild“. Die „Commedia dell’arte“ zeigt eine Zirkusvorstellung und weist außer dem bühnenhaften Setting keine Gemeinsamkeiten mit der Welt der Oper auf. Möglicherweise ergab sich das Thema des Gemäldes aus den ursprünglichen Ankaufswünschen von Karl vom Rath. Er hatte sich unter anderem für das Bild „Le grand cirque“ interessiert. Auch der Titel des Werkes „Commedia dell’arte“, den Chagall selbst gewählt hat, gibt Rätsel auf. Im Italienischen bezeichnet der Begriff das Typentheater des 16. und 17. Jahrhunderts. Diese Erläuterung hilft beim Verständnis des Werkes allerdings nur wenig. Denn Chagall versteht den Titel weitaus umfassender, wie er im Gespräch mit Karl vom Rath erläutert: „Es ist nicht so, dass ich die Welt als „Commedia dell’arte“ male. Die Welt ist die „Commedia dell’arte.“

Marc Chagall, Le grand cirque, 1956, Image via mutualart.com

Obwohl Chagall das Gemälde komplett eigenhändig und nur unter großen körperlichen Anstrengungen – er war immerhin schon über 70 Jahre alt – anfertigte, konnte er es innerhalb von vierzehn Monaten am 16. Dezember 1959 vollenden. Der Frankfurter Theaterbau war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht fertiggestellt, so dass das Gemälde bis zum Sommer 1960 in Vence verblieb. Nach seiner Ankunft in Frankfurt wurde es zunächst – heute kaum vorstellbar – aufgerollt in einem Speditionskeller am Hauptbahnhof deponiert. Später diente das Städelmuseum als „Zwischenlager“. Erst drei Jahre später, im Dezember 1963, konnte die „Commedia dell’arte“ final im Hauptfoyer des Theaterbaus installiert werden. Damit war die Odyssee des Gemäldes allerdings noch nicht zu Ende. 

Als 1987 der Bau der Städtischen Bühnen durch einen Brand beschädigt wurde, konnte das Werk zwar gerettet werden, es verlor aber seinen angestammten Platz im Hauptfoyer. Da sich die Renovierungsarbeiten bis 1991 hinzogen, musste ein Ausweichquartier für das Gemälde gefunden werden, sofern es nicht für mehrere Jahre im Lager verschwinden sollte. Eine Möglichkeit fand sich in der Haupthalle der Frankfurter Volksbank, wo das Bild während der Geschäftszeiten unentgeltlich besichtigt werden konnte. 1991 kehrte die „Commedia dell’arte“ in den Operntrakt der Städtischen Bühnen zurück. Dort kann das Gemälde, dessen Geschichte vom französischen Vence, über Umwege im Frankfurter Bahnhofsdepot, Städelmuseum und weiteren Orten, schlussendlich im Chagall-Saal der Oper Frankfurt mündet, anlässlich eines Opernbesuches besichtigt werden.



CHAGALL. WELT IN AUFRUHR

4. Novem­ber 2022 – 19. Februar 2023

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