In seinen Raum- und Videoinstallationen untersucht Aernout Mik das Verhalten und die Interaktion von Gruppen in der Gesellschaft. Als Premiere ist in der Schirn seine neue Arbeit „Threshold Barriers“ zu sehen. Die Ausstellung im Überblick.

Die Raum- und Videoinstallationen von Aernout Mik (*1962) schaffen eindringliche Situationen, die dem Verhalten und der Interaktion von Gruppen in oft instabilen gesellschaftlichen Kontexten nachgehen. Der niederländische Künstler rührt mit seinen choreografierten Videoarbeiten an sozialpsychologische Strukturen und inszeniert Räume, die die Position des Einzelnen in widersprüchlichen oder dysfunktionalen Systemen reflektieren.

Vom 7. Juli bis 3. Oktober 2022 präsentiert die SCHIRN Aernout Miks Videoinstallation „Double Bind“ (2018) sowie die eigens für die Ausstellung konzipierte Arbeit „Threshold Barriers“ (2022) raumgreifend im großen Saal der Schirn. Beide Werke gehen den Suggestionen und Dynamiken von Sicherheit und Bedrohung, Macht und Ohnmacht im öffentlichen Raum nach und treten in der Schirn miteinander in Dialog. In „Double Bind“ verhandelt der Künstler die Präsenz von bewaffneten Einheiten des staatlichen Apparats. Isoliert und ohne direkten Kontakt mit den Passantinnen und Passanten bewegen sie sich im städtischen Gefüge und scheinen keine offensichtliche Funktion mehr zu erfüllen. Daran anschließend zeigt das Video „Threshold Barriers“ Menschen nach einer Auseinandersetzung, bei der Gesellschaft und Staatsmacht, Bürger und Polizei direkt aufeinandergetroffen sind. Es scheint, als hätten überkommene Strukturen von Autorität und Sicherheit ihre Gültigkeit verloren.

Miks fiktive Szenarien bewegen sich zwischen Dokumentation und Performance
Aernout Mik, Double Bind, 2018, film still, © Aernout Mik, Courtesy of the artist and carlier | gebauer, Berlin/Madrid
Aernout Mik, Threshold Barriers, 2022, film still, © Aernout Mik, Courtesy of the artist and carlier | gebauer, Berlin/Madrid

Miks fiktive Szenarien bewegen sich zwischen Dokumentation und Performance und wirken zugleich vertraut und befremdlich. Die mehrkanaligen Installationen verfolgen keinen stringenten Erzählstrang, sondern verschachteln einzelne Fragmente zu einer atmosphärischen Inszenierung. Die Videos nehmen Bezug auf Bilder und Berichte von aktuellen Ereignissen wie Antiterrormaßnahmen in europäischen Großstädten, Fehlverhalten innerhalb polizeilicher Spezialeinheiten sowie internationale Proteste oder Polizeigewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten, die durch ihre mediale Verbreitung ins kollektive Bewusstsein eingegangen sind.

„Double Bind“ (2018)

Das 3-Kanal-Video „Double Bind“ zeigt eine Gruppe von Personen einer Antiterroreinheit in Kampfanzügen. Die Bewegungen der Formation gleichen einer Choreografie, die sich abwechselnd in einem städtischen Raum und einem undefinierten, weißen Innenraum abspielt. Die Einsatzkräfte scheinen weniger als geordnete Einheit einem offensichtlichen Befehl zu folgen, sondern agieren vielmehr als lose verbundene Individuen, sodass offenbleibt, ob es sich hier um eine Übung oder einen Ernstfall handelt.

Aernout Mik, Threshold Barriers, 2022, film still, © Aernout Mik, Courtesy of the artist and carlier | gebauer, Berlin/Madrid

Die unklare Situation, die erschöpft wirkenden Protagonistinnen und Protagonisten und ihre verlangsamten Bewegungen wirken geisterhaft und surreal, wie eine Erinnerung oder ein Echo der Realität. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die Akustik des Videos. Es gibt keine verbale Kommunikation, zu hören sind nur Geräusche, die eine erhöhte Sensibilisierung für die Situation erzeugen: Straßenlärm, Atmen, auf dem Asphalt kratzende Helme oder Schritte. Die unbestimmte Interaktion innerhalb dieser Gruppe spiegelt sich in ihrer Begegnung mit den Menschen auf der Straße, von denen die schwerbewaffneten Einsatzkräfte nahezu ignoriert werden.

Keine verbale Kommunikation, nur Geräusche

Sie bleiben isoliert, undefiniert und funktionslos und vermitteln einen verstörenden bis beunruhigenden Eindruck, der grundlegende Fragen aufwirft: Welche Vorstellungen von Angst und Schutz oder auch Formen von Gewalt, Korruption und Rassismus verbinden sich mit diesen Spezialeinheiten und aus welchen Gründen? Welche Anforderungen existieren in Hinblick auf Terrorismus, Gesellschaft und Frieden? Wie haben sich die Erwartungen im Laufe der letzten Jahre und angesichts tagesaktueller Ereignisse verändert?

Aernout Mik, Double Bind, 2018, film still, © Aernout Mik, Courtesy of the artist and carlier | gebauer, Berlin/Madrid
Aernout Mik, Double Bind, 2018, film still, © Aernout Mik, Courtesy of the artist and carlier | gebauer, Berlin/Madrid
„Threshold Barriers“ (2022)

Die im April 2022 gedrehte Videoarbeit „Threshold Barriers“ wird in der SCHIRN erstmals dem Publikum präsentiert. Sie schließt inhaltlich an die Arbeit „Double Bind“ an, ist aber wie die meisten Videoarbeiten von Aernout Mik tonlos. Durch die simultane Präsentation im Saal und den raumfüllenden Sound von „Double Bind“ werden beide Werke miteinander verwoben und unmittelbar zueinander in Beziehung gesetzt.

„Threshold Barriers“ zeigt den Moment, kurz nachdem das Aufeinandertreffen einer Spezialeinheit der Polizei und einer Gruppe von Demonstrierenden inmitten einer riesigen Straßenbarrikade aufgelöst ist. Auch hier bleiben in den fragmentarischen und widersprüchlichen Szenen die Hintergründe der Ereignisse sowie Handlungen und Ziele der agierenden Gruppen diffus und offen. Verletzte Polizeikräfte oder blutende Demonstrierende erinnern an eine eskalierte Auseinandersetzung. An deren Ende liegt die Kontrolle eher bei den Aktivistinnen und Aktivisten, während die staatlichen Einheiten scheinbar erschöpft aufgegeben haben. In diesem Augenblick außer Kraft gesetzter Hierarchien erproben die Beteiligten andere Verhaltensformen, in denen gesellschaftliche Funktion oder systeminhärente Zuordnung allerdings noch völlig unentschieden sind.

In den fragmentarischen und widersprüchlichen Szenen bleiben die Hintergründe der Ereignisse offen
Aernout Mik, Threshold Barriers, 2022, film still, © Aernout Mik, Courtesy of the artist and carlier | gebauer, Berlin/Madrid
Aernout Mik, Threshold Barriers, 2022, film still, © Aernout Mik, Courtesy of the artist and carlier | gebauer, Berlin/Madrid

Aernout Mik. Double Bind / Threshold Barriers

7. Juli - 3. Oktober 2022

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